
"Bin froh, wieder bei der Truppe zu sein" - nach sieben Tagen im Amt besucht Boris Pistorius zum ersten Mal Soldaten der Bundeswehr.
(Foto: picture alliance/dpa)
Eine Woche lang Leopard-Marathon, das war die bisherige Amtszeit von Boris Pistorius. Dann aber bekommt er frische Luft und einen Tarnparka - der Minister auf Antrittsbesuch bei der Truppe.
Es ist Tag 8 in der Amtszeit des neuen Bundesministers der Verteidigung. "Nächste Woche", sagt Boris Pistorius im Presse-Gespräch, "höre ich auf, die Tage zu zählen". Sie hatten es in sich, die Tage 1 bis 7 im neuen Job: Nach Vereidigung und Treffen mit dem US-Amtskollegen Lloyd Austin mitten im Panzer-Gezerre (Tag 1) muss der Neue sogleich die umstrittene (damals noch) Abwehrhaltung des Kanzlers zu Leopard-Lieferungen beim Treffen der Ukraine-Partner in Ramstein vertreten (Tag 2).
Die Tage 3 bis 5 sind geprägt vom sich zuspitzenden Panzer-Streit, auch innerhalb der Ampelkoalition, bevor der Knoten platzt und die Breaking News auf deutschen Handys aufpoppt: "Deutschland liefert Ukraine Leopard 2-Panzer" (Tag 6, 18:55 Uhr). Tag 7 verbringt Pistorius unter anderem damit, in den gängigen Nachrichtenformaten zu erklären, warum Deutschland mit dieser Entscheidung nicht zur Kriegspartei wird, bevor heute, am Tag 8, sein erster Truppenbesuch ansteht.
Durchatmen. Frische Luft, flaches Land, nasskalte null Grad und ein "Déjà-vu", das ihn nach eigenen Worten "an meine alte Wehrdienstzeit erinnert" - Pistorius hat in den 1980er Jahren in Achim seinen Wehrdienst geleistet. "Ich bin froh, wieder bei der Truppe zu sein", ist ein Satz, den man an diesem Morgen mehrfach von ihm hören wird. Es mag ein Stück weit Abgrenzungstaktik gegenüber seiner Vorgängerin sein. Christine Lambrechts Amtszeit begleitete das Gerücht, sie sei nicht bereit gewesen, die Dienstgrade der Bundeswehr zu lernen. "Nicht mal das" - so fassten es viele auf.
Pistorius legt Wert darauf, heute nicht nur sich selbst einem winzig kleinen Teil der Bundeswehr vorzustellen, sondern diese auch nach außen zu präsentieren. Wie nebenbei erläutert er - inzwischen mit Tarn-Parka statt Wintermantel bekleidet - die Aufgaben der Bataillone, die hier auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow zwischen Potsdam und Magdeburg trainieren.
Panzergrenadiere der Division 25, die der NATO für besondere Aufgaben zur Verfügung stehen soll, und das Logistikbataillon 171 - "quasi der Versorger, der Nachschieber für die schnelle Eingreiftruppe der NATO", erklärt Pistorius den fröstelnden Journalisten - und wirkt einen Moment so wie Armin Maiwald, der in der "Sendung mit der Maus" kindgerecht beschreibt, was Soldaten denn eigentlich so machen.
Mit der Zukunft hat er "genug zu tun"
Von seiner frisch zurückgetretenen Vorgängerin wird sich der SPD-Mann häufiger abgrenzen im Laufe dieses Besuchs. Etwa auf die Frage, ob er schon verstanden habe, wieso noch immer keine Munition nachbestellt sei. Die Lücken, die die Ukraine-Hilfe in den Bestand gerissen hat, müssen noch gefüllt werden. "Ich bin seit einer Woche im Amt, ich kümmere mich eigentlich eher um die Zukunft als um die Vergangenheit", antwortet Pistorius. Damit habe er genug zu tun.
Doch im Ansinnen, die Zukunft der Bundeswehr zu gestalten, wie auch die deutsche Rolle in der Sicherheitsarchitektur Europas, stehen dem Neuen die Folgen der Vergangenheit andauernd breitbeinig im Weg. "Wir stehen in einem Zielkonflikt", erklärt der Minister im Gespräch mit der Presse, während er sich die Finger warm reibt. Auf der einen Seite habe man die letzten 30 Jahre, mit Einsparprogrammen einzelner Vorgänger in beträchtlicher Höhe. "Einige sagen, das habe einem Teil der Bundeswehr das Rückgrat gebrochen, was Beschaffung und Ausrüstung angeht."
Dem gegenüber stehen durch die veränderte Sicherheitslage neue Anforderungen an Bundeswehr und NATO. "Die Waffenlieferungen an die Ukraine reißen da im Zweifel Löcher, wo schon Defizite sind", lautet die Minister-Bilanz nach sieben Tagen. "Aber wir müssen uns entscheiden." Man könne der Ukraine ja schlecht sagen, "wir stellen unsere Hilfe ein, weil es bei uns vorübergehend Lücken reißt".
Pistorius will darum schon nächste Woche, falls es der Terminkalender zulässt, mit der Rüstungsindustrie Gespräche aufnehmen und dafür sorgen, "dass Beschaffungszeiten deutlich verkürzt werden" und - wo immer es gehe - mit Material ausgeholfen wird.
Doch der Waffen- und Munitionsbedarf der Ukraine wird in der kommenden Zeit eher noch zunehmen, in der öffentlichen Debatte fällt inzwischen häufiger der Begriff "Kriegswirtschaft". Pistorius benutzt ihn nicht, aber umreißt, was nötig ist: "Wechselseitige Planungssicherheit - von politischer, von administrativer Seite, was Aufträge angeht, aber auch von Seiten der Wirtschaft", etwa bei Lieferzeiten.
Die Pumas walzen über Hügel und Senken
Er werde sich vor die Truppe stellen, hat der Minister am Tag seiner Amtseinführung versprochen. Jetzt jedoch schart er die zwei Dutzend Panzergrenadiere im Halbkreis um sich, nachdem sie ihm mit vier Puma-Schützenpanzern ein Angriffstraining gezeigt haben. Die Pumas sind in erstaunlichem Tempo über die Hügel und Senken der Schießbahn gewalzt und haben mit scharfer Leuchtmunition einen Gegner angegriffen, dargestellt durch Zielscheiben. Diese zeichnen die Treffgenauigkeit der Kanonen auf, die während der rumpeligen Fahrt ihr Ziel selbst anpeilen. Später wird ausgewertet. Pistorius wertet jetzt schon mal aus.
Ihn habe die Puma-Übung sehr beeindruckt. "Wer den Marder kennt, merkt den Unterschied sofort." Für sein Gespräch mit den Soldaten rückt der IBuK - der "Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt", wie Pistorius sich seit acht Tagen nennen darf - in Eigenregie von der Presse weg. "Das war ganz anders geplant, das hat er einfach gemacht", wird hinterher einer der Verantwortlichen schmunzelnd sagen. Nur Satzfetzen dringen aus der Minister-Ansprache an die Soldaten heraus. "Wenn was ist, will ich’s wissen", weht einmal herüber.
Da möchte offenbar der neue IBuK, trotz der zwei Busladungen voll Journalisten im Schlepp, nicht den Eindruck erwecken, es handle sich bei seinem Truppenbesuch um einen PR-Termin. Dass die Außenwirkung auch eine wichtige Rolle spielt - kein Zweifel, und schon dadurch belegt, dass der Minister hinten auf einem Puma mitfährt, ohne einen Schutzhelm zu tragen. Eigentlich streng verboten, wie ein Soldat bestätigt. Aber "Minister im Tarn-Parka" sieht auf den Fotos hinterher schnittig aus. "Minister mit Helm auf" eher nicht.
Pistorius ergreift die Gelegenheiten, mit den Grenadieren in Kontakt zu kommen. Die Truppe, so äußert sich ein Vertreter aus der Leitungsebene, sei auf den neuen Minister auch wegen seiner zupackenden Art gespannt. Die Bundeswehr wünsche sich, wertgeschätzt zu werden, wird Pistorius später erklären. Durch Aufmerksamkeit, aber auch und vor allen Dingen durch politische Entscheidungen. "Dafür trete ich an."
Als der Minister sich nach drei Stunden auf dem Truppenübungsplatz an den Rückweg macht, wird er von der Seite gefragt, ob er den Tarn-Parka denn behalten dürfe. Er lacht und wendet sich an die Oberstleutnants ringsum: "Darf ich den Parka behalten?" Die Soldaten lachen mit, aber eine Zusage geben sie ihm nicht.
Quelle: ntv.de