
In einem zielführenden Coachingverhältnis sollte die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung des Coachees gefördert und gestärkt werden.
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Es kann guttun, in gewissen Situationen die Hilfe eines Life-Coaches in Anspruch zu nehmen. Doch der Markt ist kaum reguliert und unübersichtlich. Das ist problematisch, denn Coaching-Situationen sind anfällig für toxische Beziehungen und Strukturen. Der Weg zum Guru ist oft nicht weit.
"Finde heraus, wer du wirklich bist - und sein kannst. Erkenne dein wahres Potenzial und finde deinen Weg in ein glücklicheres und erfolgreiches Leben!" Diese Sätze gehören zu den ersten, die man liest, wenn man in einer Suchmaschine den Begriff "Life Coaching" eingibt und auf eine der ersten angezeigten Websites klickt. Das klingt doch ausgezeichnet - und spricht vermutlich sehr viele Menschen an. Wer möchte nicht sein volles Potenzial entfalten? Wer möchte nicht ein glücklicheres und erfolgreiches Leben führen?
Die Coaching-Szene boomt. Angebote von selbst ernannten Life-Coaches gibt es wie Bytes im Internet. Und es ist an sich auch nichts Schlechtes, sich Hilfe zu holen, wenn man merkt, dass man Unterstützung benötigt. Nur hat der Coaching-Markt ein großes Problem: Er ist weitestgehend unreguliert. Anders als bei einer professionellen Psychotherapie weiß man bei Life-Coaches nie so wirklich, wen man da vor sich hat. Es gibt zwar Zertifizierungen durch Institute, doch sind die so vielfältig und unübersichtlich, dass sie dann auch schon wieder wertlos sind, weil man kaum durchschaut, was genau dahintersteckt. Das hat zur Folge, dass es viele schwarze Schafe und unseriöse Coaches gibt. Denn "Coach" ist kein geschützter Begriff. Jede und jeder darf sich selbst als kompetent erklären, andere Menschen zu beraten, sich Life-Coach nennen und für seine Beratungsangebote mitunter horrende Summen verlangen.
In der Auseinandersetzung mit problematischen religiösen Gemeinschaften, sogenannten Sekten, fallen immer wieder auch Problemfelder auf, die auch die Coaching-Szene hat. Das beginnt mit den oben zitierten Sätzen: "Entdecke dein wahres Potenzial! Finde heraus, wer du wirklich bist!" Man sollte hellhörig werden, wenn Menschen anderen einzureden versuchen, dass bei ihnen etwas nicht in Ordnung ist. Es kommt vermutlich nicht von ungefähr, dass Life-Coaching-Angebote gerade auch in den vergangenen Jahren an Popularität gewinnen, in denen Social-Media-Plattformen ihren Siegeszug angetreten haben. Studien zeigen: Das ständige Vergleichen mit den vermeintlich perfekten (aber natürlich inszenierten) Leben diverser Influencer nagt am eigenen Selbstbild. Ein dankbarer Nährboden für die Botschaften derer, die sagen: Zum vollständigen Glück fehlt dir nur noch mein Coaching.
Das kann gefährlich werden. Mit gut klingenden Versprechen werden die Sehnsüchte von Menschen geweckt. Das kann der Beginn eines toxischen Verhältnisses sein - der Beziehung zwischen Coach und Coachee. Die Probleme spielen sich dabei besonders auf zwei Ebenen ab.
Nur mit perfektem Ich zum Glück?
Zum einen ist da der dahinterstehende grundlegende Gedanke, man müsse "sein volles Potenzial" ausschöpfen, um glücklich zu sein. Glücklich könne nur der- oder diejenige sein, der oder die beruflich und privat Erfolge vorweisen kann. Dunkle Flecken und schwierige Zeiten sind in diesem Ideal kein Teil eines erfolgreichen Lebens. Anstatt an der Korrektur dieses Bildes zu arbeiten und zu verdeutlichen, dass es kein Leben ohne Rück- und Niederschläge gibt, zielen unseriöse Coaching-Angebote darauf, dem Ideal vom perfekten Ich hinterherzuhecheln. Das kann natürlich niemals erreicht werden, auch nicht mit entsprechenden Methoden, die gerne finanziell lukrativ vermarktet werden. Damit locken, wenn man genau hinschaut, auch Gurus im religiös-sektiererischen Bereich, nur ist es da etwas anders konnotiert. Da geht es dann um den einen Heilsweg, der nur richtig beschritten wird, wenn man den Methoden und Anweisungen des Gurus folgt.
Die andere Ebene ist die der direkten Beziehung zwischen Coach und Coachee. Es gibt - leider - zahlreiche Methoden, die von unseriösen "Life-Gurus" dazu genutzt werden können, eine toxische Beziehung zu etablieren. Das Ignorieren der individuellen Bedürfnisse und Umstände des Coachee zugunsten eines standardisierten Programms, das nicht auf die spezifische Situation oder die Ziele des Coachee zugeschnitten ist, kann zu Frustration und Misserfolg führen. Überhöhte Versprechen führen dazu, dass Coachees an sich selbst zweifeln, wenn die Methoden nicht funktionieren. Damit einher geht, dass das bekannte psychologische Konzept der "Sunken Cost Fallacy" bewirkt, dass es für Coachees schwierig wird, sich von ihrem aktuellen Weg zu lösen. Die "Sunken Cost Fallacy" beschreibt die Tendenz, an einer Entscheidung festzuhalten oder weiter in ein Projekt zu investieren, weil bereits Zeit, Geld oder andere Ressourcen investiert wurden, auch wenn dies nicht die rational beste Entscheidung ist.
Und nicht zuletzt kennt man auch aus sogenannten Sekten das Phänomen des Kontaktabbruchs zum ehemaligen sozialen Umfeld. Dahinter steht im Kern der Gedanke, dass man auf seinem Weg zum Heil kritische Stimmen aus seinem Leben entfernen sollte. Diese Idee kann, besonders wenn sie in Form einer scheinbar harmlosen Frage wie "Was hindert dich daran, deine Ziele zu erreichen?" in Life-Coaching-Situationen eingeführt wird, zu problematischen Veränderungen in zuvor positiven Beziehungen führen. Kritisch-korrektive Stimmen, die Coachees vielleicht darauf hinweisen könnten, dass er oder sie sich verrannt haben könnte, gehören dann der Vergangenheit an.
Alles hat ein Ende, nur das Coaching nicht?
Natürlich ist nicht jede Coaching-Situation, nicht jedes Life-Coaching unseriös und problematisch. In bestimmten Lebensphasen können Menschen, die begleitend und beratend zur Seite stehen, sehr hilfreich sein. Auch wenn daran kein Zweifel besteht, ist doch Vorsicht geboten. Idealisierte, überzogene Versprechen, die das Bild eines perfekt funktionierenden Menschen zeichnen, können ebenso ein Warnhinweis sein wie eine fehlende klare Abgrenzung zu therapeutischen Leistungen. Coaching, das in den Bereich der Psychotherapie eingreift, ohne dass eine entsprechende Ausbildung und Zulassung vorliegt, kann nicht nur ineffektiv, sondern auch schädlich sein.
Und am Ende steht vielleicht die wichtigste Frage: Gibt es eine Exit-Strategie? Zielt das Coaching darauf ab, den Coachee lediglich für eine begrenzte Zeit zu unterstützen - mit dem klaren Ziel, ihn oder sie schließlich in die Lage zu versetzen, selbstständig und unabhängig eigene Entscheidungen zu treffen und den eigenen Lebensweg zu gestalten? Oder ist von Beginn an das Bestreben erkennbar, eine derart intensive und dauerhafte Bindung zwischen Coach und Coachee zu etablieren, dass die Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens ohne die ständige Unterstützung des Coaches nahezu undenkbar erscheint?
Diese Fragen sind wichtig. Ein gesundes und zielführendes Coachingverhältnis sollte immer darauf ausgerichtet sein, die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung des Coachees zu fördern und zu stärken, nicht aber eine permanente Abhängigkeit zu kreieren. Denn erreicht ein Life-Coach einen Punkt, an dem er oder sie nicht mehr als ein zeitlich begrenzter Wegbegleiter gesehen wird, hat er die Rolle eines einfachen Coaches längst verlassen. Dann hat er es geschafft, zum Guru zu werden, der großen Einfluss auf das Leben seiner Jüngerinnen und Jünger nimmt.
Quelle: ntv.de