Brigade-Kommandeur im Interview "Für meine Soldaten war das ein Gänsehaut-Moment"
04.07.2025, 09:46 Uhr Artikel anhören
Deutsche Soldatinnen und Soldaten beim Aufstellungsappell der Brigade 45 Ende Mai in Vilnius.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Kreml lässt wissen, ein Ende des Ukraine-Kriegs sei undenkbar, solange die Nato noch in den Baltenstaaten aktiv ist. Was Moskau bestimmt nicht gefällt: Die Bundeswehr arbeitet auf Hochtouren daran, eine ganze Brigade fest nach Litauen zu verlegen. General Christoph Huber wird sie führen und spricht mit ntv.de darüber, warum der Ukraine-Krieg nicht als Blaupause taugt und Litauer seinen Soldaten Kaffee spendieren.
ntv.de: General Huber, 35 Kilometer östlich von hier beginnt Belarus. Sie arbeiten in Vilnius also vor der Haustür des Gegners. Nehmen Sie wahr, dass man Ihre Vorbereitungen für die ständige Brigade beobachtet, auch versucht zu stören?
Christoph Huber: Wir messen generell in der Bundeswehr der militärischen Sicherheit immer eine sehr hohe Bedeutung bei, insbesondere der IT-Sicherheit. Aufgrund der Nähe zu Belarus sagen wir den Soldatinnen und Soldaten, natürlich sind eure Mobiltelefone abhörbar. Da gibt es ganz klare Verhaltensregeln, besonders für die Soldatinnen und Soldaten der Panzerbrigade 45.
Gestern sprach ich mit Litauern darüber, ob die Stationierung einer deutschen Brigade hier wegen der Gräueltaten der SS im Zweiten Weltkrieg problematisch sei. Die meinten sofort, ach Quatsch, kein Thema. Die Behauptung, in Litauen habe man damit ein Problem, sei eine russische Fake-Kampagne. Gibt es Versuche aus Russland, die Deutschen hier an den Pranger zu stellen?
Wir werten unser Informationsumfeld natürlich aus. Im Zusammenhang mit Desinformation ist es für uns als Panzerbrigade 45 ganz wichtig, unsere Botschaft hier ganz offen zu vertreten. Wir treten hier für Freiheit und Sicherheit im Nato-Bündnisgebiet ein. Diese gute Botschaft müssen wir in den Vordergrund stellen, und das tun wir auch.

General Christoph Huber kommandiert die Brigade 45, die als erste Bundeswehrbrigade fest an einem Standort außerhalb Deutschlands stationiert wird.
(Foto: picture alliance/dpa)
Mit Erfolg, wenn man die Umfragewerte betrachtet. 85 Prozent der litauischen Bevölkerung sprechen sich für die deutsche Präsenz hier aus. Spüren Sie das im Umgang mit den Menschen?
Vor etwa einem Monat, am 22. Mai, haben wir unsere Brigade hier in Vilnius offiziell in Dienst gestellt …
… in einer feierlichen Zeremonie auf dem Kathedralenplatz mit dem Bundeskanzler, dem litauischen Präsidenten und großem Publikum.
Es war ein Gänsehaut-Moment für meine Soldatinnen und Soldaten. Nicht nur wegen der bewegenden Reden. Viele meiner Soldaten sind während einer Pause ein bisschen durch die Stadt gelaufen. Manche erzählten, sie seien von Litauern in den Cafés eingeladen worden - auf einen Kaffee, ein Croissant. Wenn wir uns in Uniform durch Litauen bewegen, werden wir angesprochen. Daumen hoch und: "Thank you for your service." Das ist wirklich Tagesordnung, der ganz große Spirit, den wir hier spüren. Wir werden willkommen geheißen, mit offenen Armen und Dankbarkeit. Das ist auch eine Verpflichtung für uns.
Bis Ende 2027 soll die komplette Brigade hier einsatzfähig sein. Ein straffer Zeitplan. Sind Sie noch in der Spur?
Huber: Wir setzen die Roadmap, die der litauische und der deutsche Verteidigungsminister Ende 2023 festgelegt haben, eins zu eins um. Teils sind wir sogar vor dem Zeitplan. Im Frühjahr haben wir die ersten Brigadeeinheiten in Dienst gestellt. Die brauche ich, um Führungsfähigkeit herzustellen. Bis Ende des Jahres muss der Brigadestab unter meiner Führung als Kommandeur führungsfähig sein. Und zwar nicht, um im Friedensbetrieb Verwaltungsaufgaben zu erledigen, sondern um kriegstüchtig zu sein.
Der Führungsstab und Sie selbst sind dann einsatzbereit, aber noch nicht diejenigen, die sie letztlich führen werden?
So kann man es sagen. Im April haben wir die Einheiten in Dienst gestellt, die mir die Fernmeldemittel bereitstellen, die IT-Systeme, das ist die große Überschrift dieses Jahr. Und Voraussetzung dafür, dass im nächsten Februar die multinationale Battlegroup Litauen, die ja schon hier ist, sowie das Panzergrenadierbataillon 122 und das Panzerbataillon 203 unter unser Kommando kommen.

Schaulustige begleiten die feierliche Zeremonie, mit der die Bundeswehr-Brigade 45 in Litauen in Dienst gestellt wird.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Die multinationale Battlegroup der Nato - das sind die rotierenden Streitkräfte, oder? 1000 Männer und Frauen etwa, auch aus Belgien, Norwegen, Frankreich, den Niederlanden, Tschechien, Island ...
Genau. Die wird uns im Februar unterstellt und auch die beiden deutschen Bataillone aus Oberviechtach und Augustdorf. Zusammen bilden sie die ersten Elemente der neuen Brigade Litauen mit 4800 Soldatinnen und Soldaten und 200 zivilen Mitarbeitern. Voraussetzung dafür ist, dass Litauen bis dahin die Infrastruktur bereitstellt.
Übungsplätze, Kasernen, Waffendepots, Munitionslager, Schulen, Kindergärten, Einkaufsmöglichkeiten ...
Ein Mammutprojekt. Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell die Litauer teilweise sind.
Wir haben das eben schon angerissen, der Kreml sieht, wie sein Gegner sich hier rüstet. Dann liegt ja der Gedanke nah, dass er besser vorher angreifen sollte, solange der Prozess noch läuft. Vor Ende 2027 wäre die Brigade aber noch nicht verteidigungsfähig?
Schon 2026 beginnen wir mit einer verstärkten Ausbildungs- und Übungspräsenz hier in Litauen. Freedom Shield, Schild der Freiheit, heißt die Übungsserie. Genauso heißt auch unser Brigademarsch. Dafür stehen wir nämlich ein, und das beginnen wir bereits im kommenden Jahr. Das ist auch ein Beitrag zur Abschreckungsfähigkeit der Nato - ein kleiner, aber hier an der Ostflanke doch ziemlich wesentlich. Darüber hinaus steht ja auch die mir vorgesetzte 10. Panzerdivision als entscheidender deutscher Beitrag genau dafür.
Es heißt immer, der Dienst in der Litauen-Brigade sei freiwillig. Wenn aber aus Deutschland zwei komplette Bataillone hierher verlegt werden, müssen dann am Ende doch alle mit?
Das Panzergrenadierbataillon Oberviechtach verlegt in Gänze, dort am Standort in Bayern wird es danach keine Panzergrenadiere mehr geben. In Härtefällen kann natürlich jemand an einen Standort in räumlicher Nähe wechseln. Bis Ende des Jahres werden wir auf 500 Soldatinnen und Soldaten aufwachsen, dafür hatten wir über 1800 Bewerbungen aus der Truppe heraus. Am Ende des Tages werden wir eine kriegstüchtige Brigade haben.
Viele der Soldatinnen und Soldaten werden mit der ganzen Familie umziehen müssen, und das für mehrere Jahre. Keine leichte Entscheidung. Warum scheinen dennoch so viele bereit?
Weil der Dienst wirklich attraktiv ist. Nicht nur dank einiger Maßnahmen, die die Politik für uns geschaffen hat. Was ich bei den Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten heraushöre: Die Litauen-Brigade reizt deswegen so sehr, weil wir hier einen glasklaren militärischen Auftrag haben. Abschreckung und Verteidigung. Diese Brigade genießt in der Bundeswehr sehr hohe Priorität, wenn nicht die höchste, was Personal und materielle Ausstattung angeht.
Ein paar Schlagworte?
Wir bekommen den Leopard II A8, den Schützenpanzer Puma S1, das ist die neueste Version. Das macht etwas aus, und bei denjenigen, die jetzt schon hier sind, nehme ich Pioniergeist wahr: Ich gehöre zu den Ersten. Ich darf hier etwas aufbauen, ich wirke bei etwas Großem mit. Hier gibt es keine eingefahrenen, tradierten Wege, sondern wir schaffen wirklich etwas Neues.
Heeresinspekteur Alfons Mais sagte mal, die Bundeswehr müsse die Ausstattung für Sie "ausschwitzen". Im Bundeshaushalt für 2025 sind die Kosten für Sie gar nicht extra erwähnt. Könnte das alles noch ausgebremst werden?
Die Beschaffung ist nicht meine Baustelle. Aber ich kann sagen: Die Ausstattung, die ich hier skizziert habe, die ist bereits in der Beschaffung. Die Oberviechtacher erhalten momentan bereits den Puma S1, direkt aus der Industrie in das Bataillon. Wir werden am Ende des Tages kriegstüchtig sein, dem ordnet sich alles unter.
Wenn wir mal auf Luftverteidigung schauen: Die ist für die Ukraine ein großes Problem, und die Bundeswehr hat wohl alles an Patriots nach Kiew geschickt, was sie mit zwei zugekniffenen Augen entbehren konnte. Wie werden Sie da ausgestattet?
Patriot-Systeme sind nicht für Landstreitkräfte vorgesehen. Die nutzt man eher, um wichtige Infrastruktur zu schützen. Aber als schwere Brigade brauchen wir natürlich einen Fähigkeitsmix. Zu den Hauptwaffensystemen - Kampfpanzern, Schützenpanzern, Artillerie - brauchen wir andere Systeme, auch wenn die nicht originärer Bestandteil der Panzerbrigade sind, noch nicht. Dazu gehört Flugabwehr für den Nah- und Nächstbereich, also gegen feindliche Drohnen, gegen feindliche Kampfhubschrauber. Diese Systeme sind auch in der Beschaffung, Sky Ranger nennt sich eines zum Beispiel.
Wie beeinflusst der Krieg in der Ukraine ihre Einsatzgrundsätze? Kontaktieren Sie das Ministerium und sagen, schaut euch das mal an, diese unbemannten Fahrzeuge, die da neuerdings im Donbass fahren. Sowas brauchen wir hier?
Als Bundeswehr, als Nato schauen wir ganz genau darauf, wie sich das Kriegsgeschehen in der Ukraine entwickelt. Damit wir solch einen Krieg nicht in der Zukunft erleben, sind wir hier. Wir passen unsere Einsatzgrundsätze laufend an. Es wäre aber auch eine falsche Schlussfolgerung, diesen Krieg als exakte Blaupause dafür zu nehmen, wie Krieg in der Zukunft aussehen wird. Nicht alles, was in der Ukraine funktioniert, würde auch für uns passen.
In Deutschland werden in letzter Zeit einige Szenarien umrissen, wie ein Angriff Russlands auf Nato-Gebiet ablaufen könnte. Tun Sie das hier auch? Szenarien durchspielen?
Wir sind hier ja zusammen mit vielen Nato-Alliierten, und die Nato hat natürlich die Mittel, um Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Wir haben immer einen regen Austausch. Heute Abend zum Beispiel treffe ich mich mit dem litauischen Divisionskommandeur und dem kanadischen Brigade-Kommandeur, der in Lettland stationiert ist. Im Format 3+3 treffen sich die drei baltischen Staaten mit Großbritannien, Kanada und Deutschland. Das geht runter bis auf die Ebene der taktischen Einheiten.
Jeden Montag analysiert Oberst Markus Reisner auf ntv.de die Entwicklung an der Ukraine-Front. Fast immer in seiner Analyse spielen Drohnen eine Hauptrolle. Bei Ihnen auch?
Am Ende brauchen wir den Fähigkeitsmix, und da haben unsere Waffensysteme als schwere Brigade ihre Berechtigung. Nur die können den Raum hier verteidigen und auch halten. Drohnen brauchen wir zur Aufklärung und auch als Kampfmittel.
Wie intensiv üben Sie mit Drohnen - auch jetzt schon?
Wir richten unsere Ausbildung und Übungen am aktuellen Kriegsgeschehen aus. Wir müssen uns auf den Krieg der Zukunft vorbereiten, nicht auf den der Vergangenheit. Das ist ganz entscheidend. Drohnen führen wir verstärkt zu, damit wir sie in den Prozess hineinbekommen. Weil es ungemein wichtig ist, dass wir uns damit schulen, ausbilden und auch üben können. Da wird es sicher noch Anpassungen geben, auch in den Strukturen. Hier entwickelt sich die gesamte Bundeswehr fort, da gibt es keinen Unterschied zwischen der Panzerbrigade 45 in Litauen und meinen Schwesterbrigaden in Deutschland.
Müsste Ihre Brigade nicht Vorrang haben vor anderen in Deutschland? Müsste nicht alles darauf fokussiert werden, dass Sie hier an der Ostflanke nicht zusammengeschossen werden, sollte es mal so weit kommen?
Wir machen hier Bündnisverteidigung und haben wirklich die höchste Priorität im Heer. Wir bekommen alles an Material, was einsatzbereit ist. Aber wir sind nicht dafür da, Material zu testen. Das wird dort gemacht, wo man es realistisch tun kann. Wichtig ist übrigens auch, nicht immer nur an Großgeräte und Waffensysteme zu denken. Wir müssen natürlich auch Ersatzteilpakete haben, Munitionsvorräte. Das spielt eine ganz große Rolle.
Aber noch sind die Soldaten ja nicht hier, sondern in Bayern und NRW. Da könnten sie doch testen. Ich hake nur nach, weil niemand in der Bundeswehr so exponiert steht und stehen wird, wie Sie hier, 35 Kilometer von Belarus entfernt. Wie bildet sich das ab?
Jetzt bereits große Mengen an Drohnen für uns zu beschaffen, das würde keinen Sinn machen. Die sind nach vier Wochen wieder veraltet. Wichtig ist, dass wir unser Personal im Umgang schulen. Und das machen wir. Die Panzerbrigade 45 ist in den Prozess involviert, aber nicht als Testverband. Alles, was an hochmoderner Ausrüstung, an Munitionsarten, an Waffensystemen beschafft wird, das erhalten wir mit höchster Priorität.
Mit Christoph Huber sprach Frauke Niemeyer
Quelle: ntv.de