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Lauschangriff an der Ostflanke Bundeswehr-Soldaten suchen "Goldkörnchen im Grundrauschen"

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Sie sind die Ohren der Nato: Die Bundeswehr übt den Lauschangriff bei "Vigilant Owl".

Sie sind die Ohren der Nato: Die Bundeswehr übt den Lauschangriff bei "Vigilant Owl".

(Foto: picture alliance/dpa)

Still und wachsam liegen Bundeswehr-Soldaten in Litauen bei der Übung "Vigilant Owl" auf der Lauer, um elektronische Signale aus Russland abzufangen. Auch beim Großmanöver Sapad hören sie mit.

Irgendwo in Litauen nahe der Grenze zur russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad endet die asphaltierte Straße und wird zum Feldweg. Ein paar Kilometer weiter ragt neben einem Waldstück auf einer kleinen Anhöhe eine lange Antenne mit einem breiten Aufsatz in die Höhe. Sie gehört zu einem mobilen geschützten Fernmeldeaufklärungsfahrzeug der Bundeswehr und dient als Signalerfassungsmast. In dem Fahrzeug haben deutsche Soldaten vom Kommando Aufklärung und Wirkung für die Mission "Vigilant Owl" (Wachsame Eule) Stellung bezogen. Sie erfassen Signale, identifizieren und analysieren sie.

"Vigilant Owl" dient vor allem der Kooperation mit Litauen. "Wir sind hier, um bei der Überwachung und Aufklärung der Nato-Ostflanke zu helfen", erklärt einer der Soldaten. Er und seine Kollegen sorgen auch dafür, dass die militärische Führung in Deutschland über die aktuelle Lage im Baltikum informiert wird. Dazu sitzen sie im Inneren ihres gepanzerten Fahrzeugs in Zweierteams nebeneinander vor Bildschirmen und lauschen konzentriert auf die Geräusche aus ihren Kopfhörern. Deutsche und litauische Soldaten bewachen und sichern rund um die Uhr das Gelände.

Das Soldatenleben an der Nato-Ostflanke ist nicht sonderlich luxuriös. Und auch der Job "geht schon an die Substanz", sagt ein Soldat.

Das Soldatenleben an der Nato-Ostflanke ist nicht sonderlich luxuriös. Und auch der Job "geht schon an die Substanz", sagt ein Soldat.

(Foto: picture alliance/dpa)

Einen Monat lang ist die Truppe vor Ort, um im elektromagnetischen Spektrum gegnerische Aktivitäten aufzuklären. Das Spektrum umfasst alle Wellenlängen, die für Kommunikation, Navigation, Radar und weitere militärische wie zivile Zwecke genutzt werden. Die gewonnenen Informationen fließen in ein umfassendes Lagebild ein, aus dem die deutsche und litauische Führung Rückschlüsse für das eigene Handeln ziehen kann. Rund 300 Soldaten der Teilstreitkraft Cyber- und Informationsraum sind an der Mission beteiligt.

Nur 40 Kilometer zum russischen Flugplatz

Geübt wird unter realen Bedingungen - und mit einem klaren Auftrag: Funksignale zu erfassen, die während des belarussisch-russischen Manövers Sapad von den Armeen der beiden Nachbarländer Litauens abgegeben werden. Dazu haben sich die Bundeswehrsoldaten in Grenznähe mit mehreren Fahrzeugen getarnt in Position gebracht, um nach Kaliningrad hineinhorchen zu können. Bis zum russischen Militärflugplatz Tschernjachowsk sind es Luftlinie nur rund 40 Kilometer. Von einem näher gelegenen Übungsplatz waren nach Angaben der Soldaten sogar Einschläge von Fliegerbomben hör- und fühlbar. Auch an der Grenze zu Belarus war die Truppe im Einsatz.

"Die Erkenntnisse sind unverzichtbar für unsere Aufklärung von gegnerischen Aktivitäten und dem Erkennen von Verhaltensmustern der anderen Seite. Je schneller Informationen über den Gegner oder das Gefechtsfeld gesammelt werden, desto schneller können notwendige Gegenmaßnahmen ergriffen werden", sagt Brigadegeneral Rainer Simon vom Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr bei einem Besuch der Stellung. Dort sind die Aufklärer in kleinen Teams im Feld unterwegs und tagelang weitgehend auf sich allein gestellt. Übernachten im Zelt, Feldtoilette, Wasser aus dem Kanister und Essen aus der Konserve, keine Handys. Soldatenleben pur.

Doch was genau machen die Aufklärer? "Wir suchen nach Goldkörnchen im Grundrauschen", umschreibt es einer der Soldaten. Dazu hören sie etwa den gegnerischen Sprechfunk ab und filtern verwertbare Informationen heraus. "Wir agieren ähnlich wie ein Staubsauger und sammeln alle umherschwirrenden Signale ein, um sie dann zielgerichtet vorauszuwerten und weiterzuleiten." Die Soldaten teilen ihre Arbeit auf: Der eine bedient die Spezialgeräte, der andere übersetzt die mitgehörte Kommunikation.

"Spektakulär unspektakuläres" Großmanöver

Bei Sapad Mitte September waren es nach Bundeswehr-Angaben mehrere Hundert Signale pro Tag, die von den Soldaten in kürzester Zeit aufgeschlüsselt, bewertet und sofort weitergegeben wurden. "In der Regel sind das Sekunden, wo man entscheiden muss: Was ist wichtig und was nicht", sagt der Soldat, der dem Bataillon für Elektronische Kampfführung 911 in Stadum angehört. Ein entspannter Job sei es nicht, sondern vielmehr zeitkritisch und hoch anstrengend. "Das geht schon an die Substanz."

Geachtet wird auch darauf, was und wie etwas gesagt wird. So sei die Kommunikation aufseiten des russischen Militärs während Sapad "sehr professionell und strukturiert" abgelaufen. Auch die Funkdisziplin sei hoch gewesen. Überraschungen und Ungewöhnliches habe es bei dem Großmanöver trotz westlicher Sorgen über die Militärübung - vor allem bei den direkten Anrainern Polen, Litauen, Lettland und Estland - nicht gegeben. "Sapad verlief spektakulär unspektakulär", sagt Simon.

Für den Brigadegeneral ist in der gegenwärtigen geopolitischen Lage die Aufklärung aufgrund der zunehmenden Vernetzung aller militärischen Geräte und Einheiten auf dem Gefechtsfeld wichtiger denn je. "Die russischen Streitkräfte nutzen in erheblichem Maße Aufklärungs- und Wirksysteme und verfügen über Großverbände mit integrierten elektronischen Kriegsführungskräften, die sie entsprechend einsetzen", sagt Simon auch mit Blick auf die Erfahrungen der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland.

Daher gelte es für die Bundeswehr auch, digital kriegstüchtig zu werden. "Die Elektronische Kampfführung ist heute mitentscheidend für den militärischen Erfolg", betont Simon. Wichtige Schwerpunkte dabei seien die Abwehr von Drohnen, der Schutz der Navigation und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Auch die Widerstandsfähigkeit gegen Cyberangriffe habe durch die fortschreitende Digitalisierung an Bedeutung gewonnen.

Quelle: ntv.de, Alexander Welscher, dpa

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