System der totalen Abhängigkeit Wie Charles Manson seine Jünger zu Mördern machte


Manson war überzeugter Rassist und Antisemit.
(Foto: imago/ZUMA Press)
Charles Manson zählt zu den berüchtigtsten Figuren der Kriminalgeschichte. Auch wenn er selbst - soweit man weiß - nie einen Menschen getötet hat. Dennoch gehen zahlreiche Morde auf sein Konto, weil er es geschafft hat, in sektiererischen Strukturen andere Menschen zu fanatisieren. Aber wie? Und was war sein Motiv?
Es ist der Abend des 8. August 1969. Sharon Tate, Ehefrau von Star-Regisseur Roman Polański und selbst erfolgreiche Hollywood-Schauspielerin, kehrt mit drei Freunden nach einem üppigen Abendessen in ihr Haus im Cielo Drive in Beverly Hills zurück. Tate ist hochschwanger, in zwei Wochen soll ihr Baby auf die Welt kommen. Doch sie wird diese Nacht nicht überleben. Um Mitternacht verschaffen sich vier Personen Zutritt zu der Villa in Beverly Hills. Sie sind gekommen, um zu töten. Mit Messern und einer Pistole ermorden die Einbrecher alle anwesenden Personen.
Die Mörder waren Mitglieder einer kleinen Hippie-Gruppe. Sie wurden geschickt von ihrem Guru, dem sie bedingungslos folgten: Charles Manson. Manson war ein Mann, der mit Kriminalität aufgewachsen war, bereits im Alter von 13 Jahren verübte er seinen ersten bewaffneten Raubüberfall. Schon im Alter von 20 Jahren hatte er den größten Teil seines Lebens in Jugendstrafanstalten verbracht. Wie konnte ein Mann wie Manson eine kleine, sektiererische Gruppe an sich binden - und zwar so extrem, dass sie für ihn mordeten? Und was war sein Motiv?
Manipulation, Unterwerfung, Fluktuation
In der Zeit seiner Haft beschäftigte sich Manson viel mit der Frage, wie man Menschen beeinflussen kann. Er hatte viel Kontakt zu Zuhältern, mit denen er immer wieder ins Gespräch kam. Besonders interessierte ihn, welche Methoden und Manipulationen sie nutzen, um ihre Prostituierten zu kontrollieren. Der weltbekannte Autor und Kommunikationstrainer Dale Carnegie hatte wohl ebenfalls Einfluss auf das Denken von Charles Manson. Carnegie hatte 1936 einen Bestseller geschrieben, der bis heute weltweit verlegt wird: "How to win friends and influence people". In diesem Buch gibt er Ratschläge, wie man positivere soziale Beziehungen aufbauen, Einfluss gewinnen und andere überzeugen kann. Zum Beispiel: Gib den Menschen ehrliche und aufrichtige Wertschätzung; interessiere dich ernsthaft für andere Menschen; höre gut zu und ermutige andere, über sich zu erzählen. Für Manson waren besonders zwei Punkte wichtig: "Rede darüber, was der andere will und zeige ihm, wie er es bekommen kann" und "Lass den anderen denken, dass es seine Idee war" - Carnegie dachte bei diesen Techniken an einen positiv geprägten sozialen Umgang. Für Manson waren sie aber natürlich ein gefundenes Fressen, wenn es um die Frage ging, wie man andere Menschen manipulieren kann.
Nach seiner Entlassung zog Manson nach San Francisco. Dort, an der Westküste Kaliforniens, traf er auf eine Hippie-Kultur, deren Grundstimmung ihm entgegenkam. Und die er auszunutzen wusste: Psychedelische Drogen, freie Liebe, die Suche nach gesellschaftlichen Veränderungen und neuen Führungsfiguren waren der optimale Nährboden für Charles Manson, um damit zu beginnen, Anhänger*innen um sich zu scharen. So entstand nun die Gruppe um Charles Manson, die sich selbst erst einmal nur "The Family" nannte - von anderen wurde sie oft als "The Manson Family" bezeichnet. Zu seinen Anhänger*innen zählten vorwiegend junge Frauen. Die Anzahl variierte stark, es herrschte zu der meisten Zeit ein Kommen und Gehen, es gab wohl einen festen Kern von rund 20 Personen.
Manson nutzte seine Fähigkeiten, die er sich im Gefängnis angelesen hatte. Er verstand es wie kaum ein Zweiter, seine Jünger an sich zu binden. Er zeigte ihnen Wertschätzung, er gab ihnen das Gefühl, wichtig und wertvoll zu sein. Er schenkte ihnen seine Aufmerksamkeit. All das hatte einen hohen Wert für die, die Manson anhingen: Viele kamen wie Manson selbst aus zerbrochenen Familien und zerrütteten Verhältnissen. Manson verlangte von seinen Mitgliedern, sich ihm uneingeschränkt zu unterwerfen. Er führte seine "Family" sehr autoritär. Auch Drogen spielten eine wichtige Rolle, immer wieder machte er seine Anhänger*innen mittels LSD oder anderer Drogen gefügig. Er war es, der in der Gruppe die Entscheidungen traf - bis zum intimsten Leben. Manson legte fest, wer mit wem Sex haben durfte, und wann welche Frau mit ihm schlafen musste. Es war ein kleines, aber festes System der totalen Kontrolle. Frauen waren für ihn Dienerinnen der Männer. Eine andere Funktion als zu tun, was man ihnen sagte, hatten sie für Manson nicht.
Dennoch gab es einen großen Andrang auf die Manson Family. Manson musste wohl zeitweise sogar losen, wer bei ihm bleiben durfte, weil es zu viele waren. Dies schuf natürlich den Eindruck, dass man zu einem elitären Kreis von Auserwählten gehörte. Manson wollte nur diejenigen, die ihm hörig waren, alles taten, was er wollte und ihn nicht hinterfragten. Das führte zu einer Art "Selbstreinigung" in der Gruppe. Er ließ gnadenlos diejenigen fallen, die seine Autorität hinterfragten - potenzielle Nachfolger*innen gab es ja genug. Er wollte nur die, die ihn kritiklos akzeptierten.
Das Motiv: Das rassistische Weltbild
Und was war sein Motiv für die Morde? Charles Manson war ein übler Rassist und Antisemit. Als Mitglieder der Gruppe wurden grundsätzlich nur weiße Menschen akzeptiert, das Hören von sogenannter "N****musik" war strikt verboten. Auf Bildern ist zu sehen, dass Manson sich ein Hakenkreuz auf die Stirn eingeritzt hatte, was wohl während des späteren Gerichtsverfahrens geschah. Manson war auch ein glühender Verehrer von Adolf Hitler. Er war überzeugt, Hitler habe das "Karma der Juden ausgeglichen".
Es war dieser rassistisch-ideologische Überbau, der das Motiv für die Morde lieferte. Charles Manson verstand sich als Prophet und nutzte seine Prophezeiungen, um seine Anhänger*innen stärker an sich zu binden. Er prophezeite einen kommenden "Rassenkrieg", den er nach einem Beatles-Song "Helter Skelter" nannte. Er kündigte an, dass im Jahr 1969 in Amerika Schwarze Menschen rebellieren und die weiße Oberschicht in Amerika brutal ermorden würden. Darüber würde dann ein Rassenkrieg ausbrechen, den die Schwarzen gewinnen und alle weißen Menschen ermorden würden. Es gab nur einen Weg, das zu überleben: Man müsse sich ihm und seiner Family anschließen. Er war in seinem verqueren Weltbild der Ansicht, dass die Schwarzen Menschen unfähig seien, sich selbst zu führen. Nachdem sie also alle weißen Menschen ausgelöscht hätten, würden sie aus ihrer Not heraus ihn (und damit auch seine Anhänger*innen) zu ihrem Anführer wählen.
Es ist dieser "Rassenkrieg", der eine grundlegende Motivation für die durchgeführten Morde war. Das Jahr 1969 kam - und nichts passierte. Der von Manson prophezeite "Rassenkrieg" trat nicht ein. Manson wollte die Sache schließlich selbst in die Hand nehmen: Er glaubte, die Schwarzen würden es nicht auf die Reihe bekommen, sich gegen die weißen Menschen aufzustemmen und sie zu ermorden. Seiner Ansicht nach brauchte es also eine Art Initialzündung, die schließlich dazu führen sollte, dass "Helter Skelter" ausgelöst wurde. Dafür plante er, privilegierte weiße Reiche zu ermorden, um solch einen Konflikt herbeizuführen.
Ein System der totalen Kontrolle
Die Geschichte der Manson Family zeigt: Sektenhafte und hochproblematische Gruppen entstehen nicht aus einem religiösen Überbau heraus. Bei der Manson Family spielten andere Faktoren eine Rolle, insbesondere die Person Manson selbst. Die Ideologie war Beiwerk. So liegt auch die Bewertung dieses Falles in diesem Bereich. Viele gehen davon aus, dass Manson im Prinzip nur ein Betrüger war, ein Schwerverbrecher, dem es über die Kontrolle über andere Menschen und die Anerkennung von anderen ging, um seinen Narzissmus zu befriedigen.
Geschafft hat er das vor allem auch mit Mechanismen, die man in Abstufungen in sektenhaften Gruppierungen findet: Er hat ein System der totalen Kontrolle und Demütigung aufgebaut, verbunden mit einer Selbstreinigung der Gruppe. Diejenigen, die sich diesem System nicht gefügt haben, wurden von ihm fallengelassen, er entzog ihnen seine Zuneigung. Das führte auch zu einer hohen Fluktuation - es blieben am Ende nur die, die Charles Manson wirklich vollkommen hörig waren. Und die bereit waren, für ihn zu töten.
Dieser Beitrag ist ein stark gekürzte und angepasste Version eines Kapitels in dem Buch "Die Spur des Bösen - Wenn Fanatismus tödlich endet". Darin erzählt der Autor Fabian Maysenhölder zehn Geschichten von wahren Sektenverbrechen und analysiert auf dieser Grundlage die Frage: Wie konnte es dazu kommen? Und welche Glaubenssätze sind besonders gefährlich?
Quelle: ntv.de