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Starke US-Wirtschaft ohne Effekt Bidens "heiliger Gral" ist Wählern nicht genug

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US-Präsident Joe Biden wirbt für seine Wiederwahl im November - eine schwierige Aufgabe.

US-Präsident Joe Biden wirbt für seine Wiederwahl im November - eine schwierige Aufgabe.

(Foto: REUTERS)

Die Wirtschaft zeigt historische Stärke, die Analysten jubeln, die Löhne steigen - aber die Wähler haben kein Vertrauen in US-Präsident Biden. Woran liegt das?

Die Menschen der Mitte trinken seit Monaten aus dem Kelch des Lebens, bemerken es aber nicht. Präsident Joe Biden und seine Mitstreiter weisen immer wieder darauf hin, werden aber größtenteils ignoriert. Die US-Wirtschaft wächst. Die Lohnzuwächse übertreffen die Inflation. Die Menschen kaufen kräftig ein. Doch viele reden von Krise. Wie kann das sein?

Die meisten US-Amerikaner sind pessimistisch, was ihre Wirtschaft und damit auch die eigene Zukunft angeht. Trotzdem halten die Menschen nicht wie in früheren Zeiten des Zweifels ihr Geld lieber zusammen, sondern geben es aktuell so aus, als seien sie besonders optimistisch. Es ist eine besondere Situation in einem sehr besonderen Präsidentschaftswahljahr, in dem es im November aller Voraussicht nach zu einer Neuauflage des Duells Biden gegen dessen Vorgänger Donald Trump kommt.

Laut Interviews in allen Bevölkerungsschichten hätten die US-Amerikaner Angst, schreibt das "Wall Street Journal". Sie fürchten sich vor einer unvorhersehbaren Welt, wo niemand in der Regierung oder der Wirtschaft kompetent genug sei, das Land durch unruhige Zeiten zu steuern. "Obwohl es mir gerade gut geht, habe ich das Gefühl, dass es alles in einer Sekunde vorbei sein könnte", wird eine Frau zitiert. Viele befürchten, ihre bessere Lage sei nicht nachhaltig, sondern durch politische Umstände gefährdet.

Dabei liegt die Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten bereits seit zwei Jahren unter vier Prozent, was es zuletzt in den 1960er-Jahren gab. Die Inflation, die nach Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auf über 9 Prozent angewachsen war, hat sich wieder beruhigt und ist im Januar auf 3,1 Prozent gefallen. Nur einmal in den vergangenen drei Jahren war sie geringer. Die Energiepreise werden seit Monaten günstiger. Kurz: Wenn frühere Erfahrungen von Ökonomen der Maßstab sind, passen die Daten und das Verhalten der Menschen nicht zusammen.

Ökonomen jubeln, Wähler nicht

Bidens Wahlkampfteam versucht trotzdem, weiter für die "Bidenomics" zu werben, also soziale Marktwirtschaft im Sinne der Mittelschicht, die laut Demokraten für den Aufschwung verantwortlich ist: Den Niedriglohnsektor unterstützen, die Mittelschicht ausbauen, staatliche Investitionen für die Zukunft, etwa mit Infrastruktur und Bildung tätigen, Wettbewerb fördern und die Steuerhinterziehung so weit wie möglich mit zusätzlichem Personal verringern.

Das ist nicht nur Politik. Ende Januar überschlugen sich Analysten vor Begeisterung über den US-Wirtschaftsbericht 2023. Die Art und Weise, wie die US-Regierung eine erwartete Rezession vermieden und stattdessen ein breites Wachstum von 3,1 Prozent erreichte, vereine "das Beste aus zwei Welten", sagte der Chefökonom von EY-Parthenon: "Es ist der heilige Gral von nicht-inflationärem Wachstum." Die Wirtschaft mache anständige Fortschritte und die Inflation nähere sich dem Ziel der US-Notenbank an. "Die meisten hielten das für unmöglich", sagte ein leitender Ökonom bei UBS Global Wealth Management der "New York Times": "So optimistisch waren selbst Optimisten nicht." Moody's Analytics Chefökonom schwärmte: "Es ist einfach der perfekte Bericht."

Doch statt Biden in Sachen Wirtschaft für besonders kompetent zu halten oder sonst wie zu bejubeln, ist er unbeliebt. Die Demokraten hätten lieber einen anderen Präsidentschaftskandidaten, wissen aber nicht, wen und wenn doch, wie sie es anstellen sollten. Die Republikaner verklären Trumps Prä-Pandemie-Wirtschaftslage und wollen ein härteres Regiment mit den Migranten, die über die Südgrenze kommen. 33 Prozent der Wähler sagten in einer Umfrage von NBC, Biden könne sich besser als Trump um die Wirtschaft kümmern. Zugleich sagten aber 55 Prozent, Trump habe gegenüber dem Präsidenten bei Wirtschaftskompetenz die Nase vorn.

Für Bidens Wahlaussichten heißt das: Der Zustand der Wirtschaft entscheidet womöglich weniger über seine Wahlchancen als bei früheren Präsidenten, die sich zur Wiederwahl stellten. Viel ist von der Sympathie für eine Partei abhängig, Wähler sind bei Präsidenten der anderen Partei kritischer, haben Studien festgestellt. Bei Republikanern ist der Effekt demnach besonders stark. "Für MAGA ist es die Kultur, Dummkopf", titelte dazu ein Autor der US-Nachrichtenseite "The Hill", in Anlehnung an "It's the economy, stupid", dem Allgemeinplatz aller US-Wahlkämpfer.

Drei Jahre Krise in den Knochen

Zwar hat sich die Stimmung unter Verbrauchern zuletzt historisch stark aufgehellt, mit der höchsten zweimonatigen Verbesserung seit 1991. Doch noch immer ist sie 20 Prozent niedriger als Anfang 2020 unter dem damaligen Präsidenten Trump. Dann kam die Pandemie. Die aktuellen Zahlen seien sonst an einem Rezessionsende, nicht bei solidem Wachstum zu beobachten, vergleicht das "Wall Street Journal".

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Ein Blick zurück in das Jahr als Biden ins Weiße Haus einzog. Das erste Ziel des frisch vereidigten Präsidenten war ab Januar 2021, Covid in den Griff zu bekommen. Sein enormes Hilfspaket leitete seine Flittermonate mit den Wählern ein. Doch erst wegen Lieferkettenproblemen und dann wegen des Ukraine-Krieges stiegen die Preise zwei Jahre lang mehr als die Einkommen. Die Menschen hatten immer weniger in der Tasche, während sich die Regierung der Demokraten selbst für ihre Wirtschaftspolitik auf die Schulter klopfte. Erst seit Mitte 2023 wachsen die Löhne zumindest etwas mehr als die Preise steigen. Prompt kaufen die Menschen mehr, und das auch auf Pump. Im letzten Quartal 2023 verschuldeten sie sich mit ihren Kreditkarten so viel wie seit 20 Jahren nicht.

Den US-Wählern stecken offenbar noch immer die Folgen von Covid und des Kriegs in Europa in den Knochen. Ihre Kaufkraft schrumpfte über zwei Jahre lang. Sie ist noch immer geringer als zuvor, weil die meisten Preise bleiben. Kein Wunder, dass die Menschen der verbesserten Lage bislang nicht trauen; dafür waren die Brieftaschen zu lange immer ein wenig leichter als im Vormonat. Dieses Vertrauen wieder aufzubauen, benötigt Zeit. Und offensichtlich länger, als die Wahlkämpfer der Demokraten es gerne hätten.

Quelle: ntv.de

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