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Verhandlungen in Berg-Karabach Armenier fordern Sicherheitsgarantien gegen "Völkermord"

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Im aserbaidschanischen Jewlach trafen die Konfliktparteien zu einem ersten Gespräch zusammen.

Im aserbaidschanischen Jewlach trafen die Konfliktparteien zu einem ersten Gespräch zusammen.

(Foto: dpa)

In der Kaukasus-Region Berg-Karabach treffen die Konfliktparteien zu Verhandlungen um Frieden zusammen. Trotz Einigkeit über eine Waffenruhe gibt es weitere Explosionen. Den Problemen haben sich die Abgesandten maximal etwas angenähert.

Nach den jüngsten Kämpfen um die Region Berg-Karabach im Südkaukasus haben die aserbaidschanischen Sieger und die unterlegenen Armenier eine erste Verhandlungsrunde beendet. In der Stadt Yevlax seien unter anderem "Fragen der Wiedereingliederung der armenischen Bevölkerung Karabachs" besprochen worden, teilte die Präsidialverwaltung des autoritär geführten Aserbaidschans mit. In Kürze solle es ein weiteres Treffen geben.

"Wir müssen noch viele Fragen und Probleme durchsprechen", sagte zuvor David Babajan, ein Berater der selbsternannten Regierung von Berg-Karabach, der Nachrichtenagentur Reuters. So habe seine Seite zwar einer Feuerpause mit Aserbaidschan zugestimmt. Ungeklärt sei aber die Umsetzung der damit verbundenen Forderung Aserbaidschans, wonach die in Berg-Karabach lebenden ethnischen Armenier auch ihre Waffen abgeben sollen. Erst seien Sicherheitsgarantien nötig, forderte Babajan. "Sie könnten uns jederzeit zerstören, einen Völkermord an uns verüben - verstehen Sie das, Reuters? Der Westen schweigt, Russland schweigt, Armenien schweigt. Was sollen wir tun?"

Michel telefonierte mit Alijew

Ebenso fordert die EU Sicherheitsgarantien für die dort lebenden Armenier. EU-Ratspräsident Charles Michel habe in einem Telefonat mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew deutlich gemacht, dass dessen Land sicherstellen müsse, dass ethnische Armenier respektiert würden und eine Zukunft in Aserbaidschan hätten, sagte ein ranghoher EU-Beamter. Für diejenigen, die Berg-Karabach verlassen wollten, müssten Bedingungen für eine sichere und freiwillige Ausreise geschaffen werden.

Kremlsprecher Dmitri Peskow teilte mit, es sei noch nicht abzusehen, wann ein Friedensvertrag zwischen den beiden verfeindeten Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan unterschrieben werden könne. Er sprach aber von "erheblichen Fortschritten" bei den Verhandlungen.

Trotz der am Mittwoch vereinbarten Waffenruhe waren nach Angaben eines AFP-Reporters Schüsse und Explosionen in der von pro-armenischen Kräften kontrollierten Hauptstadt Stepanakert zu hören. Pro-armenische Kräfte warfen der aserbaidschanischen Seite vor, die Waffenruhe zu verletzen, was das aserbaidschanische Verteidigungsministerium zurückwies.

"Frieden nicht mit Waffenruhe verwechseln"

Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan warb derweil für eine Befriedung des Konfliktes. "Frieden ist eine Umgebung ohne zwischenstaatliche und interethnische Konflikte", sagte Paschinjan in einer Rede an die Nation anlässlich des armenischen Unabhängigkeitstages. "Dieser Weg ist nicht einfach, aber wir müssen ihn gehen." Weiter betonte er: "Man muss den Frieden schätzen und darf Frieden nicht mit Waffenruhe und Waffenstillstand verwechseln."

RIA meldete unter Berufung auf einen Vertreter von Alijew, Aserbaidschan habe Armenien den Entwurf für ein Friedensabkommen zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken zukommen lassen. Man warte in der Hauptstadt Baku nun auf eine Reaktion Armeniens. Alijew sagte, die Bevölkerung der Region solle integriert werden: "Sie sind unsere Bürger." Er habe nichts gegen sie, nur gegen ihre "kriminellen" Separatisten-Anführer. Armenische Kräfte hätten damit begonnen, ihre Waffen abzugeben und würden sich aus Berg-Karabach zurückziehen. Armenien bestreitet, Waffen und Soldaten in Berg-Karabach zu haben. Nach der Großoffensive solle die Region nun zu einem "Paradies" werden, versprach Alijew.

UN-Menschenrechtsrat verurteilt Militäreinsatz

Vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf verurteilte Armenien den aserbaidschanischen Militäreinsatz in Berg-Karabach als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und sprach von einer "ethnischen Säuberung", die im Gange sei. "Armenien hat diesen Rat immer wieder darüber informiert, dass eine ethnische Säuberung bevorsteht. Heute ist sie im Gange", sagte der Vertreter Armeniens, Andranik Howhannisjan. "Die Zivilisten in Berg-Karabach sitzen in einer Falle und haben keine Möglichkeit zur Evakuierung", weil Aserbaidschan weiterhin die einzige Verbindungslinie nach Armenien blockiere. "Das ist nicht nur eine Konfliktsituation, das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und muss als solches behandelt werden."

Eine Vertreterin Aserbaidschans sagte vor dem UN-Menschenrechtsrat, ihr Land sei "gezwungen" gewesen, "Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zu ergreifen". Diese hätten sich "ausschließlich gegen illegale militärische Formationen und Befestigungsanlagen" gerichtet.

Der russische Präsident Wladimir Putin forderte derweil Alijew auf, die Rechte der Armenier zu respektieren. "Wladimir Putin hat betont, wie wichtig es ist, die Rechte und die Sicherheit der armenischen Bevölkerung von Karabach zu gewährleisten", erklärte der Kreml zu einem Telefongespräch zwischen den beiden Staatschefs.

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Alijew entschuldigte sich den Kreml-Angaben zufolge für den Tod von russischen Soldaten am Vortag in Berg-Karabach. Der aserbaidschanische Präsident habe zudem "sein tiefes Beileid" angesichts des "tragischen Todes von Soldaten des russischen Friedenskontingents in Karabach am 20. September" ausgesprochen, erklärte der Kreml. Russland hat 2000 Soldaten in Berg-Karabach stationiert, die einen 2020 vermittelten Waffenstillstand überwachen sollten. Ein Auto mit den russischen Soldaten war am Vortag bei dem Ort Dschanjatag unter Feuer geraten. Offiziell wurde die Zahl der Toten nicht genannt; einige russische Medien sprachen von vier getöteten Soldaten.

Berg-Karabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier. 1991 hatte sich Berg-Karabach nach einem international nicht anerkannten und von der aserbaidschanischen Minderheit boykottierten Referendum für unabhängig erklärt. Aserbaidschan und Armenien streiten sich seitdem um die Region und lieferten sich deshalb bereits zwei Kriege, zuletzt im Jahr 2020. Damals wurden mehr als 6500 Menschen getötet.

Quelle: ntv.de, ara/AFP/rts/dpa

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