Waffenruhe angeblich gebrochen Tausende Bewohner von Berg-Karabach werden evakuiert
21.09.2023, 10:21 Uhr Artikel anhören
Tausende Bewohner werden von russischen Soldaten evakuiert, teilt Russland mit.
(Foto: dpa)
Die Angriffe auf Berg-Karabach dauern nur einen Tag, dann tritt eine Feuerpause in Kraft - sie hält aber offenbar nicht lang an. Nach der Niederlage der Armenier werden nun Tausende Bewohner evakuiert. Der aserbaidschanische Präsident sieht sie als seine Bürger an.
Ethnische Armenier aus der umkämpften Region Bergkarabach haben Aserbaidschan den Bruch der gerade erst vereinbarten Waffenruhe vorgeworfen. Im Zentrum der Regionalhauptstadt Stepanakert seien Schüsse zu hören, teilten Vertreter dieser Bevölkerungsgruppe mit. Insider hatten zuvor Ähnliches berichtet. Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium wies die Anschuldigungen umgehend zurück.
Zuvor war damit begonnen worden, die Bewohner der Südkaukasus-Region in Sicherheit zu bringen. Vor Ort stationierte russische Soldaten hätten bislang rund 5000 Karabach-Armenier aus besonders gefährlichen Orten der belagerten Region herausgebracht, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Zuvor hatte auch der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach), Gegam Stepanjan, von der Evakuierung mehrerer Ortschaften gesprochen.
Nach Angaben eines Menschenrechtlers aus dem Lager der Separatisten sind bei den Kämpfen mindestens 200 Personen getötet worden. Zehn von ihnen seien Zivilisten, davon die Hälfte Kinder, hieß es weiter. Zudem seien mehr als 400 Menschen verletzt worden.
Berg-Karabach liegt zwar auf aserbaidschanischem Staatsgebiet, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Die beiden verfeindeten Ex-Sowjetrepubliken kämpfen bereits seit Jahren um die Region. Am Dienstagmorgen startete das autoritär geführte Aserbaidschan dann eine neue Militäroperation zur Eroberung Berg-Karabachs, die nur einen Tag später mit der Aufgabe der Karabach-Armenier endete. Nun befürchten viele, aus ihrer Heimat vertrieben zu werden oder unter aserbaidschanische Herrschaft zu fallen.
"Sie sind unsere Bürger"
Inzwischen sind Vertreter der Karabach-Armenier zu Verhandlungen in der Stadt Jewlach eingetroffen, als Vermittler sollen die in der Region stationierten russischen Soldaten fungieren. Der armenischen Delegation gehöre unter anderem der Parlamentsabgeordnete David Melkumjan aus der international nicht anerkannten Republik an, meldete die armenische Nachrichtenagentur Armenpress. Aserbaidschan strebt nach eigenen Angaben eine "friedliche Wiedereingliederung" des Gebiets in sein Territorium an. Es sei Baku gelungen, nach seinem Militäreinsatz gegen pro-armenische Kämpfer die "Souveränität wiederherzustellen", sagte der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew in einer Fernsehansprache. "Sie sind unsere Bürger", so Alijew über die Bewohner von Berg-Karabach. Er habe nichts gegen sie, nur gegen ihre "kriminellen" Separatisten-Führer.
Die EU fordert derweil Sicherheitsgarantien für die Armenier der Region. EU-Ratspräsident Charles Michel habe in einem Telefonat mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev deutlich gemacht, dass dessen Land sicherstellen müsse, dass ethnische Armenier respektiert würden und eine Zukunft in Aserbaidschan hätten, sagte ein ranghoher EU-Beamter. Für diejenigen, die Berg-Karabach verlassen wollten, müssten Bedingungen für eine sichere und freiwillige Ausreise geschaffen werden. Zur Positionierung Alijews in dem Gespräch sagte der Beamte, dieser habe eine internationale Vermittlung in dem Konflikt abgelehnt und nochmals bekräftigt, dass der Militäreinsatz gerechtfertigt gewesen sei.
Russland gilt traditionell als Schutzmacht Armeniens und hatte eigentlich zugesichert, einen nach dem letzten Karabach-Krieg 2020 vereinbarten Waffenstillstand in der Region zu überwachen. Viele Armenier werfen Moskau nun vor, sie im Stich gelassen zu haben und seiner Rolle als Schutzmacht Armeniens nicht nachgekommen zu sein. Das untermauerte auch Stephan Malerius von der Konrad-Adenauer-Stiftung im Interview mit ntv.de: "Putin hat die Seiten gewechselt."
Die Armenier kritisieren, dass russische Soldaten weder die monatelange Blockade der einzigen armenischen Zugangsstraße nach Berg-Karabach durch Aserbaidschaner verhinderten noch jetzt der aserbaidschanischen Armee entgegentraten. Proteste in Armeniens Hauptstadt Eriwan richteten sich deshalb auch gegen die russische Botschaft vor Ort.
Quelle: ntv.de, ara/dpa/AFP