"Das hat einen Namen: Genozid" Totenzahl in Brasilien übersteigt 500.000
20.06.2021, 09:09 Uhr
Demonstranten bezeichnen die hohe Zahl an Corona-Toten unter Bolsonaros Politik als "Genozid".
(Foto: picture alliance/dpa/ZUMA Wire)
In Brasilien spitzt sich die Corona-Lage zu. Mehr als eine halbe Million Menschen sind gestorben, die Impfungen gehen schleppend voran. Das Land ist in Aufruhr. Zehntausende gehen gegen Staatschef Bolsonaro auf die Straße. Für seine Corona-Politik findet Ex-Präsident Lula deutliche Worte.
Aus Protest gegen das Corona-Krisenmanagement von Staatschef Jair Bolsonaro und unter dem Eindruck einer Opferbilanz von einer halbe Million Corona-Toten sind am Samstag Zehntausende Brasilianer auf die Straße gegangen. Die Demonstrationen fanden in mehr als 20 Hauptstädten brasilianischer Bundesstaaten statt, darunter Rio de Janeiro, Brasília, Recife und São Paulo. Just am Samstag hatte Brasilien die Schwelle von 500.000 Corona-Toten überschritten - nur in den USA ist die offizielle Opferzahl noch höher.
Das brasilianische Gesundheitsministerium registrierte 82.288 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages. Damit stieg die Gesamtzahl der Ansteckungen auf 17.883.750. Die Zahl der Corona-Toten gab das Ministerium mit 500.800 an. Am Samstag wurden 2301 Todesfälle gemeldet.
"Die dritte Welle rollt gerade auf uns zu, aber die Impfungen, die den Unterschied machen könnten, kommen noch zu langsam voran", kritisierte die Epidemiologin Ethel Maciel. Außerdem seien die Behörden offenbar nicht gewillt, neue Corona-Restriktionen zu verfügen.
Tatsächlich herrscht in Brasilien scheinbare Normalität. Geschäfte, Restaurants und Bars haben geöffnet, auf den Straßen sind zahlreiche Menschen ohne Masken unterwegs. Die Belegung der Intensivstationen deutet aber auf den Ernst der Lage hin: In 19 der 27 Bundesstaaten sind sie zu mehr als 80 Prozent belegt, in acht davon sogar zu 90 Prozent.
"Weg mit Bolsonaro"
Demonstranten in São Paulo erinnerten mit Schildern mit der Aufschrift "500.000" an die traurige Opferbilanz der Pandemie in Brasilien. Auch Slogans wie "Weg mit Bolsonaro", "Regierung des Hungers und der Arbeitslosigkeit" und "Impfung jetzt" stand auf Transparenten zu lesen.
In Brasilien haben erst 29 Prozent der 212 Millionen Einwohner mindestens eine Impfdosis bekommen, 11,36 Prozent sind vollständig gegen Covid-19 geimpft. "Das ist sehr frustrierend", sagte der 34-jährige Demonstrant Felipe Rocha, der immer noch auf seine erste Impfspritze wartet.
Bolsonaro wird vorgeworfen, durch eine Verharmlosung der Pandemie die rasante Ausbreitung des Coronavirus befördert zu haben. Er hatte Covid-19 als "kleine Grippe" bezeichnet und Maßnahmen von Bundesstaaten und Kommunen zur Eindämmung der Pandemie auch wegen ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaft kritisiert.
Zudem zog Bolsonaro die Wirksamkeit der Impfstoffe in Zweifel und verstieß immer wieder gegen die Maskenpflicht. Seine Weigerung, die Gefahren durch das Virus anzuerkennen, seien "absurd", sagte der 50-jährige Robert Almeida bei einer Demonstration in Rio de Janeiro. Der Staatschef habe sich "schon von der Realität verabschiedet".
Ex-Präsident ruft zu Protesten auf
Zu den Protesten hatte ein breites Bündnis aus sozialen Organisationen, Gewerkschaften, Parteien und Politikern aufgerufen. Zu ihnen zählte auch der linksgerichtete Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, potenzieller Herausforderer Bolsonaros bei der Präsidentschaftswahl kommendes Jahr.
Auf Twitter kritisierte Lula: "500.000 Tote durch eine Krankheit, gegen die es eine Impfung gibt, in einem Land, das eine weltweite Referenz in Sachen Impfungen war. Das hat einen Namen: Genozid." Der Umgang der Regierung Bolsonaro mit der Pandemie wird bereits von einem Parlamentsausschuss untersucht.
Das größte Land Lateinamerikas war zu Jahresbeginn von einer heftigen zweiten Infektionswelle erschüttert worden, zwischenzeitlich wurden täglich mehr als 4000 Tote verzeichnet. Trotz der sich abzeichnenden dritten Infektionswelle entschied Bolsonaro unlängst, dass sein Land die südamerikanische Fußball-Meisterschaft Copa América ausrichtet, nachdem Kolumbien und Argentinien dies abgelehnt hatten.
Quelle: ntv.de, Louis Genot, AFP