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Berlin will erst Panzer zählen Diese Begründung kann Pistorius nie wieder bringen

"Ich bin, wie gesagt, seit 24 Stunden im Amt" - Pistorius zur Entscheidung, erstmal die "Leopard"-Bestände zu prüfen.

"Ich bin, wie gesagt, seit 24 Stunden im Amt" - Pistorius zur Entscheidung, erstmal die "Leopard"-Bestände zu prüfen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Deutschland unter Druck - von Ramstein erwarten viele eine konkrete Ansage der Bundesregierung zum "Leopard", aber der neue Verteidigungsminister zieht Scholz vorerst aus der Affäre. Peinlich für den Kanzler ist das trotzdem.

"Druck rausnehmen", das ist erkennbar das Ziel von Boris Pistorius, als er am Nachmittag in Ramstein vor die Presse tritt. Es gebe "kein einheitliches Meinungsbild" in Ramstein, erklärt der deutsche Verteidigungsminister zur Debatte um den Kampfpanzer "Leopard". Der Eindruck, Deutschland blockiere eine solche Entscheidung, sei falsch. Was Pistorius unerwähnt lässt: Der Ukraine-Kontaktgruppe gehören mehr als 50 Staaten an. Selbst eine Frage nach dem Wetter würde hier kein "einheitliches Meinungsbild" ergeben.

Anders als der Minister in seinem Statement suggeriert, haben sich aber bedeutende Partner der Ukraine - und auch Deutschlands - bereits im Vorfeld sehr klar und einig positioniert: Großbritannien, Polen und Finnland sind bereit, Kampfpanzer aus ihren Beständen an Kiew zu geben. Frankreich prüft konkret, Dänemark, die Niederlande, Tschechien, die Slowakei, Lettland und Litauen haben sich gemeinsamen dafür ausgesprochen, Kampfpanzer zu liefern. Spanien hatte das schon im Frühjahr angeregt. Aus den USA gibt es Lob für die britischen "Challenger".

Wenn Pistorius nun also zu klingen versucht, als habe man sich in Ramstein in punkto "Leopard" zum ergebnisoffenen Brainstormen zusammengesetzt, gelingt es ihm kaum, den Druck, unter dem Deutschland gegenüber dieser illustren Riege steht, herunterzuspielen. (Von der Ukraine ganz abgesehen, die eine absehbare Frühjahrs-Offensive der Russen ohne eine dreistellige Menge westlicher Kampfpanzer nicht abwehren kann.)

Für die Bundesregierung bedeutet diese Riege an lieferwilligen Verbündeten vor allem eins: Das Kanzler-Diktum, Alleingänge seien zu vermeiden - eine Position, die man aus guten Gründen vertreten kann - wendet sich gegen ihn. Wenn so viele Partner zu agieren bereit sind, wird das Nichtstun zum Alleingang.

Das Diktum "Kein Alleingang" taucht nicht mehr auf

Dieses Diktum musste Berlin aufgeben, der Begriff "Alleingang" taucht im Statement des Ministers an keiner Stelle auf. Sein Problem: Es war die letzte Begründung, die noch übrig blieb, nachdem alle anderen bereits abgeräumt waren. Verfügbarkeit, Logistik, Instandsetzung und Ausbildung - alles machbar. Nahezu unisono erklären Experten seit Wochen, Deutschland könne den "Leopard" liefern, wenn Scholz nur will.

Was also bleibt seinem neuen Verteidigungsminister übrig, wenn er vor den Kameras in Ramstein nicht an einer Blockadehaltung festhalten kann, die sich inhaltlich durch nichts mehr begründen lässt? Er kündigt einen Schritt an. Berlin bewegt sich - aber nicht etwa so weit, wie es die Partnerstaaten erwarten. Er, Pistorius, habe seinem Ministerium am Morgen den Auftrag erteilt, die "Leopard"-Bestände zu prüfen, bei der Bundeswehr und auch in der Industrie. Ergebnis? Offen.

Berlin bewegt sich also, und da - siehe oben - keine Gründe mehr verbleiben, den "Leopard" nicht im Verbund mit vielen Staaten an die angegriffene Ukraine zu geben, darf man hoffen, dass der Panzer bald freigegeben wird. Hat Deutschland damit sein Gesicht wahren können?

Leider nicht. Denn wenn es tatsächlich so sein sollte, dass Minister Pistorius am zweiten Arbeitstag erstmal eine Prüfung der "Leopard"-Bestände anordnen muss, weil vor ihm und parallel zu der seit Monaten international, im Bundestag und an deutschen Küchentischen geführten Debatte noch niemand, nicht mal der Kanzler, auf diese Idee gekommen ist... Wenn das also wirklich stimmen sollte, dann müsste man allmählich wirklich Angst kriegen. Angst, ob Deutschland, ob das Kanzleramt und das Verteidigungsministerium der fragilen internationalen Lage noch gewachsen sind.

Die "Marder"-Zusage erzeugte Tohuwabohu

Die gute Nachricht: Es ist total unwahrscheinlich, dass Pistorius diesen Bericht tatsächlich braucht und so uninformiert ist, wie er heute suggeriert. Erstens, aus Gründen des gesunden Menschenverstands. Nach dem Tohuwabohu im Anschluss an die Schützenpanzer-Zusage Anfang Januar wurde anhand vieler Faktoren eines sichtbar: Scholz hatte mit seiner adhoc-Zusage das gesamte Ministerium samt Chefin überfahren. Das sah nicht gut aus und widersprach der Kanzlerdarstellung, alles sei schon seit Wochen abgestimmt. Ein solches Risiko würde doch hoffentlich Scholz nicht nochmal eingehen.

Zweitens, aus Gründen der Diplomatie. Boris Pistorius hat heute seinen Chef davor bewahrt, als engstirniger Blockierer dazustehen. Und das war wichtig. Dafür musste er es auf sich nehmen, sich selbst und sein Ressort als schlecht vorbereitet hinzustellen, und geschickt wies er bei einer Nachfrage zu genau diesem Punkt darauf hin, er sei ja erst seit 24 Stunden im Amt. Der Kaltstart im Bendlerblock ermöglichte Pistorius, die Peinlichkeit der schlechten Vorbereitung abzufangen. Diese Begründung wird er allerdings nie wieder bringen können.

Wenn also Berlin inzwischen eigentlich verstanden hat, dass es liefern muss, und das nun so gut es geht wie eine eigene Entscheidung aussehen lassen will: Schwamm drüber. Zu den Industrie-Beständen haben sich die Hersteller in der Öffentlichkeit mehrfach geäußert. Zwei Anrufe dürften genügen - in der Chefetage von Krauss-Maffei Wegmann und anschließend müsste man noch kurz Armin Pappberger von Rheinmetall an die Strippe kriegen. In 20 Minuten wäre dieser Teil der Recherche erledigt.

Eine Liste der in der Bundeswehr verfügbaren "Leopard"-Panzer liegt nach RTL-Informationen längst bei Generalinspekteur Eberhard Zorn vor. Wenn Pistorius also nicht auf den eigenen Prüfbericht warten möchte, nimmt er einfach die. Anders gesagt: Alle nötigen Daten sind - natürlich - vorhanden. Nun kommt für Pistorius die schwierigste Aufgabe: Scholz klarzumachen, dass kommende Woche etwas verkündet werden muss. Allein die bisherige Performance des Neuen in enorm verquaster Gemengelage gibt Anlass zur Zuversicht.

Quelle: ntv.de

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