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Ex-Staatschef wehrt sich Bolsonaro plante Militärputsch, USA warnten vor Folgen

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Wollte Lula da Silva nicht den Präsidentenpalast überlassen: Jair Bolsonaro (Mitte), hier bei der Kundgebung am Sonntag.

Wollte Lula da Silva nicht den Präsidentenpalast überlassen: Jair Bolsonaro (Mitte), hier bei der Kundgebung am Sonntag.

(Foto: AP)

Laut eines 135-Seiten-Dokuments des Obersten Gerichts plante Brasiliens rechter Ex-Präsident Bolsonaro einen coup d'état mithilfe des mächtigen Militärs. Die USA warnten eindringlich davor. Auf einer Demonstration in São Paulo belastet Bolsonaro sich nun womöglich selbst.

Es ging nicht um die Worte, sondern um die Bilder. Hunderttausende Menschen strömten am Sonntag in São Paulo auf die Straßen, um Ex-Präsident Jair Bolsonaro zu unterstützen - das erste Mal seit seiner verlorenen Wahl 2022. Der rechte Ex-Staatschef steckt in enormen juristischen Problemen, weshalb er zur Demonstration auf der Hauptverkehrsachse Avenida Paulista aufgerufen hatte: Alle sollten sich in Grün und Gelb kleiden, den Nationalfarben, die der rechte Präsident sich praktisch zu eigen gemacht hat. "Dieses Foto wird um die Welt gehen", versprach er der Menge bei seiner Rede, bei der er alle Schuld von sich wies.

Der 68-Jährige hat kaum andere Optionen. "Es ist ein Akt der Verzweiflung", sagte einer der Richter am Obersten Gerichtshof. In acht verschiedenen Fällen wird gegen ihn ermittelt. Unter anderem wegen Putschversuchs, mit dem der Ex-Präsident sich laut Gerichtsdokument trotz verlorener Wahl an der Macht halten wollte. Dafür allein könnte er zu einer jahrzehntelangen Gefängnisstrafe verurteilt werden. Dass es nicht zum Staatsstreich kam, daran hat offenbar auch die US-Regierung einen Anteil. Washington übte Berichten zufolge monatelang Druck auf die brasilianische Regierung und das Militär aus, sich nicht einzumischen.

Bolsonaro versucht nun, mithilfe der Straße seine Muskeln spielen zu lassen; er warf der Regierung seines Nachfolgers Lula da Silva vor, ihn politisch zu verfolgen. Die Bundespolizei und Juristen verblüffte er zugleich, als er bei seiner Rede vor der Menge indirekt zugab, den Staatsstreich mit geplant zu haben. Damit bringt sich der ohnehin schon in die Ecke gedrängte Ex-Staatschef noch mehr in die Bredouille. Wegen Machtmissbrauchs darf Bolsonaro ohnehin bis 2030 kein politisches Amt mehr übernehmen. Er hatte vor der Wahl gegenüber ausländischen Botschaftern behauptet, die seit fast drei Jahrzehnten verwendeten Wahlautomaten würden Betrug zulassen.

Das ist aber nur eine Kurve eines wilden juristischen Ritts, auf dem sich der Ex-Präsident wiederfindet. Die schärfste davon sind die Untersuchungen zum Umsturzversuch, die auf 135 Seiten darlegen, wie nah Brasilien vor einem Militärputsch zu Bolsonaros Gunsten stand. Seine Rede soll nun hinzugefügt werden. Dem Dokument zufolge waren neben dem Präsidenten vier Generäle, ein Admiral sowie rund 20 Soldaten und zivile Berater an der Planung beteiligt. Dreh- und Angelpunkt war der zentrale Zeuge: Leutnant Mauro Cid, Bolsonaros früherer persönlicher Assistent.

Ohne Pass, wohl ohne Ausweg

Hunderttausende Menschen gingen für Bolsonaro auf die Straße.

Hunderttausende Menschen gingen für Bolsonaro auf die Straße.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Wegen der Vorwürfe sitzt der Ex-Staatschef im eigenen Land fest. Die Bundespolizei hatte Anfang Februar Razzien beim ihm und mehreren Mitstreitern durchgeführt; darunter war der Ex-Oberkommandeur der Marine, sein nationaler Sicherheitsberater, die früheren Verteidigungs- sowie Justizminister. Die Ermittler beschlagnahmten Bolsonaros Pass und untersagten ihm, Brasilien zu verlassen. Viele gehen davon aus, dass der Ex-Präsident verurteilt wird.

Den Ermittlungsakten zufolge hatte Bolsonaro höchstpersönlich ein Dekret mitverfasst - auf diese Verordnung bezog er sich möglicherweise bei seiner Rede am Sonntag -, mit dem die Wahlergebnisse aberkannt und einen unliebsamen Richter am Obersten Gericht ins Gefängnis geworfen hätte. Ein General soll versprochen haben, das Militär werde den Staatsstreich unterstützen, auch Bodentruppen der Armee hätten sich beteiligen wollen.

Bolsonaro unterhält eine enge Beziehung zum Militär. Er hatte in seiner Amtszeit mehr als 6000 Offiziere im Staatsapparat und öffentlichen Unternehmen platziert, es waren so viele Militärs wie nie seit dem Ende der Diktatur im Jahr 1985. Den Streitkräften, die ihn unterstützten, war klar: Gewinnt Lula statt Bolsonaro, stünden tausende Jobs und viel Einfluss auf dem Spiel. Hinter verschlossenen Türen soll deshalb darüber diskutiert worden sein, dem Militär die Kompetenzen der Wahlbehörde zu übertragen. Verteidigungsminister General Paulo Sérgio Nogueira nannte sie den "Feind".

Aber nicht alle waren einverstanden, unter anderem der Armeechef. Ein Teil des stillen Widerstands kam laut "Financial Times" von höchster Stelle. Bolsonaros Vizepräsident, General Hamilton Mourão, hatte demnach Washington von den antidemokratischen Tendenzen in den Streitkräften informiert.

Unruhen in Brasilia angezettelt?

Die US-Regierung reagierte mit Druck. Führe das brasilianische Militär einen Staatsstreich durch, würde sich Brasilien international isolieren, und die USA würden ihre Militärkooperation mit dem Land auf ein Minimum reduzieren, warnte Washington eindringlich. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin führte laut Medienberichten die Anstrengungen an. Beteiligt waren auch das Weiße Haus, das Außenministerium, der Auslandsgeheimdienst CIA sowie der US-Senat. Jedes brasilianische Regierungsmitglied, das nach Washington kam, wurde im Laufe des Wahljahres 2022 vor einem Umsturz und einem Ende der Demokratie gewarnt.

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Als weiterer Fall werden vor dem Obersten Gerichtshof die Unruhen am 8. Januar 2023 in der Hauptstadt Brasilia behandelt, die Bolsonaro angezettelt haben soll, um den Staatsstreich als Volkswillen darzustellen und den Stein ins Rollen zu bringen. Bei einer halbstündigen Befragung der Bundespolizei weigerte er sich vergangene Woche, Fragen zu beantworten. Bolsonaro-Anhänger hatten wenige Tage nach Lulas Vereidigung als neuer Präsident zu Tausenden das Regierungsviertel gestürmt. Sie attackierten und verwüsteten das Parlament, das Oberste Gericht und den Präsidentenpalast. Dutzende Beteiligte wurden bereits zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, mehr als 1300 weitere Aufständische warten noch auf ihren Prozess.

Brasiliens Ex-Staatschef versucht auch, internationale Solidarität bei Geschwistern im Geiste zu mobilisieren. Sein Sohn Eduardo hielt am Wochenende in den USA bei der konservativen CPAC-Konferenz zwischen dem Auftritt Donald Trumps und Argentiniens Staatschef Javier Milei einen hölzernen Vortrag darüber, wie aktuell "die Freiheit" in Brasilien in Gefahr sei. Die Vorwürfe gegen seinen Vater konnte er in seinen zehn Minuten Redezeit nicht entkräften. Aber vielleicht ging es auch einfach nur um die Bilder.

Quelle: ntv.de

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