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Wer heilt, hat recht? Wenn Heilungsversprechen tödlich enden

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Erkrankte Menschen sind besonders verletzlich, das machen sich selbst ernannte Gurus zu nutze.

Erkrankte Menschen sind besonders verletzlich, das machen sich selbst ernannte Gurus zu nutze.

(Foto: IMAGO/Shotshop)

Es ist das vermeintlich stärkste Argument, das selbst ernannte Heiler vorbringen: Schaut auf meine Erfolge: "Wer heilt, hat recht!" Doch dieser Satz ist nicht nur Augenwischerei, sondern kostet jedes Jahr Leben.

Es gibt sie zuhauf, hauptsächlich im Bereich der modernen Esoterik oder auch sogenannter Sekten und problematischer Gruppen: Menschen, die behaupten, dass sie andere Menschen von Krankheiten und Beschwerden heilen können. Gruppen wie der Bruno-Gröning-Freundeskreis, die sogenannte "Christliche Wissenschaft" oder Personen wie das Oberhaupt der Christlich-Essenischen-Kirche, der Reiki-Meister Eckhardt Strohm, sind nur einige wenige Beispiele dafür.

Sie führen in Gesprächen oder auf ihren Webseiten die Zeugnisse und Testimonials von Dutzenden Menschen an, die über ihre erfolgreiche Heilung berichten. Dahinter steht das vermeintlich starke Argument, das mal mehr, mal weniger explizit ausgesprochen wird: "Wer heilt, hat recht!" Schnell stellt man fest: Dieser Ausspruch gleicht fast einem Dogma im alternativmedizinischen Bereich. Doch wie viel Wahrheit steckt in diesem Mantra? Um es vorwegzunehmen: keine.

Das Bild, das bei solchen Testimonials gezeichnet wird, ist ein verzerrtes. Was präsentiert wird, sind die (scheinbaren) Erfolge, die oft über Jahre oder sogar Jahrzehnte systematisch gesammelt und hervorgehoben wurden. Was man dabei aber nicht sieht - und das ist der Schlüssel zur Wahrheit - sind die vielen, bei denen sich nichts gebessert hat. Die Fälle, in denen der vermeintliche Heilerfolg ausblieb, werden stillschweigend ignoriert.

Und noch mehr als das. Denn ein vermeintlicher Heilungserfolg ist nicht immer unbedingt von Dauer. Ein Beispiel: Der erste Junge, den der angebliche Heiler Bruno Gröning (1906-1959) geheilt haben soll, starb acht Jahre später an derselben Krankheit, die Gröning "besiegt" hatte. Doch davon hört man nichts - Rückfälle oder Krankheiten, die nach Jahren wiederkehren, werden in den vermeintlichen Heilungsgeschichten nicht erwähnt. Dabei sind sie der wichtigste Teil der Wahrheit, denn sie zeigen, dass da gar nichts geheilt wurde.

Die Macht des eigenen Geistes

Und dann gibt es da die gut bekannten und untersuchten psychologischen und medizinischen Vorgänge, die vermeintliche Heilungswunder erklären können - ganz ohne übernatürliche Eingriffe.

Da wäre etwa der Placebo-Effekt. Allein der Glaube an eine Besserung kann dazu führen, dass sich der Zustand eines Menschen kurzfristig verbessert. Es ist gut dokumentiert und wissenschaftlich untersucht, dass die eigene Erwartung eine erstaunliche Wirkung auf das subjektive Empfinden von Patientinnen und Patienten haben kann. Menschen glauben, dass sie gesund werden, wenn sie zu einem bestimmten Heiler gehen - und tatsächlich fühlen sie sich für eine Weile besser. Manche Beschwerden können sogar ganz verschwinden. Aber was hier wirkt, ist die Macht der eigenen Psyche, nicht die des Heilers oder der Heilerin.

Und natürlich hat unser Gesundheitssystem einen erheblichen Mangel: Dass nämlich Ärztinnen und Ärzten oft die Zeit fehlt, sich intensiv mit ihren Patientinnen und Patienten zu unterhalten und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie sie wirklich als Menschen ernst und wahrnehmen. Da können die wohltuenden Worte der Heiler und die Zeit, die sie investieren, tatsächlich Wunder wirken.

Ein weiteres Phänomen ist die Frage nach dem passenden Zeitpunkt, zu dem jemand zu einer Person mit vermeintlichen Heilkräften geht. Viele Krankheiten verlaufen in Zyklen, mit Phasen der Besserung und Verschlechterung. Wenn ein Patient in einer natürlichen Erholungsphase einen Heiler aufsucht, wird der Erfolg automatisch dem Eingreifen des Heilers zugeschrieben. Dabei hätte die Besserung ohnehin stattgefunden, der Heiler war lediglich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Unerklärliche Spontanheilungen sind sehr selten

Und dann wären da noch die Effekte, die man als Nebeneffekte einer (fast beliebigen) Therapie bezeichnen könnte, die sich Zeit für Patienten nimmt. Wenn sich ein Patient darauf einlässt, regelmäßig Rituale durchzuführen - sei es, dass er ein Bild des Heilers auf eine schmerzende Stelle legt, sich mehrmals am Tag auf "positive Energien" einstellt oder sich intensiv auf Heilung konzentriert - verändert sich die Art, wie er seinen Körper wahrnimmt.

Er achtet plötzlich viel mehr auf sich selbst, bemerkt vielleicht kleine Veränderungen, die ihm vorher gar nicht aufgefallen wären, und fühlt sich dadurch manchmal besser, auch wenn sich die Krankheit selbst nicht wirklich verändert hat. Diese erhöhte Achtsamkeit kann leicht das Gefühl vermitteln, dass die Therapie wirkt, obwohl keine tatsächliche gesundheitliche Verbesserung stattfindet.

In der Tat gibt es auch dauerhafte Spontanheilungen - Fälle, die medizinisch unerklärbar sind und bleiben. Sie sind allerdings extrem selten und können nicht bewusst herbeigeführt werden. Sie treten Schätzungen zufolge bei maximal einem von 60.000 -100.000 Krebspatienten auf. Und der Clou dabei ist, dass sie nichts mit vermeintlichen Heilkräften zu tun haben, denn sie treten auch außerhalb jeglicher alternativmedizinischer oder esoterischer Kontexte auf.

Vorsicht vor "Regelungsschmerzen" oder "Erstverschlimmerung"

Besonders problematisch wird es, wenn Patienten, bei denen sich ganz offensichtlich keine Besserung einstellt, eingeredet wird, dass sich doch eine Besserung einstellt. Anders formuliert: Wenn Symptome einer Krankheit einfach umgedeutet werden. Statt einer tatsächlichen Heilung wird das fortwährende Leiden dann einfach als "Teil des Prozesses" erklärt. So werden Schmerzen beim Bruno-Gröning-Freundeskreis plötzlich als "Regelungsschmerzen" bezeichnet - angeblich Anzeichen dafür, dass der Körper sich reinigt und heilt.

Diese Umdeutung der Krankheitssymptome vernebelt den Blick auf die Realität. Menschen, die noch immer leiden, glauben, sie seien auf dem Weg der Besserung, während ihre Erkrankung ungehindert fortschreitet. In der Homöopathie, die nicht über den Placebo-Effekt hinaus wirkt, gibt es mit der sogenannten "Erstverschlimmerung" übrigens ein ähnliches Konzept.

"Wer heilt, hat recht" - angesichts all dieser Erklärungen wirkt das Argument plötzlich nicht mehr so kräftig. Schließlich hat auch die Medizin unzählige Heilungen vorzuweisen. Und die basieren nicht auf anekdotischer Evidenz oder der willkürlichen Auswahl irgendwelcher Testimonials, sondern auf handfesten wissenschaftlichen Studien.

Vorsicht ist also geboten, wenn sich jemand auf dieses Argument zurückziehen muss, weil er bei allen anderen Erklärungsversuchen ins Hintertreffen gerät. Der Satz "Wer heilt, hat recht" ist eine Augenwischerei, mit der vermeintliche Heiler und problematische Gruppierungen darüber hinwegtäuschen, dass es keinerlei Belege dafür gibt, dass ihre Methoden funktionieren. Im schlimmsten Fall führt das zu einer Therapieverschleppung, die tödlich enden kann.

Quelle: ntv.de

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