Koalition will Abgaben deckeln Verrutschte Alterspyramide lässt Gesundheitskosten explodieren
05.09.2025, 19:53 Uhr Artikel anhören
Erst im Januar erhöhten die Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge, um explodierende Gesundheitskosten aufzufangen. Allerdings lässt die Bevölkerungsentwicklung der kommenden Jahre keine Entwarnung zu. Und eine Festlegung der Bundesregierung limitiert die Lösungsansätze.
Das deutsche Gesundheitssystem ist gut, aber immens teuer. Zum Jahresbeginn stiegen auf breiter Front die Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenkassen - im Durchschnitt auf 2,9 Prozent. Die kommen auf den allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns obendrauf und schlagen sich positiv in den Bilanzen der Krankenkassen nieder.
Im ersten Halbjahr stiegen ihre Überschüsse auf 2,8 Milliarden Euro. Heißt: Durchatmen nach Rekorddefiziten im vergangenen Jahr. Dennoch ist an Entwarnung nicht zu denken - aus zweierlei Grund.
Kosten für Krankenhausbehandlungen explodieren
Zum einen stiegen die Ausgaben der Krankenkassen in den ersten sechs Monaten um 7,95 Prozent auf 166,1 Milliarden Euro. Starke Treiber der Entwicklung sind Arzneimittel (6 Prozent Zuwachs), Ärzte (7,8 Prozent) und Krankenhausbehandlungen (9,6 Prozent). Letztere stiegen bereits in den Vorjahren stark - zwischen 2020 und 2024 um rund 25 Prozent - und nun eben nochmals um fast zehn Prozent, binnen sechs Monaten. Der Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Oliver Blatt, kommentiert gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: "So kann es nicht weitergehen, solche Steigerungsraten hält kein Gesundheitssystem der Welt auf Dauer aus." Schaut man sich die demografische Entwicklung Deutschlands an, steht allerdings genau das zu befürchten. Und damit sind wir beim zweiten Grund für die enorme Skepsis.
Denn besonders die Zahl älterer Menschen wächst in Deutschland seit Jahren. Grafische Darstellungen der Altersverteilung haben sich von der klassischen Pyramide - unten eine breite Basis junger Menschen, oben eine schmale Spitze Älterer - schon lange und sehr weit entfernt. Mittlerweile ist daher eher von einem Alterstannenbaum oder einer Alterszwiebel die Rede.
Aber gerade ältere Menschen kosten die Krankenkassen pro Kopf besonders viel Geld. 2024 fallen in der Gruppe der 65- bis 85-Jährigen pro Kopf jährliche Gesundheitskosten von 10.150 Euro an. Zum Vergleich: Für Menschen zwischen 15 und 30 Jahren ist es nicht mal ein Viertel (2450 Euro). Besonders hoch sind die Ausgaben allerdings bei Hochbetagten, also Menschen jenseits von 85 Jahren. 25.350 Euro pro Jahr und pro Person schlagen hier bei den Krankenhauskosten zu Buche.
Laut Statistischem Bundesamt gab es 2024 in Deutschland rund drei Millionen Hochbetagte. Ihre Zahl hat sich seit 1991 mehr als verdoppelt. Seinerzeit waren es 1,2 Millionen Menschen. Berücksichtigt man alle Menschen über 80 Jahre, sind es gegenwärtig ungefähr sechs Millionen. Prognosen gehen davon aus, dass ihre Zahl 2050 auf zehn Millionen steigen wird. Sie würden dann aller Voraussicht nach 13 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.
Da die schwarz-rote Bundesregierung die Versicherten nicht weiter belasten und die Beiträge konstant halten will, gibt es nicht viele Auswege aus der Kostenfalle. Einer ist, die Krankenkassen über zusätzliche Darlehen zu stabilisieren, wie Gesundheitsministerin Nina Warken im Bundestag ankündigte. Die sind in den Etatentwürfen des Kabinetts für 2025 und 2026 bereits vorgesehen. Allerdings war zum Zeitpunkt des Beschlusses bereits klar, dass sie die Kostensteigerungen nicht abdecken würden. Ein noch höherer Zuschuss ist zumindest für 2025 nicht eingeplant, wie Unions-Haushaltsexperte Christian Haase nach abschließenden Ausschussberatungen mitteilte.
Kanzler hinterfragt Leistungsniveau
Einen gänzlich anderen Weg zur finanziellen Entlastung des Gesundheitswesens deutete Kanzler Merz Mitte Juli an. Laut "Stern" sagte er, es gehe auch darum, "das Leistungsniveau zu diskutieren". "Wo fängt Eigenverantwortung an, wo hört Eigenverantwortung auf und geht in Solidarität über?" Diese Grenzen müssten "auch neu gezogen werden", so der CDU-Chef weiter. Worauf konkret Merz anspielte, ließ er offen.
Die Krankenkassen selbst finden, die Diskussion gehe in die völlig falsche Richtung. "Wir glauben nicht, dass wir die Diskussion um die notwendigen Reformen mit Leistungskürzungen für kranke Menschen beginnen sollten", sagte ein Sprecher des GKV-Spitzenverbands laut "Stern".
Passieren muss in jedem Fall etwas, denn der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt seit Beginn der Neunziger Jahre nahezu kontinuierlich. Nach nachvollziehbarerweise einem extremen Hoch von 12,9 Prozent des BIP im Pandemie-Jahr 2021 ging er zuletzt wieder leicht zurück. Mit 12 Prozent liegt er jedoch noch immer über allen Werten vor dem Corona-Ausbruch - und dürfte auch in den kommenden Jahren weiter steigen. Denn aus der Alterszwiebel wird so schnell nicht wieder eine Pyramide werden.
Quelle: ntv.de