"Die Behauptung ist falsch" Bundesregierung hat "punktuell" Kontakt zu Taliban
17.02.2025, 16:57 Uhr Artikel anhören
Diplomatische Beziehungen zu den radikal-islamischen Taliban wären "Adelsschlag" für das Regime, sagt Vizekanzler Habeck.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Der Druck auf die Bundesregierung, Ausreisepflichtige zügig nach Afghanistan abzuschieben, wächst. Vor allem die Opposition dringt auf eine Kontaktaufnahme mit den Taliban. Nun stellt das Auswärtige Amt klar: Dieser bestehe bereits - zumindest auf technischer Ebene.
Die Bundesregierung verfügt zumindest in begrenzter Form auch über direkte Kontakte zum radikalislamischen Taliban-Regime in Afghanistan. Darauf wies ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin hin. Er äußerte sich zu der Debatte um Abschiebungen insbesondere von Straftätern aus Deutschland nach Afghanistan.
"Die Behauptung, es gebe keinen Kontakt mit den Taliban, ist falsch. Es gibt punktuell Kontakt auf technischer Ebene", sagte der Ministeriumssprecher. Er verwies auf das bestehende deutsche Verbindungsbüro im katarischen Doha. Von dort würden "auch immer wieder Reisen von Kolleginnen und Kollegen" nach Afghanistan stattfinden. Die Bundesregierung stehe über dieses Büro "mit Vertretern der De-facto-Regierung in Kontakt" zu den Taliban in Kabul.
Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann betonte: "Es gibt keine Veränderung an der Haltung der Bundesregierung, dass wir diese De-facto-Regierung der Taliban nicht als legitime Regierung anerkennen." Zu möglichen weiteren Abschiebungen nach Afghanistan sagte sie, dazu gebe es "vertrauliche Gespräche", über die sie "nichts Detailliertes" sagen könne.
Diskussion über Afghanistan
In der RTL-Viererrunde der Kanzlerkandidaten sagte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz am Sonntagabend, man könne nach Afghanistan abschieben. "Dazu muss man allerdings dann bereit sein, mit den Taliban zu verhandeln", betonte der Unions-Kanzlerkandidat. "Wir geben 300 Millionen Euro Entwicklungshilfe nach Afghanistan. Warum machen wir das, ohne mit den Taliban darüber zu sprechen?" Er behauptete, Außenministerin Annalena Baerbock weigere sich, solche Gespräche zu führen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte der "Bild am Sonntag" gesagt, es brauche jede Woche einen Flug nach Afghanistan. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte bereits am Samstag die Abschiebung des Attentäters von München angekündigt. In der RTL-Viererrunde wies er darauf hin, dass es im vergangenen Jahr einen Abschiebeflug nach Kabul gegeben habe. "Und glauben Sie mal, da hatten wir auch Kontakte mit der afghanischen Regierung." Weitere Abschiebeflüge werde es geben.
Die FDP fordert ebenfalls direkte Kontakte der Regierung mit den Taliban, um die Voraussetzungen für Abschiebungen im großen Stil zu schaffen. Die Liberalen wären auch bereit zu akzeptieren, dass es wieder eine konsularische Tätigkeit des afghanischen Staates in Deutschland gebe, sagte Parteichef Christian Lindner in Berlin. Er forderte Außenministerin Baerbock auf, unmittelbar in Gespräche einzutreten - "auf einer technisch-logistischen Ebene". Es müsse möglich werden, afghanische Staatsangehörige, die ausreisepflichtig sind, "automatisiert und schneller in ihr Ursprungsland auszufliegen".
FDP für direkte Verhandlungen, Grüne dagegen
Der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann - in der Ampel-Koalition zuvor Bundesjustizminister - sagte, es gebe Monate, in denen mehrere Tausend Menschen aus Afghanistan nach Deutschland kämen. "Viele davon haben kein Recht, dauerhaft hier zu sein und damit erkennt man schon die großen Zahlen, um die es geht. Da ist es mit zwei Abschiebeflügen alle paar Monate nicht getan", sagte Buschmann. Im Jahr 2024 stellten Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 34.149 Afghanen und Afghaninnen einen Erstasylantrag in Deutschland.
"Deutsche Gerichte würden Abschiebungen immer dann untersagen, wenn Menschen konkret Todesstrafe, Folter oder eine unmenschliche Behandlung drohen würde", sagte er. Es sei Aufgabe der Außenministerin, solche Zusicherungen auszuhandeln.
Die Grünen lehnen direkte Verhandlungen mit den Taliban und einen deutschen Alleingang beim Umgang mit ihnen ab. "Das ist ein Terrorregime", sagte ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck in dem Quadrell, wie RTL die Viererrunde der Kanzlerkandidaten am Sonntagabend nannte. Es gebe kein Land, das mit den Taliban diplomatische Beziehungen unterhalte. "Wenn man das tun wollen würde, das ist ja ein Adelsschlag für dieses Regime, das schlimme Dinge tut, dann muss man sich dringend mit seinen europäischen Partnern und - wenn die Amerikaner noch gesprächsbereit sind - mit den Amerikanern absprechen."
"Bekämpfung des Symptoms, nicht der Ursache"
Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lamya Kaddor, sagte der "Rheinischen Post", immer wieder bekundeten die Taliban ihre Bereitschaft, direkt mit der Bundesrepublik in Verbindung treten zu wollen. "Davor kann man nur warnen, da dies dem Aufbau offizieller diplomatischer Beziehungen gleichkommt, die wir aus gutem Grund bisher nicht aufgebaut haben." Weiter sagte sie: "Solche gefährlichen Gewalttäter abschieben zu wollen, ist die Bekämpfung des Symptoms, nicht der Ursache." Die meisten dieser islamistisch motivierten Täter radikalisierten sich erst in Deutschland.
Deutschland ist in der afghanischen Hauptstadt derzeit diplomatisch nicht vertreten. Die deutsche Botschaft habe den Dienstbetrieb 2021 mit der Machtübernahme der Taliban eingestellt, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Dies hätten auch alle anderen europäischen Staaten gemacht.
Quelle: ntv.de, spl/AFP/dpa