Pflegenotstand in Deutschland "Das ist würdelos, das kann so nicht bleiben"


Katy Karrenbauer kennt die Misere aus eigener Anschauung, Gesundheitsminister Lauterbach würde die Situation gerne verbessern.
(Foto: WDR/Oliver Ziebe)
Wer zu einem Pflegefall wird, hat ein Problem. Viele Menschen können sich eine gute Pflege in einem Heim nicht mehr leisten. Die Kosten werden immer höher. In der Sendung "Hart aber fair" im Ersten diskutieren die Gäste am Montagabend darüber, ob eine Pflege in Würde überhaupt noch möglich ist.
Bekannt wurde sie durch die RTL-Serie "Hinter Gittern - der Frauenknast", in der sie zehn Jahre lang die lesbische Insassin Christine Walter spielte: Katy Karrenbauer. Inzwischen steht sie auf der Bühne und tritt unter anderem bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg auf. Aber vor allem pflegt sie ihren demenzkranken Vater, der in einem Pflegeheim in Berlin lebt. Sie gehört am Montagabend zu den Gästen in der ARD-Sendung "Hart aber fair", in der sie über die Erfahrungen mit Pflegeheimen berichtet. Zu ihrem Vater hat sie wenig Kontakt gehabt, bis er begann, an Altersdemenz zu leiden. Sie beschließt, ihn zu pflegen. Für seinen Heimplatz muss sie das Elternhaus verkaufen. Zunächst lebte ihr Vater in einer WG. Das war irgendwann nicht mehr möglich, weil er immer wieder wegzulaufen versuchte. Von dem Erlös des Hauses zahlt sie nun seine Heimpflege. Viel sei nicht mehr übrig, das Geld reiche nur noch für drei oder vier Jahre, sagt sie. Dann muss das Sozialamt einspringen. Sie selbst gibt einen großen Teil ihrer Einnahmen für ihren Vater aus, der im Mai 91 Jahre alt wird.
Katy Karrenbauer besucht ihn fast täglich. Dann verbringt sie bis zu sechs Stunden Zeit mit ihm. Doch inzwischen kümmert sie sich nicht nur um ihren Vater, erzählt sie. "Ich bespaße auch die anderen dort. Ich bin Zigarettenbeauftragte, lade die Menschen zum Kaffee ein. Ich bringe viel mit, Kleinigkeiten, von der Creme bis zur Zahnbürste."
Täglich merkt sie, dass Freizeitangebote eingespart werden. Vor Kurzem habe die Heimleitung die Mal-Therapeutin abgeschafft. Sie sei zu teuer gewesen. Und sie spürt den Mangel an Pflegekräften, die ihre Zeit den alten und pflegebedürftigen Menschen widmen. "Dabei ist Zeit so wichtig. Zeit ist Würde. Es ist die Zeit, die niemand für sie hat, weil zu wenig Pflegekräfte da sind. Und die, die da sind, sind fertig. Ich treffe ganz oft weinende, völlig überarbeitete Menschen. Da muss etwas verändert werden in diesem Land. Es kann doch nicht sein, dass die Pflegekräfte auf dem Zahnfleisch kriechen", klagt Karrenbauer.
Ihr Vater wäre viel lieber zu Hause, doch dort kann sie ihn nicht pflegen. Er habe ein Einzelzimmer, sagt sie. "Aber in dem Heim gibt es auch Mehrbettzimmer mit bis zu drei Menschen. Das ist würdelos. Da muss ich als Patient dem einen beim Sterben zusehen und dem anderen beim Würgen. Das kann so nicht bleiben."
"Das ist eine Schande"
Silke Behrendt kann die Erfahrungen von Katy Karrenbauer bestätigen. Sie arbeitet seit 30 Jahren in der Altenpflege und ist in einem Pflegeheim in Wattenscheid beschäftigt. Die meisten Menschen dort hätten Angst davor, das eigene Vermögen zu verlieren und dann auf 135 Euro Taschengeld monatlich angewiesen zu sein. Davon müssen sie alles bezahlen, was sie nebenbei brauchen, vom Friseur bis zur Fußpflege. "Ich finde es unwürdig, von so wenig Geld leben zu müssen. Das ist eine Schande", sagt sie bei "Hart aber fair".
Das Geld reiche oft nicht bis zum Monatsende. Dann springen sie und ihre Kolleginnen und Kollegen ein, kaufen Zigaretten, Duschgel, Süßigkeiten. Auch wenn ihr Gehalt in den letzten Jahren erhöht worden ist, weiß sie: "Ich könnte mir im Notfall einen eigenen Pflegeplatz nicht leisten in dem Heim, in dem ich jetzt arbeite."
Lauterbachs Pflegereform
Nun möchte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Pflege reformieren. Dabei will er besonders die häusliche Pflege stärken. So sollen schon ab dem nächsten Jahr das Pflegegeld und die ambulanten Sachleistungsbeträge um je fünf Prozent erhöht werden.
Doch nach wie vor werde bei der Heimpflege die Qualität vom Geld abhängen, sagt Lauterbach. Die Pflegeversicherung sei eine Teilkaskoversicherung. Sie decke nur einen Teil der Pflegekosten ab. Lauterbach: "Ich wäre dafür, wenn man auch eine Vollkaskoversicherung wählen könnte. Aber man muss zugeben: Pflegebedürftigkeit ist leider auch ein Armutsrisiko."
Lauterbach hätte gerne eine Bürgerversicherung eingeführt, in die jeder einzahlen müsste. Das jedoch habe die FDP verhindert. "Im Moment zahlen die Einkommensstärksten in die private Pflegeversicherung, aber nicht in die öffentliche, solidarische Versicherung. Das kann nicht richtig sein", so Lauterbach.
Für Heimbewohner könnte die Situation bald noch dramatischer werden. Denn viele Pflegeheimbetreiber pfeifen buchstäblich auf dem letzten Loch. Zwei große Gesellschaften mussten in diesem Jahr bereits Insolvenz beantragen. Gründe dafür sind die Inflation, die Folgen der Corona-Krise und in kleinerem Maße die höheren Löhne der Pflegekräfte. Und immer noch versuchen viele Heime, mit Pflegepatienten Profit zu machen. "Wir haben in der Pflege und in den Krankenhäusern die Ökonomisierung stark übertrieben", gibt Lauterbach zu - und fordert: "Das müssen wir zurückführen."
Klar ist auf jeden Fall jetzt schon: Die Kosten für die Heimunterbringung werden in den nächsten Monaten für viele Patienten oder ihre Angehörigen steigen - für einige sogar dramatisch. Die Bundesbürger wissen das. Einer Umfrage zufolge wollen 89 Prozent der Deutschen im Ernstfall lieber in ihrem eigenen Zuhause gepflegt werden.
Quelle: ntv.de