Politik

Syrische Armee kurz vor Übernahme Assad öffnet Fluchtkorridore in Aleppo

Über Fluchtkorridore sollen sich Zivilisten und Rebellen in Aleppo aus der Stadt retten können.

Über Fluchtkorridore sollen sich Zivilisten und Rebellen in Aleppo aus der Stadt retten können.

(Foto: REUTERS)

Noch immer sind in Aleppo 250.000 Zivilisten eingeschlossen: Über Fluchtkorridore sollen sie sich in Sicherheit bringen. Selbst den Rebellen verspricht Machthaber Assad eine ungehinderte Flucht - und Amnestie. Denen, die bleiben, droht offenbar ein Inferno.

Die syrische Führung und ihr Verbündeter Russland haben in der umkämpften Stadt Aleppo überraschend vier Fluchtkorridore eingerichtet, über die sich die Menschen in Sicherheit bringen sollen. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte, russische und syrische Soldaten würden drei Korridore für zur Flucht entschlossene Zivilisten einrichten. Einen vierten Korridor werde es im Norden Aleppos geben. Dieser sei für die Extremisten gedacht. Russland habe Baschar al-Assad dazu gedrängt, sie zu begnadigen, sofern sie keine ernsten Verbrechen begangen hätten.

Zudem seien in einigen Vierteln Lebensmittel und Windeln abgeworfen worden. Die UN wurden nach eigenen Angaben von der Ankündigung überrascht. Wie der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Staffan de Mistura, in Genf sagte, wurde die Einrichtung der Hilfskorridore nicht mit den Vereinten Nationen abgesprochen. "Wir wurden nicht konsultiert", sagte de Mistura. Man wolle daher vor einer Beurteilung weitere Informationen abwarten.

In Aleppo droht eine humanitäre Katastrophe.

In Aleppo droht eine humanitäre Katastrophe.

(Foto: REUTERS)

Wer die Stadt durch die Korridore verlasse, erhalte Essen und medizinische Hilfe, sagte Schoigu. Nach taz-Informationen ist die "humanitäre Operation" Teil einer bislang geheimgehalten Vereinbarung, die US-Außenminister John Kerry vor zwei Wochen mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow getroffen hatte. Demnach soll auf diese Weise die Voraussetzung für eine militärische Kooperation zwischen den Streitkräften beider Länder bei der Bekämpfung des IS und der Al-Nusra-Front geschaffen werden. US-amerikanische und russische Diplomaten hätten dies bestätigt.

Bewohner bleiben skeptisch

Viele Bewohner sind jedoch skeptisch, berichtete der syrische Aktivist Mahmud al-Schami aus Aleppo. "Sie wollen, dass wir die Viertel verlassen und dann werden wir verhaftet." Der Aktivist hält die Aktion der Russen und des syrischen Regimes für reine Propaganda. Demzufolge sollen einige Viertel weiterhin unter Beschuss stehen. Auch Rani Rahmo, Leiter der SOS-Kinderdörfer in Syrien, bestätigte im "Welt"-Interview Bombardements in beiden Teilen der Stadt. "Viele Straßenzüge sind komplett zerstört worden", sagte er. "Es kommen viele Zivilisten ums Leben."

Dennoch hoffe er, so Rahmo, dass die Menschen dem Aufruf der Syrischen Armee zur Flucht aus der Stadt folgen werden. "Wenn nicht, dann wird es zu einem Gemetzel kommen", sagte er. "Das wäre schlimm. Dann kann man nur hoffen, dass wenigstens alle Zivilisten den Ostteil der Stadt verlassen haben, damit sie nicht zu Opfern der zu erwartenden Bombardements werden."

Lage äußerst angespannt

Die humanitäre Situation in der Stadt ist nach Angaben von Menschenrechtsbeobachtern verheerend. Syrische Regierungstruppen und ihre Verbündeten hatten vor gut zwei Wochen die letzte Versorgungsroute in die Rebellenviertel im Osten Aleppos abgeschnitten. Es gebe kaum noch Brot, Milch, Obst und Gemüse, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London mit. Auch Treibstoff sei knapp. Die Preise seien in den vergangenen Tagen noch einmal drastisch gestiegen. Große Teile der Stadt liegen in Trümmern.

Die Vereinten Nationen schätzen, dass zwischen 200.000 und 300.000 Menschen in den Rebellenvierteln eingeschlossen sind. Die EU warnte, dass die restlichen Vorräte an Lebensmitteln ohne einen schnellen Zugang für humanitäre Hilfe in den kommenden Wochen aufgebraucht sein könnten. "Aleppo könnte dann zur größten humanitären Tragödie in diesem Konflikt werden", sagten die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Krisenmanagement-Kommissar Christos Stylianides.

Assad bietet Amnestie an

Die syrische Regierung hatte die Rebellen am Mittwoch erneut aufgefordert, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben. Syriens Machthaber Baschar al-Assad hat einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Sana zufolge den Aufständischen eine Amnestie angeboten, sollten diese ihre Waffen niederlegen. Die Option bestehe allerdings bereits seit Anfang des Krieges. "Es ist für alle eine gute Idee, die - aus welchen Gründen auch immer - zu den Waffen gegriffen haben, jetzt aber zu ihrem normalen Leben zurückkehren möchten", sagte Assad.

Die Stadt im Norden des Landes ist seit Mitte 2012 geteilt und Schauplatz heftiger Kämpfe. Einige Teile werden von Regierungstruppen, andere von Rebellen kontrolliert. Zuletzt gelang es der Armee allerdings nach eigenen Angaben, sämtliche Versorgungsrouten der Aufständischen in den Ostteil Aleppos zu kappen. Staatlichen Medien zufolge eroberte die Armee zudem mit Unterstützung verbündeter Milizen und russischer Luftangriffe auch Gelände am nördlichen Stadtrand zurück.

Quelle: ntv.de, jgu/jug/dpa/rts

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