Panorama

Unser Dorf soll schöner werden "Töchter" und "Stadtbild" - was erlauben Merz?

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Der Kanzler wurde bereits aufgefordert, "verbal etwas abzurüsten".

Der Kanzler wurde bereits aufgefordert, "verbal etwas abzurüsten".

(Foto: REUTERS)

Merz hält seine umstrittenen Äußerungen rund um Migration und Probleme im "Stadtbild" für nicht weiter erklärungsbedürftig. "Was ich mit diesem Wort gemeint habe (...) ist deutlich geklärt worden", sagt er. Ist das so?

Boah, die Emotionen kochen hoch! Bundeskanzler Friedrich Merz hat was gesagt, was viele in ihrem tiefsten Innern irgendwie okay finden, es aber niemals öffentlich zugeben würden. Viele würden allerdings leider zugeben, dass er es gar nicht deutlich genug gesagt hat. Andere sind überzeugt, dass es eine Frechheit ist, was er gesagt hat. Dass es schlicht nicht stimmt. Wir wissen, gegen wen er geschossen hat, und ja, das ist blöd.

Gleichzeitig hat er auch noch gegen Leute gefeuert, denen man gar nicht sofort ansieht, dass sie eventuell nicht ins Merz'sche Stadtbild passen. Eine verworrene Lage. Er hat es außerdem auf eine extrem kanzlerunwürdige Art gesagt, und das macht das Ganze so wenig staatsmännisch. Hat er denn nur schlechte BeraterInnen? Oder ist er gar beratungsresistent? Ich tippe auf Letzteres.

Naja, jedenfalls hat er zur Erklärung seiner erneut bekräftigten Aussage: "Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen" ganz geschwind auf die Frauen in diesem Land verwiesen, die nun wieder die Drecksarbeit für ihn übernehmen müssen. Ganz im Bild der Trümmerfrauen, die komplette Städte nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeräumt haben, müssen es nun die rund 40 Millionen deutschen Menschen weiblichen Geschlechts - Töchter - richten. Denn Merz sagte auf Nachfrage eines Reporters, was genau er denn nur mit seiner Aussage meine, sinngemäß: "Fragt mal eure Töchter, die wissen, was ich meine." Hm, es ist wirklich IMMER ungeschickt, sich nicht selbst so richtig erklären zu können und auf andere zu verweisen.

Die Autorin dieser Zeilen ist übrigens weit davon entfernt, gleich bei den "Frauen gegen Merz" (ich bin nicht komplett gegen Merz), "Omas gegen Rechts" (bin keine Oma) anzuheuern oder sich als Luisa Neubauer-Claqueurin (war ich nie) instrumentalisieren zu lassen, aber: Ich bin Tochter und Mutter. Frau und Mensch. Journalistin - und da weiß ich um die Macht der Sprache, auch, wie falsch einem etwas ausgelegt werden kann.

So weit, so oberflächlich

Außerdem muss ich bei Merz' Aussage an die alte Kampagne "Unser Dorf soll schöner werden" denken. 1961, initiiert vom damaligen Präsidenten der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V., Graf Lennart Bernadotte, war es das Ziel, Dörfer und Anwesen zu verschönern, die Älteren unter den LeserInnen werden sich erinnern. Orte wurden mit Grün- und Blumenschmuck ausstaffiert und die dörfliche Infrastruktur wurde verbessert. Die Gemeinden sollten dem Komfort in der Stadt in nichts nachstehen und somit eine Abwanderung in den urbanen Raum verhindern. So weit, so oberflächlich.

Dass es unter den Rabatten rumorte und hinter den Hecken weiterhin brodelte, liegt auf der Hand. Da konnte man noch so viele Stiefmütterchen und Geranien pflanzen - der häuslichen Gewalt, dem Missbrauch von Kindern und den nicht ganz demokratischen Ansichten konnte man mit ein bisschen ordentlich verteiltem Grünzeug dennoch nicht komplett an die Wurzel. Es ist, wie einen Pickel zu überschminken, er ist trotzdem noch da; eine schwarze Wand weiß zu streichen, die am Ende doch nur grau schimmern wird, einfach, weil man die olle Tapete zuerst hätte runterreißen müssen. Deswegen wurde diese spießige deutsche Angelegenheit der reinen Dorfverschönerung auch umbenannt in "Unser Dorf hat Zukunft": Damit ehrt das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH), momentan unter der Leitung des Bundesministers Alois Rainer, alle drei Jahre bürgerschaftliches Engagement und macht positive Entwicklungen in ländlichen Regionen sichtbar.

Die Landbevölkerung wird aufgefordert, zusammen mit ihrer Gemeinde Ideen, Konzepte und Projekte zu entwickeln und umzusetzen, die das Leben im Ort attraktiver gestalten. So motiviert der Wettbewerb Menschen - Obacht, alle Menschen, nicht nur Töchter! - auf dem Land, sich mit der Zukunft ihres Dorfes auseinanderzusetzen - und sie aktiv mitzugestalten! So nämlich!

Hier klare Ansagen

Und jetzt Sie, Herr Merz! Sagen wir es gemeinsam: "Unser Land hat Zukunft!" UNSER Land! Sie sehen schon, Herr Merz, dass damit alle gemeint sind. Alle, die hier leben, ob es einem nun ins "Stadtbild" passt oder nicht. Wir sind ja nicht bei GNTM. Hier geht es nicht darum, ob eine oder einer ein Bild am Ende der Sendung bekommt und 'ne Runde weiter ist, es geht um Leben! Miteinander leben. Und da reicht es nicht, zwischen den Zeilen zu labern.

Oder, wie mein Freund Andreas Tölke, Journalist im Herzen und Gründer von "Be an Angel", es formuliert: "Ist ja völlig okay, Themen zu benennen und kritisch zu sein – so ein bisschen Differenzierung wär aber schon ganz schön, denn dieses 'Zwischen-den-Zeilen-lesen' ist (...) schlicht Demagogie." Und weiter: "Ich hab' immer gedacht, dass ein Bundeskanzler für die gesamte Bevölkerung da ist. Und bestenfalls die immer wieder beschriebene 'Spaltung der Gesellschaft' abmildert. War wohl nix."

Dabei fände Tölke, der sich um Geflüchtete aller Art kümmert, es extrem hilfreich, wenn sich der Bundeskanzler mal wirklich mit dem Stadtbild auseinandersetzen würde. Und damit hier keiner zwischen den Zeilen lesen muss: In Berlin gibt es um die 60.000 Obdachlose - Tendenz steigend. "Da könnte man prima was am Stadtbild machen: bezahlbare Wohnungen, ein funktionierendes Sozialsystem, lauter so'n Zeug", schlägt mein Kollege vor. Herr Merz, jetzt mal ehrlich, das ist 'ne klare Aussage, damit kann man doch arbeiten. Oder?

Quelle: ntv.de

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