Gefasster Matteo Messina Denaro Wie sich der Mafia-Boss jahrzehntelang versteckte


Akribisch wird das letzte Versteck des Mafia-Bosses durchleuchtet.
(Foto: picture alliance / ROPI)
30 Jahre lang gibt es keine Spur von Matteo Messina Denaro. Der Mafia-Boss, dem zahlreiche Morde angelastet werden, scheint unauffindbar, bis er Anfang der Woche doch gefasst wird. Wie war das möglich?
Leben im Untergrund, unter falschem Namen, immer auf der Flucht, dabei die Geschäfte der Mafia koordinierend - das war der Alltag von Matteo Messina Denaro in den zurückliegenden 30 Jahren. Inzwischen wird immer mehr darüber bekannt, wie dieses Leben konkret aussah.
Natürlich wechselte der letzte große Boss der Cosa Nostra in all diesen Jahren ständig Unterkünfte und möglicherweise auch Decknamen. Doch dass er dabei seine sizilianische Heimat weit hinter sich ließ, darf bezweifelt werden. Allenfalls für Geschäftsreisen und Urlaube, vermuten Experten, entfernte er sich aus der Gegend, in der er schließlich am 16. Januar festgenommen wurde.
Als letzten Wohnort identifizierten die italienischen Ermittler ein Haus in der Kleinstadt Campobello di Mazara unweit seines sizilianischen Geburtsorts Castelvetrano in der Provinz Trapani. Das bestätigt nicht zuletzt die Einschätzung von Giacomo di Girolamo. Der britische "Guardian" zitiert den Autor der Messina Denaro-Biografie "The Invisible" mit den Worten: "Wenn Sie fragen würden, wo Matteo Messina Denaro ist, würden die Leute sagen, er ist entweder tot oder er ist in der Provinz Trapani." Er sei einfach keiner dieser Mafiosi, die nach Brasilien oder Nordeuropa gingen. "Er brauchte sich keinen Bunker zu bauen, wie die Köpfe der 'Ndrangheta in Kalabrien. Er wurde in seinem Hoheitsgebiet beschützt." All die Jahre habe der letzte Pate seine Heimat nicht verlassen, twitterte der Journalist, Autor und Anti-Mafia-Aktivist Roberto Saviano, der selbst von der neapolitischen Camorra gejagt wird und unter ständigem Polizeischutz lebt: "Wie alle Bosse blieb er genau an jenem Ort, von dem alle wissen, dass er dort zu finden ist."

Mit diesem computergenerierten Bild sollten 2006 der Fahndung nach Messina Denaro neue Impulse gegeben werden.
(Foto: picture alliance / IPA)
In dem Appartement des 60-Jährigen in der Via Toselli stellten die Fahnder weitere Luxusgegenstände wie teure Klamotten, Uhren und Parfüms sicher. Waffen wurden in dem zweistöckigen Gebäude indes nicht gefunden, aber einige Dokumente, Bankunterlagen und Telefone, obwohl offensichtlich auch Papiere vor dem Eintreffen der Polizei weggebracht wurden.
Luxus und Annehmlichkeiten
Der am 26. April 1962 in der Kleinstadt Castelvetrano im Westen von Sizilien geborene Messina Denaro, der zuletzt unter dem Namen Andrea Bonafede lebte, schätzte den Lebensstil seiner Heimat und die Annehmlichkeiten seiner Macht zu sehr. Italienische Medien zeichneten nach seiner Festnahme genüsslich auf, in welche edlen Kleidungsstücke der Mafia-Boss gekleidet war: die gefütterte Felljacke von Brunello Cuccinelli, Hose und Stiefel im gleichen Farbton, ein Python-Gürtel und am Handgelenk eine Franck-Muller-Uhr im Wert von 36.000 Euro.
In der Klinik, in der er seit mindestens einem Jahr wegen einer Krebserkrankung behandelt wurde, war das Personal von dem kultivierten und "anständigen Mann" angetan. Herr Bonafede wurde dort operiert und gepflegt und kam inzwischen regelmäßig zur Nachsorge. Manchmal habe er Ärzten, Krankenschwestern oder anderen Patienten Geschenke mitgebracht. Angeblich hatte er für seine falsche Identität einen offiziellen Personalausweis und sogar eine Steuernummer. Jedenfalls will niemand auf die Idee gekommen sein, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmte.
Fast könnte darüber in Vergessenheit geraten, dass sich hinter dieser Fassade ein zynischer und skrupelloser Mann verbirgt. Und so steht neben dem Bild vom netten, älteren Herrn eben das eines grausamen Mafia-Bosses, für den das einzelne Menschenleben kaum einen Wert hat. "Mit all den Menschen, die ich getötet habe, könnte man einen Friedhof anlegen", soll er einmal einem Freund gesagt haben.
Für Dutzende Verbrechen wurde er in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Es sind abscheuliche Taten darunter: Der Mann soll etwa die Bombenanschläge auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Jahr 1992 organisiert haben, bei denen die zwei Mafia-Jäger sowie mehrere Begleiter starben. Auch die Entführung des kleinen Giuseppe Di Matteo soll er mitgeplant haben: Der Junge war von November 1993 an von der Cosa Nostra mehr als zwei Jahre an unterschiedlichen Orten und unter unmenschlichen Umständen festgehalten worden. Die Mafia wollte erzwingen, dass sein Vater nicht vor Gericht aussagt. Nach 779 Tagen in ihrer Gewalt erdrosselten die Mafiosi den Jungen kurz vor dessen 15. Geburtstag und lösten seinen Leichnam in Säure auf. Italien war geschockt von so viel Brutalität.
Ein ganzes Netz
Innerhalb der Mafia erzeugen diese Taten, so pervers es klingen mag, das Maß an Respekt und Angst, das einen Boss an die Spitze bringt und dort hält. Messina Denaro konnte sich im Untergrund auf ein Netzwerk von Freundschaften und Abhängigkeiten stützen. Dieses Netzwerk bestand nach Ansicht von Mafia-Kennern nicht nur aus Mitgliedern der Mafia oder Kindheitsfreunden und Nachbarn, sondern vermutlich auch aus Vertretern der "anständigen italienischen Gesellschaft".
Messina Denaro hatte für die Mafia neue Geschäftsfelder erschlossen, beispielsweise das mit erneuerbaren Energien. Mafia-Gelder flossen in sizilianische Windparks. Immer wieder fällt in diesem Zusammenhang der Name des Unternehmers Vito Nicastri, der allerdings jede Verbindung zur Mafia leugnet und zuletzt auch in einem Prozess vom Vorwurf freigesprochen wurde, Gelder an Messina Denaro weitergeleitet zu haben. Ein anderer ist der des Immobilienunternehmers Giuseppe Grigoli. Als dieser ins Visier der Justiz geriet, wurden bei ihm Vermögenswerte von etwa 700 Millionen Euro beschlagnahmt. Außerdem werden die Namen von Tourismus-Unternehmern genannt, die nicht nur in Italien Luxus-Resorts sowie Golfplätze betrieben. An Unterkünften und Geld dürfte es Massimo Denaro also nie gemangelt haben.
Umso unverständlicher wirkt, dass er nun einfach so festgenommen werden konnte. Nach 30 Jahren auf der Flucht. Gemutmaßt wird, dass Messina Denaro an Macht und Einfluss verloren haben könnte. Vielleicht als Folge seiner Krebserkrankung. Eine medizinische Untersuchung des 60-Jährigen habe ergeben, dass sein Darmkrebs schon weit fortgeschritten ist. "Sein Gesundheitszustand ist ernst", sagte der Chef der Onkologie der Maddalena-Klinik in Palermo, Vittorio Gebbia, der italienischen Zeitung "La Repubblica". Möglicherweise war er das Versteckspiel auch einfach leid.
Quelle: ntv.de