Entscheidung am Bosporus Alle Daten zur Stichwahl in der Türkei
29.05.2023, 10:42 Uhr Artikel anhörenPolitische Richtungsentscheidung in der Türkei: Amtsinhaber Erdogan setzt sich in der Stichwahl um das Präsidentenamt gegen seinen Herausforderer Kilicdaroglu durch. Die wichtigsten Zahlen zum zweiten Wahlgang im Überblick.
Zwei Wochen nach dem ersten Durchgang ist bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei die Entscheidung gefallen: Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan hat die Stichwahl gewonnen. Erdogan sei zum 13. Präsidenten der Türkei gewählt worden, erklärte der Chef der Wahlbehörde Ahmet Yener am Wahlabend.
Erdogan erhielt 52,16 Prozent der Stimmen, sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu 47,84 Prozent, wie die Wahlbehörde mitteilte. In Ankara, Istanbul und auch in einzelnen deutschen Großstädten feierten Erdogan-Anhänger den Wahlsieg. Der 69-jährige AKP-Politiker tritt nach 20 Jahren an der Macht eine weitere fünfjährige Amtszeit an.
Hinweis: Daten und Infografiken zur Stichwahl in der Türkei werden laufend aktualisiert.
Erdogan rief sein Land nach dem Wahlsieg zur "Einheit und Solidarität" auf. Kilicdaroglu räumte die Niederlage in der Stichwahl ein. "Ich bin zutiefst traurig angesichts der Schwierigkeiten, die das Land erwarten", sagte der sozialdemokratische Oppositionsführer am Abend der Wahl.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratulierte dem türkischen Staatschef Erdogan zu dessen Wiederwahl. "Angesichts der besonders engen menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen unseren Ländern kommt dem deutsch-türkischen Verhältnis ganz besondere Bedeutung zu", erklärte Steinmeier.
Es war das erste Mal, dass es bei einer Präsidentschaftswahl in der Türkei erst in der Stichwahl zu einer Entscheidung kam. Im ersten Wahlgang am 14. Mai hatte der amtierende türkische Präsident Erdogan die erforderliche absolute Mehrheit von 50 Prozent knapp verfehlt.
Im ersten Wahlgang Mitte Mai war Erdogan laut amtlichem Auszählungsergebnis auf 49,52 Prozent der Stimmen gekommen. Er schnitt damit besser ab als im Vorfeld erwartet: Die letzten Umfragen vor dem ersten Wahltermin hatten ihn teils deutlich hinter seinem Herausforderer, Kemal Kilicdaroglu von der CHP, gesehen. Der bisherige Oppositionsführer lag Mitte Mai mit 44,88 Prozent auf Platz zwei.
Der drittplatzierte Rechtsaußenkandidat Sinan Ogan hatte im ersten Wahlgang 5,17 Prozent der Stimmen erhalten. Der noch vor der Wahl ausgeschiedene Muharrem Ince kam auf 0,43 Prozent. Damit stand fest, dass es zur Stichwahl zwischen Erdogan und Kilicdaroglu kommen wird. Ogan sprach vor dem zweiten Durchgang eine eindeutige Wahlempfehlung für Erdogan aus.
Ogan konnte sich als Kandidat eines ultranationalistischen Parteien-Bündnisses allerdings nur auf eine stark zersplitterte Wählerschaft stützen. Ob seine Empfehlung einen Einfluss auf die Stichwahl hatte, war daher umstritten. Ein Teil seiner Anhänger dürfte ohnehin der islamistisch-konservativen AKP rund um Erdogan näherstehen als der CHP.
In Deutschland hatte die Stimmabgabe zur Stichwahl um das türkische Präsidentenamt bereits am vergangenen Wochenende an 17 vorbereiteten Wahllokalen begonnen. In Berlin zum Beispiel stieß das Votum offensichtlich auf großes Interesse. Hunderte türkische Wahlberechtigte kamen bereits am Samstag, 20. Mai zum Generalkonsulat. Vor dem Gebäude bildeten sich lange Schlangen.
Ähnlichen Andrang erlebten auch die türkischen Konsulate in NRW, wo mit gut 500.000 rund ein Drittel der wahlberechtigten Deutsch-Türken lebt. Bis zum 24. Mai konnten sich die insgesamt rund 1,5 Millionen türkischen Wähler in Deutschland an den Urnen zwischen Erdogan und Kilicdaroglu entscheiden. Der Löwenanteil der türkischen Auslandsstimmen kommt aus Deutschland.
Wie beim ersten Wahlgang hatte sich auch bei der Stichwahl bei den Wahlberechtigten in Deutschland bereits früh eine deutliche Mehrheit für Erdogan abgezeichnet. Beim Stand von rund 78,5 Prozent der ausgezählten Wahlurnen aus Deutschland kam der Amtsinhaber bei dieser Gruppe auf 67,6 Prozent der Stimmen, wie aus Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu vom Sonntagabend hervorging.
Im ersten Wahlgang hatte er bei den Deutsch-Türken 65,5 Prozent der Stimmen bekommen. Das offizielle Endergebnis der Wahlbehörde zum Ergebnis der Stichwahl in Deutschland lag kurz nach dem Wahltag noch nicht vor. Doch schon am Wahlabend war abzusehen, dass Erdogan bei den Wählerinnen und Wählern in Deutschland erneut deutlich besser abschnitt als insgesamt.
Bereits 2018 hatte Erdogan bei den Deutsch-Türken 64,8 Prozent der Stimmen erhalten. Laut Beobachtern gibt es mehrere Gründe für die hohe Beliebtheit Erdogans bei dieser Gruppe: So kamen viele Arbeitsmigranten mit einer religiös-konservativen Einstellung aus dem anatolischen Kernland der Türkei nach Deutschland.
Erdogans Regierungspartei AKP hat heute zudem gute Strukturen in Deutschland. Viele Haushalte sind laut Beobachtern von türkischen Medien geprägt, von denen ein Großteil von der Regierung kontrolliert wird. Laut Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien gibt es außerdem vor allem bei den jüngeren Wählerinnen und Wählern in Deutschland eine Art Protesthaltung aufgrund von Diskriminierungserfahrungen.
In Deutschland waren rund 1,5 Millionen Deutsch-Türken wahlberechtigt. Sie stimmten bei der Stichwahl - wie beim ersten Wahlgang - nicht am Wahltag am Sonntag, sondern bereits einige Tage vorher ab. Die Frist zur Stimmabgabe endete in Deutschland bereits am 24. Mai.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa