Panorama

Dualismus und Apokalypse Die AfD - eine rechtsextreme Sekte?

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Der AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke auf einer Veranstaltung in Sundhausen.

Der AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke auf einer Veranstaltung in Sundhausen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Offiziell ist die AfD eine Partei, aber sie hat viele Gemeinsamkeiten mit einer Sekte. Das klingt zunächst wie ein schräger Vergleich. Es gibt aber bei den Weltbildern wie auch den dahinterstehenden Mechanismen durchaus Parallelen zwischen rechtsextremen Gruppierungen oder Parteien und sogenannten Sekten.

"Je mehr meine Familie Druck gemacht hat, hat das dazu geführt, dass ich den Kontakt abgebrochen habe. Das ist eine Strategie, die dahintersteht. Man möchte nicht, dass Mitglieder ein großes Sozialleben außerhalb der Gruppe haben, man möchte die schön an sich binden und das ist auch ein ganz großes Problem für viele, die drin sind. Sie haben niemanden mehr, zu dem sie außerhalb gehen können. Sie haben kein soziales Netz mehr."

Kontraktabbruch zur Familie, keine Freunde mehr außerhalb der eigenen Gemeinschaft - diese Worte klingen erschreckend. Und sie sind es auch. Das sind nicht die Worte eines ehemaligen Mitglieds der Zeugen Jehovas oder einer anderen sogenannten "Sekte". Im Zitat ist das entscheidende Wort ersetzt. Die "Gruppe", um die es hier geht, ist die AfD. Das Zitat ist von Franziska Schreiber. Schreiber ist 33 Jahre alt und war mehrere Jahre Mitglied der AfD - einer Partei, die in Teilen als dezidiert rechtsextrem gilt. Und sie ist nicht die einzige, die so über ihre ehemalige Partei spricht.

Das ist keine abwegige These: Es gibt viele Parallelen zwischen rechtsextremen Gruppierungen und sogenannten Sekten. Auch ohne religiösen Überbau sind hier ähnliche soziologische und psychologische Mechanismen am Werk. Doch was ist eigentlich eine "Sekte"? Der Begriff wird heute inflationär verwendet. Während für die einen alles, was fremd erscheint, gleich eine "Sekte" ist, ist es für die anderen alles, was mit Religion zu tun hat - wie zum Beispiel die großen Kirchen in Deutschland.

Mit diesem Verständnis kommt man allerdings nicht sehr weit. Der Begriff "Sekte" wird heute im religionswissenschaftlichen Diskurs in der Regel vermieden. Vielmehr betrachtet man Gruppen und Gemeinschaften nach verschiedenen Kriterien, die sie "konfliktträchtig" oder "toxisch" machen. Viele dieser Kriterien finden sich auch in rechtsextremen Gruppierungen oder Parteien wie der AfD.

Die anderen - das sind die "Feinde"

Ein charakteristisches Merkmal sogenannter Sekten ist, dass sie häufig einen sehr starken Dualismus vertreten. Das heißt: ein extremes Schwarz-Weiß-Denken. Es gibt die Guten und die Bösen. Grautöne? Fehlanzeige. Während sich dies in religiösen Kontexten sehr häufig im Glauben an eine vermeintlich "satanische Welt" ausdrückt, die es abzulehnen und zu fürchten gilt, sind die Feindbilder in rechtsextremen Kreisen andere. Sie sind aber nicht weniger präsent. Es sind die Flüchtlinge, die "links-grün-versiffte Gesellschaft", die vermeintliche "Lügenpresse" oder (internationale) Organisationen.

Ähnlich wie bei sogenannten Sekten werden diese Feindbilder oft als monolithische Blöcke dargestellt, gegen die man sich zur Wehr setzen müsse. Wenn beispielsweise der ehemalige AfD-Politiker Dieter Görnert fordert, man solle "das Pack zurück nach Afrika prügeln" oder "auf der Stelle erschießen", dann zeugt das genau davon. Die Komplexität realer gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse wird dabei ignoriert oder bewusst vereinfacht, um die eigene Weltanschauung zu stärken und die Anhängerschaft zu mobilisieren.

Ein solcher Dualismus ist attraktiv, weil er Sicherheit bietet - sowohl in religiös-fundamentalistischen als auch in ideologischen Zusammenhängen. Wenn das Feindbild klar ist, ist auch das daraus resultierende Handeln klar.

Vollbeschäftigung und Kontaktabbruch

Typisch für sogenannte Sekten ist auch das, was Franziska Schreiber im ausführlichen Zitat beschreibt. Das gesamte soziale Leben ist auf die jeweilige Gruppe ausgerichtet. Es ist ein wesentliches Merkmal vieler problematischer Gruppen, dass es quasi eine Vollbeschäftigung gibt, die ganz auf die Gemeinschaft ausgerichtet ist. Das hängt nicht unwesentlich mit dem eben erwähnten Dualismus zusammen, denn Schwarz-Weiß-Denken hat genau das zur Folge. Es ist logisch, seine Zeit auf der "guten Seite" zu verbringen.

Dabei gilt: Es ist nicht per se schlecht, viel Zeit in eine Gemeinschaft zu investieren, in der man sich engagiert. Problematisch wird es dann, wenn es keine Anknüpfungspunkte oder Kontakte nach außen mehr gibt, um sich konstruktiv mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen. Jörg Meuthen, ehemaliger Parteivorsitzender der AfD und inzwischen parteilos, sagt, er habe irgendwann nur noch die Nummern von AfD-Parteikollegen in seinem Handy gehabt. Und er fügt hinzu: "Man ist in so einem Maschinenraum in der Partei drin, man kriegt die anderen Positionen nicht mehr". Ähnliche Mechanismen kennt man auch von den Zeugen Jehovas - dort gibt es eine offizielle Doktrin, die den Kontakt zu ehemaligen Mitgliedern verbietet. Zu Menschen also, die aus Sicht der Gruppe nun auf der "falschen Seite" stehen und durch kritische Nachfragen das eigene Weltbild ins Wanken bringen könnten.

Die Apokalypse naht

Sowohl sektiererische Gruppen als auch rechtsextreme Ideologien leben von der Angst. Nicht nur von der Angst vor der bösen, satanischen Außenwelt, sondern auch von der Angst vor dem Untergang. Deshalb ist es für solche Gruppen enorm wichtig, ein apokalyptisches Szenario aufrechtzuerhalten und zu schüren. Für Franziska Schreiber war das ein ganz wesentlicher Punkt, wie sie heute über ihre Mitgliedschaft in der AfD sagt: "Ich habe Angst gehabt vor ganz vielen Sachen. Ich habe Angst gehabt, dass ich mir keine Zukunft aufbauen werde können. Irgendwann ist es einem egal, was Höcke wieder gesagt hat, wie viele Rassisten in der AfD sind, solange nur diese schlimme Sache nicht passiert, vor der man da die ganze Zeit Angst gemacht kriegt." Und: "Je schlimmer das Horror-Szenario ist, was man an die Wand wirft, umso höriger werden einem die Menschen."

Angst ist ein typisches Motiv auch für schädliche religiöse Überzeugungen - in mehrfacher Hinsicht. Zum einen gibt es in vielen sogenannten Sekten natürlich die Angst vor einer konkreten Apokalypse, die im christlichen Kontext in der Offenbarung (angeblich) ausführlich beschrieben ist: Seuchen, Erdbeben und der Sprung in den ewigen Feuersee für all jene, die auf der falschen Seite stehen. Ein Blick in die Geschichte sogenannter Sekten zeigt, dass die Vorstellung einer nahenden Apokalypse verheerende Auswirkungen haben und in tödliche Gewalt münden kann.

In Tokio forderte ein Giftgasanschlag der "Aum-Sekte" in der U-Bahn 13 Tote und Hunderte Verletzte. Jim Jones trieb 1978 über 900 seiner Anhängerinnen und Anhänger in den Tod, weil er eine düstere Zukunft zeichnete. Und im Jahr 2000 starben Hunderte Menschen bei einem Brand in einer Kirche der "Bewegung für die Wiederherstellung der Zehn Gebote" in Uganda - auch sie glaubten, die Apokalypse stehe unmittelbar bevor.

Angst kann dazu führen, dass Menschen bis zum Äußersten gehen. Dass sie, unter bestimmten Umständen, Gewalt gegen sich oder andere anwenden. Und von einer solchen Angst leben auch rechtsextreme Gruppierungen und Populisten. Bei der AfD ist es nicht die Erfüllung der biblischen Offenbarung. Dort wird die Angst vor dem Zerfall unserer Gesellschaft geschürt, vor Überfremdung, Inflation, drohender Armut, vor dem Verlust der eigenen Identität. Es ist eine säkulare Apokalypse.

Und man könnte die These vertreten: Ohne eine solche Grundangst funktionieren weder sektiererische noch rechtsextreme Ideologien. Sie sind darauf angewiesen, dass ihre Mitglieder in Angst und Unsicherheit leben. Deshalb reproduzieren sie ohne Unterlass beängstigende Narrative und teilen entsprechende Nachrichten. Das Heraufbeschwören dieser Krisen dient auch dazu, die eigene Gruppe als einzigen Rettungsanker in einer vermeintlich dem Untergang geweihten Welt darzustellen. Jim Jones beispielsweise schottete in der Zeit vor dem Massen(selbst-)mord seine Anhänger*innen komplett von der Außenwelt ab. Sie hatten keine Chance, sich ein realistisches Bild von der Welt zu machen, weil alles durch ihn und seine krude apokalyptische Botschaft gefiltert wurde.

Nur was man kennt, kann man auch erkennen

Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie der Blick auf problematische Religionsgemeinschaften Muster erkennen lässt, die auch in nicht-religiösen Kontexten auftreten. Um diese Muster zu erkennen, muss man sie kennen. Es wird deutlich: Ähnlich wie sogenannte Sekten spielen auch (rechts-)extremistische Gruppierungen wie die AfD mit tiefen menschlichen Bedürfnissen nach Zugehörigkeit, Sicherheit und Sinn. Gleichzeitig nutzen sie Angst und Verunsicherung, um ihr Weltbild zu festigen und Kritik zu unterbinden. So bleibt den Menschen in solchen Kontexten am Ende vermeintlich nur eine Option: sich ganz auf die eigene Gruppe einzulassen, weil nur sie den Weg zum (religiösen, politischen, sozialen ...) Heil hat.

Und am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es wichtig ist, diese Mechanismen zu sehen und zu verstehen. Sowohl rechtsextreme Gruppen als auch problematische religiöse Gruppen sprechen Bedürfnisse an, die wir alle haben. Denn nur was man kennt, kann man auch erkennen. Und nur dann kann man sich und andere schützen.

Quelle: ntv.de

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