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"Bis mir die Hand bricht" Gestählter Trump zieht mit Dekretgewitter ins Weiße Haus

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Donald Trump begnadigte fast alle, die wegen des Aufstands vom 6. Januar 2021 verurteilt worden waren.

Donald Trump begnadigte fast alle, die wegen des Aufstands vom 6. Januar 2021 verurteilt worden waren.

(Foto: AP)

"Die Zone fluten", das ist offensichtlich die Taktik des neuen US-Präsidenten Trump. Er fordert mehr Todesstrafen, ordnet an, Abschiebelager zu errichten und ruft den Energienotstand aus. Am Tag seiner Vereidigung unterzeichnet er eine Vielzahl von Dekreten - Trump ist vorbereitet.

Nach rund fünf Stunden ziehen die Sicherheitsleute des Secret Service den meterhohen Zaun endgültig zu. Ein Hügel zurückgelassener Rucksäcke, die nicht mit hineingenommen werden dürfen, bleibt vor der Halle in Washington liegen; Polizisten versuchen zu erklären, dass niemand mehr hineingelangen wird, um Trump persönlich zu sehen. Manche bleiben trotzdem. Jubel brandet kurz auf, als auf einem Bildschirm über dem Eingang der Arena mit 20.000 Plätzen zu sehen ist, wie der Präsident im Kapitol vereidigt wird. Danach soll Donald Trump hierhin kommen. Es ist 12.02 Uhr Ortszeit in der Hauptstadt der USA.

Die Situation des Republikaners ist eine ganz andere als vor acht Jahren, als er die Welt mit seinem ersten Wahlsieg überrascht hatte. Trump ist erfahrener. Trump hat die Kontrolle über die Republikaner, ist nicht mehr Teil der Flügelkämpfe. Er ist der über allen thronende Don, um dessen Gunst gestritten wird, der womöglich vermitteln wird. Exemplarisch sind die Tech- und Kryptobranche, reicher sowie wesentlich jünger und globaler eingestellt, gegen Trumps alte Basis, zu der insbesondere weiße Arbeiter ohne Hochschulbildung gehören.

In die Menge rufen Prediger per Megafon: "Es gibt keine verrottetere Stadt als Washington, die Gier, die Korruption." Andere beklagen die Sünde der Homosexualität oder meinen, Jesus sei der Erlöser und Retter der USA, nicht Trump. Das sieht dieser ganz anders, zumindest klingt das so in seiner ersten halben Stunde als Präsident im Kapitol, bei seiner Inaugurationsrede. "Das goldene Zeitalter beginnt jetzt", ist der erste Satz. Es folgt eine imperialistisch getränkte Rede, in der Trump ungewöhnlich konkrete Ankündigungen macht. Manche wird er wenige Stunden später in der Halle unterzeichnen, die meisten danach im Oval Office.

Maßnahmen beliebter als er selbst

Trump und seine Verbündeten haben sich auch anders vorbereitet auf diesen Tag in Washington. Nach seinem ersten Wahlsieg 2016 verließ Trump sich auf die bekannten Wege durch die Institutionen, war auf erfahrene Leute in der Hauptstadt angewiesen. Größtenteils gezwungenermaßen, er war ein Rookie. Diesmal hat der Präsident viele der sonst üblichen Schritte vermieden, weil er den Behörden nicht traut, überall Meuchelmörder vermutet, die seine Vorhaben bremsen oder gar verhindern könnten. Seine Erfahrungen haben ihn gestählt. Diesmal kann er durch Washington pflügen.

Zwar ist er zum Amtsantritt unbeliebter als jeder andere Präsident in den vergangenen 70 Jahren, doch viele seiner Maßnahmen werden von den US-Amerikanern gestützt. Laut einer Umfrage von Ipsos sind 55 Prozent der US-Amerikaner mit Massenabschiebungen einverstanden. Die Mehrheit findet, die Vereinigten Staaten sollten sich lieber um ihre eigenen Probleme statt um Kriege im Ausland kümmern. Aber nur 41 Prozent wollen die Staatsbürgerschaft per Geburt abschaffen, wenn die Eltern keine Aufenthaltsgenehmigung haben, und nur 34 Prozent wollen die betroffenen Kinder abschieben. Einig sind sich die Amerikaner mit Trumps allgemeiner Kritik an Washington: Überwältigende 88 Prozent sind überzeugt, das politische System der USA sei kaputt.

In Washington schieben sie sich durch die klirrende Kälte. Wegen der waren alle Feierlichkeiten, die üblicherweise unter offenem Himmel begangen werden, ins Innere verlegt worden. Sie wollen ihren Präsidenten sehen. Oder hätten gerne, dass er es wird. "Hey, bist du Kanadier?", fragt ein Mann einen anderen, als er dessen Flagge auf dessen Wollmütze sieht: "Der 51. Bundesstaat, richtig?", schiebt er begeistert hinterher, nachdem dieser bejaht. "Die US-Wirtschaft ist viel stärker, das kann nur gut sein", meint er. "Außer, wir werden ein zweites Kalifornien." Also besser nicht ganz Kanada, einigen sie sich. Trump hatte nach seiner erfolgreichen Wahl unter anderem vorgeschlagen, das Nachbarland könne ja Teil der Vereinigten Staaten werden.

Manche summen "God Bless the USA" vor sich hin, viele haken sich beim Vorwärtsgehen unter, um sich nicht zu verlieren. Händler schreien ihnen ihre Merchandise-Angebote entgegen, an einer Stelle stapeln sich Amazon-Kartons, "Made in China". Eine Frau verschmäht ihre goldenen Schuhe mit Absatz und läuft zuversichtlich in Strümpfen über den gefrorenen Asphalt, links, rechts, links, rechts durch die nicht enden wollende Schlange, geformt von Wellenbrechern. Die Laune bleibt gut. Es ist ja auch egal, ob man heute ankommt. Die goldenen Jahre haben begonnen.

"Die Zone fluten"

Über die Dekrete war im Detail vor der Amtseinführung nichts bekannt; Trumps Team ließ sie von externen Anwälten prüfen, nicht vom Justizministerium. Das Motto des rechten Strategen Steve Bannon, "die Zone mit Scheiße fluten", hat Trumps Team professionalisiert. "Die Zone fluten" reicht schon, wenn es gut vorbereitet wurde und die politischen Gegner im Dunkeln gelassen wurden. Fluten mit Verordnungen, mit neuen Maßnahmen, so schnell wie möglich, damit die andere Seite so weit wie möglich in die Defensive gedrängt wird.

Das ist sie möglicherweise jetzt schon. Es gab zwar am Wochenende eine Gegendemonstration mit etwa 50.000 Teilnehmern. Aber vor acht Jahren gingen in Washington fast 500.000 am Tag nach Trumps Amtseinführung gegen ihn auf die Straße, Millionen weitere im ganzen Land.

Mit dem Präsidenten ist inzwischen auch seine ganze Familie bekannt. Sie ist ein etablierter Clan; seine Schwiegertochter hat er zur Co-Parteichefin der Republikaner gemacht. Vor den Anhängern präsentieren sie sich geschlossen auf weißen Sesseln: Donald, seine Kinder, deren Partner, die Enkel. Für die Republikaner könnten die Trumps werden, was die Kennedys für die Demokraten waren: eine Dynastie. Barron, der jüngste Trump, wurde im vergangenen Jahr volljährig. Als sein Vater ihn vorstellt und er selbst aufsteht, schwillt der Jubel zu sekundenlanger Orkanstärke an. Es ist nicht das erste Mal, dass er begeistert empfangen wird. Trump lobt ihn für seinen Vorschlag, im Wahlkampf auf Podcasts zu setzen.

In der Halle, in der Trump an diesem Nachmittag erwartet wird, ist ein dunkler Holztisch mit dem Wappen des Präsidenten aufgestellt, nicht nur ein Rednerpult. Ein Helfer stapelt dort neun Dokumentenkladden, während ein Orchester Marschmusik spielt. Trump bestand laut "New York Times" darauf, am Tag seiner Amtseinführung die präsidentiellen Anweisungen zu unterzeichnen, "bis meine Hand bricht". Auf der Bühne, inmitten seiner Anhänger, fängt er damit an und spottet: "Hätte Biden das getan? Ich glaube nicht!"

Da fliegt einer der Filzstifte ins Publikum: Donald Trump macht sich beliebt.

Da fliegt einer der Filzstifte ins Publikum: Donald Trump macht sich beliebt.

(Foto: REUTERS)

Der Helfer erklärt jede Unterschrift des Präsidenten mit dem fetten, schwarzen Filzstift: Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen, Einstellungstopp für neue Staatsangestellte sowie Büropflicht für die bestehenden, die Annullierung von fast 80 Dekreten von Vorgänger Joe Biden, und die Anweisung an die Ministerien, etwas gegen die hohen Verbraucherpreise zu unternehmen. Er steht auf und schmeißt Filzstifte ins Publikum, so wie ein Star-Gitarrist mit Plektren.

Abschiebelager angeordnet

"Jetzt gehen wir ins Oval Office, um mehr zu unterzeichnen", sagt er. Während er dort mit Reportern redet, setzt er Unterschriften unter eine Vielzahl weiterer Dekrete. Trump ordnet an, an der Südgrenze zu Mexiko die "Mauer" und andere Grenzanlagen weiterzubauen; "effizientes Entfernen", also Abschiebung von Einwanderern ohne Aufenthaltsgenehmigung, und die Errichtung von Abschiebelagern. Dort sollen die Menschen untergebracht werden, bis sie weggebracht werden. Er deklariert Drogenkartelle als Terrororganisationen. Nebenbei plaudert Trump darüber, er erwäge, ab 1. Februar Einfuhrzölle von 25 Prozent auf Waren aus Mexiko und Kanada zu erheben, spricht über die Ukraine und Russland.

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Er gründet per Unterschrift das Ministerium für Regierungseffizienz, was Staatsausgaben zusammenstreichen soll - der Tech-Milliardär Elon Musk bekommt ein Büro im Weißen Haus, berichten US-Medien -, erleichtert fossile Energieförderung in Alaska, stoppt Windkraftprojekte und ruft einen nationalen Energienotstand aus. Die Staatsanwaltschaft soll häufiger die Todesstrafe fordern. Die USA treten aus der Weltgesundheitsorganisation aus. Nicht zuletzt begnadigt er fast alle Verurteilten des Sturms aufs Kapitol vom 6. Januar 2021 oder verringert ihre Strafen, darunter die Anführer der beiden Pro-Trump-Milizen "Proud Boys" und "Oath Keepers".

Davor, in der Arena, hatte Trump über die Dekrete gesagt: "Ihr werdet glücklich sein, wenn ihr morgen die Zeitung lest, am nächsten Tag, am nächsten Tag. Und am nächsten Tag." Dies sei nur der Anfang.

Quelle: ntv.de

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