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Verhungern an "Lichtnahrung" Esoterik, die über Leichen geht

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Anhänger der Prana-Diät glauben, dass sie sich nur von Sonnenlicht ernähren können.

Anhänger der Prana-Diät glauben, dass sie sich nur von Sonnenlicht ernähren können.

(Foto: picture alliance / SULUPRESS.DE)

Ein Säugling stirbt, weil sein Vater einer gefährlichen esoterischen Lehre anhängt. Das Konzept der "Lichtnahrung" behauptet, man könne ohne feste Nahrung, nur allein durch Sonnenlicht überleben. Das ist gefährlicher Unsinn, der Menschen in den Tod treiben kann.

Es ist eine tragische Geschichte, die weltweit Schlagzeilen macht: Der 44-jährige russische Influencer und Lifestyle-Blogger Maxim Lyutyi hat sein neugeborenes Baby verhungern lassen. Er war überzeugt, dass es keine Nahrung, sondern nur Licht zum Leben braucht. Sein Sohn namens Kosmos wurde kaum einen Monat alt und wog gerade einmal 1,5 Kilogramm. Vor Gericht hat sich der Mann inzwischen schuldig bekannt, ihm drohen bis zu acht Jahre Haft wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung.

Ljutyi hatte einen Plan: Er wollte seinen Sohn nach der Prana-Diät aufziehen - einer Methode, bei der Menschen angeblich über lange Zeiträume hinweg auf Nahrung und Wasser verzichten und sich stattdessen ausschließlich "von der Sonne ernähren". Ihm wird vorgeworfen, seine Partnerin daran gehindert zu haben, das Kind zu stillen. "Er wollte mit dem Kind experimentieren, es nur mit der Sonne ernähren und dann bei anderen dafür werben, dass man sich so ernähren kann", heißt es.

Diese Geschichte ist grausam, das dahinterliegende Konzept jedoch nicht neu. Die "Prana-Diät" ist besser bekannt unter der Bezeichnung "Lichtnahrung" oder unter dem englischen Begriff "Breatharianism". Und diese Diät ist tatsächlich so einfach, wie der Name vermuten lässt. Sonnenlicht ist - so die "reine Lehre" - die einzig erlaubte Nahrungsquelle. Allenfalls ein wenig Wasser wird gelegentlich geduldet. Immer wieder taucht dieses Konzept in esoterischen Zusammenhängen auf, und immer wieder kommt es in diesem Zusammenhang auch zu Todesfällen: Mindestens sechs Menschen sind nachweislich aufgrund dieser Lehre gestorben. Die bekanntesten und aktuellsten Fälle sind die des 22-jährigen Deutschen Finn Bogumil, der 2017 auf der Karibik-Insel Dominica starb, und der eben erwähnte tragische Fall des kleinen Kosmos'.

Die Idee der Lichtnahrung ist nicht nur lebensgefährlich, sie ist wissenschaftlich gesehen auch absoluter Unfug. Ein Leben ohne Nahrungsaufnahme ist unmöglich. Niemand, der behauptet, sich ausschließlich von Licht und Luft zu ernähren, konnte dies bisher beweisen. Selbstversuche von Vertreterinnen und Vertretern dieser Lehre unter Beobachtung mussten entweder abgebrochen werden oder haben klar gezeigt, dass es nicht möglich ist. Maximal 50 bis 80 Tage können gesunde Menschen im Idealfall ohne Nahrungsaufnahme überleben, wenn sie genügend Wasser zu sich nehmen.

Ohne Flüssigkeit ist die Gefahr noch größer: Schon nach drei Tagen drohen bleibende Nierenschäden, Nierenversagen und schließlich tödliche Austrocknung. Wie aber kann es angesichts dieser Tatsachen sein, dass Menschen ernsthaft glauben, sich allein von Sonnenlicht ernähren zu können? Und woher kommt diese Vorstellung überhaupt?

Licht, Luft und Prana

An Beliebtheit gewonnen hat das Konzept der Lichtnahrung durch die australische Esoterikerin Ellen Greve alias Jasmuheen. Sie behauptet, dass sie sich seit 1993 fast ausschließlich von Licht ernähre - gelegentlich trinke sie Tee mit einem Schuss Milch und esse Honig und Schokolade. Sie hat einen dreiwöchigen sogenannten "Lichtnahrungsprozess" entwickelt, den sie vermarktet, und mit dem - so Greve - jede und jeder seine Nahrung umstellen könne auf das sogenannte "Prana". Dabei wird in der ersten Woche weder gegessen noch getrunken, danach 14 Tage lang nur Flüssigkeit zu sich genommen. Nach 21 Tagen kann wieder normal gegessen werden. Jasmuheen behauptet, dass nach diesem Prozess ein dauerhafter Verzicht auf feste Nahrung mithilfe von "Energiewesen" möglich sei.

Zur Popularität des Konzepts trug auch der österreichische Dokumentarfilm "Am Anfang war das Licht" (2010) bei, der die Lichternährung thematisiert. Regisseur Peter-Arthur Straubinger trifft darin Menschen, die sich nach eigenen Angaben ausschließlich von Licht ernähren. Er versucht, mögliche Erklärungen für das Phänomen zu finden - unter der Annahme, dass Lichtnahrung tatsächlich existiert. Der Film wurde heftig kritisiert, als manipulativ, einseitig und unwissenschaftlich. Kritiker werfen dem Filmemacher einen verantwortungslosen Umgang mit dem Thema vor.

Zwei Lehren verbinden sich zu einer gefährlichen Idee

Prana - das ist es, was bei den Anhängerinnen und Anhängern der Lichtnahrung im Zentrum steht: die "göttliche Energie". Es ist ein Begriff aus dem Hinduismus, der - wie viele Ideen und Konzepte aus fernöstlichen Religionen - Eingang in die westliche Esoterik gefunden hat. Mit den Ursprüngen hat das meist wenig bis gar nichts zu tun. Zwar gibt es auch im Hinduismus Fasten und asketische Vorstellungen, aber nirgendwo wird angenommen, man könne allein durch Prana völlig ohne Nahrungsaufnahme leben.

Die "Lichtnahrung" ist also eine moderne esoterische Idee, die keinerlei traditionelle Verwurzelung hat. Es ist, so könnte man sagen, eine Verbindung zweier Konzepte: Zum einen des Konzepts, dass man als Mensch auf höhere Bewusstseinsebenen aufsteigen könne. Dabei handelt es sich um eine Art "spirituelle Selbstoptimierung", die in der Esoterik-Szene nicht unüblich ist. Ausgedrückt wird das häufig durch die Idee, man müsse bestimmte Methoden anwenden, um mit einer "göttlichen Sphäre" in Kontakt zu treten oder "eins mit dem Universum zu werden" - typische Formulierungen, wie man sie häufig findet. Das andere Konzept ist tatsächlich eines, das in nahezu allen Religionen in irgendeiner Form vorkommt: das Fasten. In der Regel findet man es aber in Formen vor, die auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt sind und auch Ausnahmen für Kinder, Kranke, Alte und schwache Menschen vorsehen - zum Beispiel im Ramadan bei den Muslimen.

Die Sehnsucht nach "Mehr"

Aus dieser Verbindung entsteht offenbar die gefährliche Vorstellung, man könne dauerhaft und uneingeschränkt ohne Nahrung leben und sich so zu höheren Bewusstseinsstufen aufschwingen. Und das ist auch der Punkt, der diese Lehre offenbar für viele so attraktiv macht. Sie spricht eine Sehnsucht an, die uns Menschen seit jeher umtreibt: Die Sehnsucht nach einem "Mehr", nach etwas, das über das hinausgeht, was wir sehen. Viele Religionen sprechen seit Jahrtausenden genau diese Sehnsucht an.

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Damit verbunden ist bei der Lichtnahrung die Ablehnung des Materiellen, hier in Form von Nahrung. Das, was uns biologisch gewissermaßen zu Lebewesen macht, der Stoffwechsel, soll hier auf ein Minimum reduziert werden. Was also als lebensfreundlich und lebensfördernd verkauft wird, ist in Wirklichkeit zutiefst lebensfeindlich. Im Konzept der "Lichtnahrung" kommt eine sehr starke Ablehnung des menschlichen Körpers und all dessen, was ihn mit der materiellen Welt verbindet, zum Ausdruck.

Und hier wird es gefährlich. Anstatt anzuerkennen, dass Menschen Wesen sind, die in einer physischen Welt leben und nur in Verbindung mit ihr überleben können, wird suggeriert, es gäbe eine Möglichkeit, sich dieser Verbindung zu entziehen und dadurch ein glücklicheres Leben zu führen. Was zählt, ist allein die geistige Ebene. Sie gilt als besonders rein und erstrebenswert. Nur in ihr, so glauben die Anhängerinnen und Anhänger, lässt sich das Streben nach Reinheit und einem perfekten Leben verwirklichen. Besonders gesund, besonders rein, besonders göttlich: Das passt gut in unsere Welt, die nach ständiger Selbstoptimierung schreit. In der das Ideal herrscht, dass jeder perfekt, schön und erfolgreich sein muss. Bei der Lichtnahrung treibt diese Vorstellung Menschen in den Tod.

Quelle: ntv.de

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