Politik

Putin-Talk bei Anne Will "Russland ist zu absoluter Brutalität bereit"

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Die Runde bei "Anne Will" diskutierte einmal mehr über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

(Foto: © NDR/Wolfgang Borrs)

Seit einer Woche schießt die russische Armee mit Raketen verstärkt auf zivile Ziele in der Ukraine. In der ARD-Talkshow "Anne Will" diskutieren die Gäste am Sonntagabend darüber, wie man Russlands Präsidenten Putin stoppen kann. Verhandlungen mit dem Kremlchef finden keine Zustimmung.

Es ist der vergangene Montagvormittag. In der ukrainischen Hauptstadt Kiew heulen Alarmsirenen. Dann krachen die ersten russischen Raketen auf die Stadt. Ein Kremlsprecher wird später behaupten, man habe militärische Ziele getroffen. Eine Lüge. In Wahrheit werden Wohngebiete beschossen, Brücken, Kinderspielplätze. Es gibt Tote und Verletzte, alles Zivilisten. Die Angriffe werden später auf weitere ukrainische Städte ausgeweitet.

"Der Beschuss ziviler Ziele ist nichts Neues. Er ist beinahe täglich", sagt Grünen-Politikerin Marina Weisband. Sie ist in der Ukraine geboren, ihre Eltern leben dort. Täglich spricht Weisband mit ihren Angehörigen. Sie berichtet von dem Trotz der Menschen und ihrer Liebe zur Freiheit.

"Der Krieg ist darauf ausgelegt, Terror zu verursachen, die Zivilbevölkerung zu töten und die Ukraine als Land zu vernichten", sagt sie in der ARD-Talkshow "Anne Will", in der die Gäste einmal mehr über die Situation in der Ukraine sprechen, aber auch über Wladimir Putin, der den völkerrechtswidrigen Einmarsch der russischen Armee in das Land befohlen hat. Dass der bisherige Angriff Russlands ein Fehlschlag ist, wissen alle Gäste in der Sendung, in der auch die Frage im Raum steht, wie der russische Präsident zu stoppen sein könnte.

Putin werde bald versuchen, für einen möglichst schnellen Waffenstillstand zu werben, prognostiziert Weisband. "Das Beste, was ihm jetzt passieren kann, ist ein Einfrieren des Konflikts, damit er dann in Ruhe aufrüsten und Anfang des Jahres die Invasion neu fahren kann. Das Beste, was wir dagegen tun können, ist nicht darauf einzugehen, sondern die Waffen zu nutzen, die die Ukraine hat, um die Städte zu befreien - und die Bevölkerung, die terrorisiert wird."

Skrupelloser neuer Kommandeur eingesetzt

Russland-Expertin Sarah Pagung kann da nicht ganz zustimmen. Waffenstillstandsverhandlungen wären ein cleverer Schritt, wenn Putin eine Pause bekommen wolle, gibt sie zu. Für die Wissenschaftlerin stehen die Zeichen jedoch im Moment nicht auf Verhandlungen, im Gegenteil: "Putin zeigt, dass keine Konzessionen gemacht werden und dass Russland auch zu absoluter Brutalität bereit ist", sagt sie mit Blick auf die Einsetzung von Sergej Surowikin als neuen Kommandeur für den russischen Ukraine-Feldzug. Der Armeegeneral und treue Kreml-Hardliner könnte bereits für die Angriffe am vergangenen Montag verantwortlich sein. Er gilt als besonders brutal und skrupellos, und er ist ein bedingungsloser Anhänger des russischen Präsidenten.

Putin, ehemaliger KGB-Offizier, sei ein treuer Geheimdienstmann, charakterisiert der Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung, Martin Schulz, den russischen Präsidenten. "Putin ist alles zuzutrauen", sagt er. Er sei ausgebildet im Täuschen und im Terror gegen Individuen. Zu der "Strategie des Täuschens, Drohens und Spaltens" gehöre auch die Warnung, Nuklearwaffen anzuwenden. Die Drohung müsse man zwar ernst nehmen, sagt Schulz, aber: "Am Ende müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen, aber damit nicht."

Auch Marina Weisband fürchtet eine nukleare Bedrohung nicht wirklich. Russland habe andere Mittel, erklärt sie. So sei die Zerstörung der ukrainischen Stadt Mariupol vergleichbar mit dem Einsatz von fünf taktischen Atombomben. "Die stärkste Waffe Putins ist unsere Angst", betont Weisband. "Was er am meisten fürchten würde ist, wenn wir ihn einfach nicht die ganze Zeit psychoanalysieren würden und schauen: Was denkt Putin, was könnte er tun. Nein, wir müssen sagen: Hey, du macht das und das, dann schicken wir ein paar Leopard-Panzer. Du machst das und das, dann bemühen wir uns noch mehr, das Land, das rechtlich der Ukraine gehört, zu verteidigen. Oh, du führst einen hybriden Krieg und flutest unsere sozialen Medien mit Desinformation, dann entwickeln wir mehr Strategien, wir entwickeln unsere Demokratien weiter, wir stehen stärker zusammen mit unseren demokratischen Verbündeten."

Kein Einfrieren des Krieges

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Man dürfe Angriffskriege nicht belohnen, fordert Weisband, die diesmal die Anne-Will-Sendung dominiert. "Mein erstes, oberstes und alles in den Schatten stellende Ziel ist Frieden - in der Ukraine, in Europa, in der Welt", sagt sie. Frieden gebe es aber nicht, solange Russland 20 Prozent der Ukraine besetzt hielte. Frieden gebe es nur, wenn man die Verbrecher dieses Krieges vor Gericht stelle und Wert auf die Weltsicherheitsordnung lege. Zurecht weist sie darauf hin, dass Russland als einziger UN-Mitgliedsstaat nie einen Beitrittsantrag stellen musste.

Europa müsse sich im Moment gegen den Krieg in der Ukraine und gegen die hybride Kriegführung Russlands verteidigen. Dabei dürfe es nicht zu einem Einfrieren des Krieges kommen, wie dies viele Menschen in Deutschland forderten. Das habe 2014 nach der Besetzung der Krim schon nicht geklappt, das Ergebnis sei der völkerrechtswidrige Angriff auf die Ukraine 2022 gewesen, so Weisband. Putin würde im Falle einer Kriegspause seine Truppen stärken, neue Ressourcen sammeln und Stützpunkte anlegen. "Das hat Putin offen angekündigt. Und ich finde, wenn wir irgendetwas ernst nehmen müssen, dann das, was er offen erzählt."

Quelle: ntv.de

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