
Viele der Falschbehauptungen über Annalena Baerbock kommen vom rechten Rand.
(Foto: picture alliance/dpa)
Seit ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin der Grünen muss sich Annalena Baerbock gegen eine Hasskampagne im Netz wehren. Gefälschte Zitate und Videos kursieren ebenso wie ein Nacktbild-Fake. Der Parteichefin droht ein Wahlkampf in der Defensive.
Die Faktenfinder des Webportals Mimikama sind gelangweilt. "Schon wieder ein Baerbock-Fake!", heißt es inzwischen, wenn der Redaktion eine neue Falschmeldung aus den sozialen Medien zur Grünen-Chefin gemeldet wird. Seitdem Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin der Grünen gekürt wurde, häuften sich die Fake News über die Politikerin massivst, sagt Mimikama-Autor Andre Wolf. Sie ist in rechtsextremen Kreisen zum Feindbild Nummer eins avanciert - aber nicht nur dort. Auch der grassierende Frauenhass in einigen anti-liberalen Bubbles richtet sich mit voller Härte gegen die 40-Jährige. Jüngstes Beispiel ist ein Nacktfoto, das Baerbocks "Jugendsünde" sein soll, in Wirklichkeit aber aus diversen Erotik-Foren stammt und ein russisches Model zeigt. Untertitelt wurde es vom unbekannten Verfasser mit einem vermeintlichen Baerbock-Zitat: "Ich war jung und brauchte das Geld".
Sexualisierte Angriffe auf Politikerinnen im Netz sind kein neues Phänomen - und Baerbock ist keine Ausnahme. Im Januar veröffentlichte das US-Forschungsinstitut Wilson Center eine Studie, für die zwei Monate lang rund 440.000 Kommentare über 13 ausgewählte US-Politikerinnen ausgewertet wurden. Das Ergebnis: "Sexualisierte und geschlechtsbezogene" Angriffe auf Frauen haben auch in den Vereinigten Staaten Konjunktur. Zu Zielscheiben sind etwa US-Vizepräsidentin Kamala Harris und die demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez geworden. Ein angebliches Nacktfoto kursierte auch von ihr. Natürlich sind solche Versuche der Verunglimpfung recht durchschaubar. Sie sollen Politikerinnen herabwürdigen, ihre Seriosität beschädigen, sie einschüchtern. Doch die Betroffenen wehren sich - auch Baerbock.
Um die herumgeisternden Fake News über die Kanzlerkandidatin zu finden, haben die Grünen eine eigene "Netzfeuerwehr" gegründet. Ein Team aus Parteimitgliedern sucht in den sozialen Medien gezielt nach Falschmeldungen und stellt die Verfasser zur Rede. Mimikama-Autor Wolf bezweifelt, dass diese Aufklärungsversuche auch die Richtigen erreichen. "Die Falschmeldung hat immer eine höhere Reichweite", sagt er ntv.de. "Das heißt nicht, dass sie nicht korrigiert werden muss. Aber ich rate davon ab, das als Einzelperson zu versuchen. Entweder wird man blockiert oder selbst zur Zielscheibe." Hinzu kommt, dass eine vorgefertigte Meinung schwer umzukehren ist. Wer bereits in rechten Chats und Gruppen unterwegs ist, kommt ohnehin nicht mehr als Grünen-Wähler infrage. Warum also betreibt die Partei dennoch solch einen Aufwand, um Fake News richtigzustellen?
Ein radikaler Wahlkampf
Die Antwort liefern sogenannte Sharepics, in denen Baerbock frei erfundene Zitate zugeschrieben werden, die zum Narrativ der Grünen als Verbotspartei passen: Die Parteichefin wolle etwa die private Haustierhaltung wegen der schlechten Ökobilanz verbieten, heißt es darin. Oder die Witwenrente abschaffen, um die frei werdenden Gelder in die Integration von Flüchtlingen zu investieren. Beide Fakes zielen darauf ab, dass selbst nach ihrer Entlarvung ein Zweifel bleibt - ganz nach dem Motto: "Zuzutrauen wäre es ihnen aber". Für die Partei sind solche Versuche der Desinformation wesentlich gefährlicher als ein Nacktfoto-Fake. Denn sie erreichen auch Wähler der Mitte, die nach diversen Schlagzeilen aus Boulevardmedien über ein angeblich geplantes Grillsteak- oder Einfamilienhausverbot verunsichert sind.
Dass solche unlauteren Mittel zuweilen auch vom politischen Gegner reproduziert werden, hält Wolf für besonders fragwürdig. Er warnt davor, den Wahlkampf zu radikalisieren. Denn mithilfe von Fake News seien keine Wechselwähler zu gewinnen. Vielmehr führten sie zu einer weiteren Spaltung der politischen Lager, erklärt Wolf: "Das ist gefährlich - im Übrigen auch für die Partei, die solche Suggestiv-Schlagzeilen ausstreut." Erst vergangene Woche sorgte ein Änderungsantrag für Furore, wonach die Grünen das Wort "Deutschland" aus dem Wahlprogramm streichen wollen. Das Narrativ, die Partei wolle Deutschland abschaffen, schien sich zu bestätigen. Die konservative Bubble schäumte. Auch zahlreiche Unions-Politiker teilten die Schlagzeile. CSU-Generalsekretär Markus Blume warf der Partei sogar ein "gestörtes Verhältnis zum Vaterland" vor.
Baerbock unter Polizeischutz
Dass es sich lediglich um 300 Parteimitglieder handelt, die den Antrag unterstützen - von insgesamt 106.000 - verschwiegen die Kritiker. Entschieden wird in der Frage ohnehin erst im Juni. Und dann steht längst ein anderes Thema auf dem Debattenzettel. Was beim Wähler hängen bleiben soll, ist aber das Gefühl, die Grünen wollten ein Land regieren, das sie insgeheim gar nicht leiden können.
Zwar verkörpert die Partei das Gegenteil vom "Weiter so", das der CDU in Umfragen noch immer schwer zusetzt - allerdings ist genau das auch die grüne Achillesferse: Wenn der Wähler nicht weiß, was ihn erwartet, hält er im Zweifel vieles für denkbar: ein Flugverbot, ein Autoverbot, vielleicht sogar ein Haustierverbot. Baerbock ist nun in der Rolle, sowohl den inhaltlichen als auch den persönlichen Angriffen im Namen ihrer Partei etwas entgegenzusetzen.
Der Grünen-Chefin droht ein Wahlkampf in der Defensive. Auf jüngste Behauptungen im Netz, sie habe ihren Lebenslauf geschönt, reagierte Baerbock mit der Veröffentlichung ihrer akademischen Zeugnisse - auch deshalb, weil die Falschmeldung von einem österreichischen Journalisten auf Twitter weiterverbreitet worden war. Nicht darauf zu reagieren, schien der Parteiführung wohl auch deshalb zu riskant. Der Wahlkampfleiter der Grünen, Michael Kellner, spricht inzwischen von einer neuen Dimension der Angriffe - und das in einer Zeit, die sich durch Corona aufgeheizter und volatiler darstelle als bei der vergangenen Bundestagswahl.
Auch Mimikama-Autor Wolf glaubt, dass die Massivität der Angriffe auf die Kanzlerkandidatin noch zunehmen wird - gerade weil sie jung und gebildet ist. "Das ist vor allem für rechte Milieus ein Problem", sagt er. Den gesellschaftlichen Aufstieg der Frau würden viele Männer als eigenen gesellschaftlichen Abstieg wahrnehmen. Auf Beschimpfungen, die in den sozialen Medien vom rechten Rand ausgingen, stimmten manche von ihnen ein. Andere legitimierten sie durch Schweigen. Beides helfe am Ende den rechten Propagandisten. Dass es bei Beschimpfungen bleibt, bezweifelt mittlerweile offenbar selbst die Parteispitze. Seit ihrer Kanzlerkandidatenkür steht Baerbock unter Polizeischutz.
Quelle: ntv.de, mit AFP