Bauexperte über Unglück in Genua Wie sicher sind die Brücken in Deutschland?
14.08.2018, 20:35 Uhr
Rettungskräfte suchen in den Trümmern nach Verschütteten.
(Foto: REUTERS)
Die eingestürzte Autobahnbrücke in Genua stammt aus den 1960er-Jahren. Ob ihr maroder Zustand das Unglück verursacht hat, ist bislang unklar. n-tv hat Massivbau-Experte Curbach gefragt, ob so etwas auch in Deutschland passieren könnte.
Nach dem Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua mit Dutzenden Toten, ist die Unglücksursache weiterhin unklar. Augenzeugen wollen einen starken Blitzeinschlag beobachtet haben. Andere vermuten, dass das heftige Unwetter die Brückensäulen unterspült hat. Manche Experten behaupten wiederum, dass die Brücke seit Längerem als marode galt. Warum so ein Unglück in Deutschland eher unwahrscheinlich ist, erklärt Manfred Curbach im Interview mit n-tv. Er ist Massivbau-Experte an der TU in Dresden.
n-tv: Wenn Sie diese Bilder aus Genua sehen, was geht Ihnen als Massivbau-Experte durch den Kopf?

Manfred Curbach hält seit 1994 die Professur für Massivbau an der TU Dresden.
(Foto: Wikimedia / Manfred Curbach)
Manfred Curbach: Es ist natürlich ein Riesendrama, was dort passiert ist. Das ist wohl das Schrecklichste, was sich ein Brückenbauer vorstellen kann, dass eine von ihm gebaute Brücke versagt. Wobei ich keinerlei Hypothesen anstellen kann, warum diese Brücke eingestürzt ist.
Was ist das für eine Konstruktion in Genua?
Die Brücke ist ein besonderes Bauwerk, das von dem italienischen Ingenieur Riccardo Morandi geplant worden ist. Nach diesem Prinzip sind damals drei große Brücken gebaut worden - die berühmteste wohl über dem Maracaibo-See in Venezuela. Sie war bei ihrer Fertigstellung die längste Schrägseilbrücke der Welt und gilt als die erste ihrer Art aus Beton.
Nach welchem besonderen Prinzip wurde die Morandi-Brücke gebaut?
Sie besteht aus großen A-förmigen Pylonen, von denen aus nach rechts und links große Kragarme gebaut sind, die die Fahrbahn wie ein Waagebalken halten. Von diesen Pylonen standen in Genua drei Stücken nebeneinander.
Wenn wir nun kurz von Italien zu uns nach Deutschland schauen: Wie wird hier berechnet, was Brücken aushalten müssen?
Es gibt genaue Regeln, für welche Verkehrslasten solche Brücken ausgelegt werden sollen. Diese Lasten werden ständig nach oben korrigiert. Mit jeder neuen Fassung der europäischen Norm werden diese Lasten erhöht, da der Schwerlastverkehr tatsächlich immer mehr zunimmt.
Heißt das dann, dass alte Brücken unsicherer sind?
Nicht unbedingt, da auch ältere Konstruktionen natürlich mit einer großen Sicherheitsmarge gebaut worden sind. Dennoch werden in Deutschland die vorhandenen Brücken stets für die neuen Lasten nachgerechnet. Falls dann etwas nicht stimmt, werden gegebenenfalls Maßnahmen ergriffen.
Worauf werden die Brücken untersucht?
Es gibt drei große Fälle, die untersucht werden: Zunächst wird die Standsicherheit geprüft, da sie das Wichtigste und Augenscheinlichste ist. Dann wird auf die Gebrauchstauglichkeit geachtet, denn es dürfen keine zu großen Verformungen oder Schwingungen auftreten. Und schließlich zählt der Nachweis der Dauerhaftigkeit, da Brücken 80 oder 100 Jahre halten sollten.
Wie wird kontrolliert, dass die Brücken tatsächlich 80 Jahre durchhalten?
Schon beim Bau wird alles sehr genau überwacht. Neben dem Bauherren sind immer Ingenieure vor Ort, die beobachten, wie der Stahl und der Beton ordentlich eingebracht werden. Und hinterher werden Brücken alle sechs Jahre einer Hauptprüfung unterzogen. Das bedeutet, dass man sich nicht einfach darauf verlässt, dass die Brücke gut gebaut ist, sondern kontrolliert das auch ständig. Das passiert nach einem sehr ausgeklügelten System.
Ein ausgeklügeltes System?
Deutschland hat dafür sogar eine eigene Norm - die DIN 1076. Darin heißt es zum Beispiel, dass immer nach dem Vier-Augen-Prinzip geprüft wird. Es ist somit nie eine einzelne Person, die die Oberflächen abgeht, sondern immer zwei. Sie nehmen dann eventuelle Schäden auf, welche dann später katalogisiert werden. Daraus entsteht dann eine Zustandsnote für eine Brücke.
Hilft diese DIN 1076 tatsächlich, um Unglücke wie in Genua zu verhindern? Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass so etwas in Deutschland passiert?
Natürlich gibt es nie eine hundertprozentige Sicherheit, aber ich würde behaupten, dass so ein Fall in Deutschland extrem unwahrscheinlich ist. Wenn man sich in Deutschland die Geschichte des Brückenbaus anschaut, so hatten wir schon einige sehr spektakuläre und dramatische Einstürze während des Bauzustandes, wo zum Beispiel ein Leergerüst versagt hat.
Sonst ist aber noch nie eine Brücke eingestürzt?
Wenn in Deutschland eine Brücke einmal dem Verkehr übergeben worden ist, ist bisher nie etwas passiert. Das heißt, wenn wir heute wissen, dass viele Brücken nicht im guten Zustand sind, dann nur deswegen, weil wir sie so unglaublich detailliert überprüfen. Und auch Maßnahmen ergreifen, wenn etwas kritisch sein sollte.
Woraus bestehen diese Maßnahmen?
Die Leverkusener Rheinbrücke dürfte ein bekanntes Beispiel dafür sein. Bei einer Prüfung wurde festgestellt, dass eine Schweißnaht nicht in Ordnung war. Daraufhin wurde die Brücke zunächst ganz und später dann für den schweren Verkehr gesperrt. Das hatte zwar viele unangenehme Konsequenzen, aber Sicherheit geht nun einmal vor. Und so ist es bei vielen anderen Brücken auch. Wenn Experten feststellen, dass es bei einem bestimmten Bauwerk kritisch werden könnte, wird zum Beispiel der Verkehr reduziert.
Wenn wir noch einmal nach Italien schauen: Es gibt Berichte von Augenzeugen, die gesehen haben wollen, dass ein Blitz in die Brücke einschlug. Halten Sie es für möglich, dass die Konstruktion dadurch zusammenbrach?
Man kann natürlich nichts ausschließen, aber ein Blitzeinschlag wäre schon eine sehr ungewöhnliche Ursache für einen Brückeneinsturz. Da müsste der Blitz mit seiner vollen Stärke einen Spannstahl - das sind die hängenden Schrägkabel, die die Brücke hochhalten - getroffen haben. Da würde ich gerne abwarten wollen, was tatsächlich die Ursache in Genua war.
Mit Manfred Curbach sprach Marcel Wagner
Quelle: ntv.de