
Viele junge Menschen machen früh ihre ersten Erfahrungen mit der Arbeitsagentur. Die Ursache sind häufig sachgrundlos befristete Arbeitsverträge. Die SPD will diese abschaffen.
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Die SPD will sachgrundlose Befristungen abschaffen. Unternehmer verteidigen die umstrittene Beschäftigungsform, vor allem junge Menschen leiden jedoch darunter.
Laura Fischer* kennt das, ziemlich gut sogar. Vor ihr sitzen jeden Tag junge Menschen, viele klagen über das gleiche Problem: befristete Arbeitsverträge. Fischer kennt sich damit nicht nur gut aus, weil sie in der Akademikervermittlung einer Berliner Arbeitsagentur arbeitet. Sie steckt in demselben Dilemma. Im April läuft ihr Vertrag aus. Sie würde gern bleiben, aber ihr Beschäftigungsverhältnis ist sachgrundlos befristet. 2,8 Millionen Menschen in Deutschland arbeiteten 2017 in befristeten Jobs, die Hälfte davon ohne einen so genannten Sachgrund. Ein erhöhter Arbeitsanfall, Erstanstellungen und Vertretungen sind zulässige Sachgründe, gestützt darauf können Arbeitsverhältnisse mehrfach hintereinander verlängert werden, immer wieder. Sachgrundlose Befristungen sind nur bei Neueinstellungen möglich und auf insgesamt höchstens zwei Jahre begrenzt. Diese umstrittene Befristungsvariante ist eines der Topthemen in den Koalitionsverhandlungen. Die SPD will sie abschaffen, aber auf Seiten von CDU und CSU ist der Widerstand groß.
Arbeitgeber schätzen die spezielle Form befristeter Anstellungen. Gern argumentieren sie damit, dass etwa zwei Drittel der sachgrundlosen Befristungen mit Verlängerungen oder einer Übernahme enden. "Das unterstreicht, wie wichtig das Instrument als Beschäftigungsmotor ist", sagt Steffen Kampeter, der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA. David Zülow sieht das ähnlich. Der geschäftsführende Gesellschafter der Zülow AG, ein Elektrohandwerksunternehmen mit 300 Mitarbeitern in Neuss, ist gegen die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. "Für uns Unternehmer ist es das letzte Instrument der Arbeitszeitenflexibilisierung, das uns noch geblieben ist", sagt er n-tv.de.
Zülow, der beim Verband "Die Familienunternehmer" aktiv ist, erzählt von einer früheren Mitarbeiterin. Die fiel zunächst wegen drei Schwangerschaften aus und dann, weil ihre Eltern pflegebedürftig wurden. Wegen des Rückkehranspruchs musste Zülow ihr die Planstelle insgesamt neun Jahre freihalten. Bei guten Mitarbeitern sei er immer daran interessiert, sie lange an den Betrieb zu binden. "Wir können aber nicht permanent Planstellen freihalten. Das schränkt uns unternehmerisch extrem ein." Und wenn die SPD sich durchsetzen sollte? "Dann müsste ich mir künftig zweimal überlegen, ob ich überhaupt noch jemand einstelle", sagt Zülow. Als Unternehmer könne er maximal für die nächsten ein oder zwei Jahre planen. "Wir sind ja nicht im Kommunismus." Mehr unbefristete Anstellungen werde es durch eine Abschaffung jedenfalls nicht geben. Viele Unternehmen würden Überkapazitäten dann im Zweifel eher durch Mehrbelastung und Überstunden der Stammbelegschaft auffangen.
"Ich konnte gar nichts planen"
Auch Arbeitsmarktforscher sehen durchaus Vorzüge in der sachgrundlosen Befristung, diese sei ein gutes Sprungbrett in unbefristete Anstellungen. Bei einer Abschaffung würden viele Unternehmen auf Leiharbeit oder freie Mitarbeit ausweichen, warnen sie. Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, schrieb kürzlich in einem Aufsatz: "Das gut gemeinte Verbot würde in vielen Fällen Auswirkungen haben, die aus Arbeitnehmersicht nicht unbedingt erfreulich sind." Viele Beschäftigte bringt die spezielle Form der Befristung jedoch in eine schwierige Situation. Die Jobperspektive ist unsicher. Das erschwert größere Anschaffungen und Urlaube, beeinflusst aber auch die Familienplanung erheblich.
Sebastian Tacker* hat erlebt, wie sich das anfühlt. Der 46-Jährige Betriebswirt war gleich zweimal sachgrundlos befristet angestellt. 2009 unterschrieb er einen Ein-Jahres-Vertrag bei einer Pharma-Firma in Baden-Baden, wo er in der Marktforschung arbeitete. Nach Ablauf der zwölf Monate wurde er zweimal für jeweils drei Monate verlängert. Mehr könne man ihm nicht anbieten, teilte ihm die Geschäftsführung mit. Die Situation sei belastend gewesen, erinnert sich Tacker. Nach Feierabend habe er sich noch hinsetzen müssen, um Bewerbungen zu schreiben. "Ich konnte gar nichts planen", sagt er heute.
Tacker verließ die Firma schließlich vorzeitig, auch wegen des schlechten Betriebsklimas. Anschließend arbeitete er zunächst selbständig, ab 2012 war er jedoch erneut sachgrundlos befristet, diesmal bei einer EDV-Firma in Karlsruhe. Kurz vor Ende des Ein-Jahres-Vertrags wurde ihm mitgeteilt, dass es keine Verwendung mehr für ihn gebe. Die Testphase habe ergeben, dass die interne Marketingstelle an einen externen Dienstleister ausgegliedert werden solle, hieß es. Tacker war mehr als ein halbes Jahr arbeitslos, in dieser Zeit traf er eine Entscheidung: In Zukunft will er keine befristeten Jobs mehr annehmen.
Es gibt auch positive Beispiele. Der Politikwissenschaftler Michael Ludwig* arbeitet im fünften Jahr an einem Forschungsinstitut in der Nähe von Köln. Der 32-Jährige, der zu den Themen Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik forscht und nebenbei promoviert, startete über eine Elternzeitvertretung und wurde dann zweimal befristet verlängert. Ludwig kennt viele Kollegen, die unter der Situation leiden. Für ihn selbst ist es keine Belastung. "Ich fühle mich sicher in meinem Job. Meine Vorgesetzten bringen mir viel Wertschätzung entgegen." Nachteile seien ihm bisher nicht entstanden. Vor zwei Jahren erhielten er und seine Frau ohne Schwierigkeiten einen Kredit für den Hauskauf. "Ich hatte erwartet, dass es Probleme geben könnte", sagt er. Ludwig geht davon aus, dass er früher oder später einen unbefristeten Vertrag bekommt.
"Meine Chefin will mich unbedingt behalten"
Im Bereich der Forschung sind befristete Arbeitsverträge die Regel. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz erlaubt befristete Anstellungen für bis zu sechs Jahren, ohne Sachgrund. Laut Statistiken sind vor allem jüngere Menschen und Frauen von befristeten Verträgen betroffen. Insgesamt liegt der Anteil der Befristungen bei 8,5 Prozent, bei 25- bis 34-Jährigen stieg der Anteil von 9,6 Prozent (1997) auf 18,1 Prozent im vergangenen Jahr. Darunter auch Laura Fischer.
Sie startete 2012 ihre sachgrundlosbefristete Anstellung in einem Berliner Museum. Nach ihrem Master-Abschluss in Geschichte und Politik freute sich die Berufseinsteigerin über ihren ersten Arbeitsvertrag, die Beschäftigungsform störte die damals 26-Jährige zunächst nicht. Noch nicht. Fischer erzählt, wegen der Zukunftsangst zwischenzeitlich sogar depressiv gewesen zu sein. Nach zwei Jahren erhielt sie Anschlussverträge im Museum, als Elternzeitvertretung, später auch als freiberufliche Bildungsreferentin. Berufsbegleitend absolvierte sie einen Master in Erwachsenenbildung. Zwischendurch musste Fischer sich immer wieder beim Arbeitsamt melden. Im Frühjahr 2016 unterschrieb sie dort einen Vertrag als Beraterin, wieder sachgrundlos befristet, diesmal jedoch mit der Aussicht auf eine feste Stelle.
Fischer, die aus der Nähe von Bremen stammt, berät junge Akademiker. Sie mag ihren Job, erhält sehr gute Beurteilungen, dennoch ist im Frühjahr Schluss. Nach Ablauf der zwei Jahren kann ihr die Arbeitsagentur keine Planstelle anbieten. "Meine Chefin will mich unbedingt behalten, aber von der Geschäftsleitung heißt es: Es gebe zurzeit keine Freigabe für neue unbefristete Stellen", sagt sie. Gelegentlich würden gleich 100 Leute auf einmal unbefristet angestellt. Wann das wieder passiert, sei jedoch unklar: vielleicht im nächsten Jahr, vielleicht auch erst 2020. Es ist wie eine Glückslotterie. "Da fühlt man sich doch verarscht", sagt sie. Vielen ihrer Kollegen geht es genauso wie ihr.
Laura Fischer hofft noch, dass sich kurzfristig vielleicht eine Elternzeitvertretung auftun könnte. Vorsorglich hat die 32-Jährige sich aber schon arbeitssuchend gemeldet. Zurzeit arbeitet sie ihre Nachfolgerin ein. Im April ist ihr letzter Arbeitstag. Anschließend muss sie trotzdem wieder herkommen. Dann wird Laura Fischer nicht auf der gewohnten, sondern auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz nehmen müssen. Beraten wird die Akademikerin dann von einem ihrer früheren Kollegen.
* Die Namen wurden auf Wunsch der betroffenen Personen geändert
Quelle: ntv.de