Ende der 40-tägigen Trauerzeit Demonstrierende versammeln sich an Aminis Grab
26.10.2022, 14:09 Uhr
Seit Aminis Tod vor 40 Tagen kommt es im Iran fortlaufend zu Protesten gegen das Mullah-Regime.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Die Proteste gegen die iranische Regierung reißen nicht ab: 40 Tage nach dem Tod Aminis finden sich Tausende Demonstrierende an ihrem Grab zusammen. Außenministerin Baerbock verurteilt das "menschenverachtende" Vorgehen der Behörden und kündigt an, den Kurs gegen Teheran zu verschärfen.
40 Tage nach dem Tod der jungen iranischen Kurdin Mahsa Amini sind im Iran Menschenmassen auf die Straßen gegangen. Laut der iranischen Nachrichtenagentur Isna zogen "fast 10.000 Menschen" zu Aminis Grab auf dem Aitchi-Friedhof in ihrer Heimatstadt Saghes in der westlichen Provinz Kurdistan. Unter ihnen seien sowohl Einheimische als auch Menschen aus anderen Städten gewesen. Zahlreiche Männer und Frauen skandierten auf dem Friedhof "Frau, Leben, Freiheit" und "Tod dem Diktator", wie online verbreitete Videos zeigten. Im Iran wird nach dem Tod eines Familienmitglieds traditionell 40 Tage lang getrauert. Zuvor hatten Aktivisten anlässlich des Trauertags zu landesweiten Protesten aufgerufen.
Aktivisten zufolge hatten Sicherheitskräfte Aminis Familie zuvor gedroht, dass sie "um das Leben ihres Sohnes fürchten" müsse, wenn auf dem Friedhof eine Zeremonie abgehalten werde. Von der in Norwegen ansässigen Menschenrechtsorganisation Hengaw geteilte Bilder zeigten eine starke Polizeipräsenz in Saghes, Sicherheitskräfte hatten versucht, den Zugang zur Stadt abzuriegeln. Dennoch gelang es Dutzenden Menschen, in Autos und auf Motorrädern in die Stadt zu gelangen, einige kamen zu Fuß. Auf einem weiteren im Internet geteilten Video, das noch nicht von unabhängiger Stelle geprüft wurde, waren die Rufe "Kurdistan, Kurdistan, der Friedhof der Faschisten" zu hören.
Der Friedhof in Sakes, auf dem Amini begraben liegt, sei voller Polizisten und Angehörigen der freiwilligen Basidsch-Miliz, berichtete ein Augenzeuge. "Sie haben versucht, uns daran zu hindern, den Friedhof zu betreten, aber ich habe es geschafft hineinzukommen. Ich habe Mahsas Eltern noch nicht gesehen." Ein anderer Zeuge berichtete, viele Anwohner seien auf dem Weg zum Friedhof. Die Menschen haben sich den Warnungen der Sicherheitskräfte widersetzt und gehen zum Friedhof." Aber dort seien zahlreiche Polizisten und Milizionäre. Nach Angaben von Hengaw wurde auf die Demonstrierenden in Saghes geschossen, auch Tränengas kam zum Einsatz. Aus "Sicherheitsgründen" kappten die Behörden laut einem Medienbericht das Internet in der Stadt.
Polizei in Teheran setzt Tränengas gegen Ärzte ein
Zu Protesten kam es unter anderem auch in der iranischen Hauptstadt Teheran. Dabei ist die Polizei mit Tränengas gegen eine Demonstration von Ärzten vorgegangen. Die Mediziner demonstrierten gegen die Präsenz von Sicherheitskräften in den Kliniken, wo auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Proteste behandelt werden. Augenzeugen bestätigten ein massives Aufgebot von Polizisten und Kontrollen an den Hauptstraßen in Teheran. Viele Läden waren aus Sorge vor Ausschreitungen geschlossen.
Auch an Universitäten im Iran setzten Studentinnen und Studenten Protestaktionen fort. In Teheran und anderen Landesteilen gab es an den Hochschulen auch Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, die gewaltsam vorgingen, wie in Videos in sozialen Netzwerken zu sehen war. Diese Berichte wurden noch nicht unabhängig überprüft.
Seit dem Tod Aminis reißen die Proteste gegen die iranische Regierung nicht ab. Amini war am 16. September in Teheran gestorben, nachdem sie dort drei Tage zuvor von der Sittenpolizei wegen des Vorwurfs festgenommen wurde, ihr Kopftuch nicht den Vorschriften entsprechend getragen zu haben. Aktivisten beschuldigen die Behörden, Amini misshandelt zu haben.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) wurden bei den Protesten und dem gewaltsamen Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte landesweit bisher mindestens 141 Demonstrierende getötet. Mehr als zehntausend Menschen wurden im Zusammenhang mit Protesten verhaftet.
Baerbock will Beziehungen einschränken
Auf das harte Vorgehen der iranischen Behörden gegen die Protestbewegung reagiert Deutschland mit einer Verschärfung des Kurses gegen Teheran. "Tag für Tag verschlechtert sich die Menschenrechtslage in Iran, gehen die Sicherheitskräfte brutaler gegen die Frauen und Männer auf der Straße vor, die nichts anderes einfordern als ihre universellen Menschenrechte", erklärte Bundesaußenministerin Baerbock in Berlin. Mit einem Staat, "der derart menschenverachtend mit seinen eigenen Bürgerinnen und Bürgern umgeht", könne es kein "Weiter so" in den bilateralen Beziehungen geben. Die Sanktionen, die Deutschland gemeinsam mit seinen europäischen Partnern auf den Weg gebracht habe, seien ein erster Schritt.
Darüber hinaus treffe die Bundesregierung weitere Maßnahmen, um auf die Lage im Iran zu reagieren, erklärte Baerbock. So setze sich Berlin unter anderem für einen Sonder-Menschenrechtsrat in Genf ein und arbeite an einer "starken" Resolution in der UN-Vollversammlung. Bis zur Einrichtung eines UN-Mechanismus würden überdies Nichtregierungsorganisationen bei der Aufgabe unterstützt, Beweise für Menschenrechtsverbrechen zu dokumentieren und zu sammeln.
Die systematische Unterdrückung von Frauen und ethnischen, religiösen und sexuellen Minderheiten im Iran sei nicht neu - "aber sie erreicht im Moment eine beispiellose neue Härte", erklärte die Grünen-Politikerin. Auch für deutsche Staatsangehörige werde die Lage im Iran immer gefährlicher.
Iran sanktioniert Deutsche Welle
Der Iran reagierte auf die zuvor verhängten Strafmaßnahmen aus Brüssel mit Sanktionen gegen europäische Politiker und Einrichtungen. Erwähnt wird in der Mitteilung des Außenministeriums etwa die persischsprachige Abteilung der Deutschen Welle (DW). Betroffen sind zudem Abgeordnete des Europäischen Parlaments, zwei deutsche Unternehmen und deutsche Journalisten.
Bereits vor rund einer Woche hatte der Iran mehr als ein Dutzend britische Personen und Einrichtungen auf eine Terrorliste gesetzt. Der Iran wirft den Einrichtungen und Personen "Unterstützung von Terrorismus" vor. Die Sanktionen umfassen Einreisesperren, zudem sollen Vermögen im Rahmen der juristischen Zuständigkeit durch iranische Behörden eingefroren werden. Auf der Liste stehen etwa der britische Geheimdienst GCHQ und in London ansässige persischsprachige Medienhäuser wie BBC Persian und Iran International.
Der Intendant der Deutschen Welle, Peter Limbourg, verurteilte den Schritt in einer Mitteilung. "Das Regime im Iran bedroht bereits seit längerer Zeit unsere Kolleginnen und Kollegen in der Farsi-Redaktion und ihre Familien. Das ist nicht hinnehmbar. Das Regime fördert Terrorismus nach innen und nach außen. Ich erwarte, dass die Politik in Deutschland und Europa den Druck auf das Regime erhöht. Dass wir nun auf einer solchen Liste stehen, wird uns nicht davon abhalten, unsere Nutzerinnen und Nutzer im Iran mit verlässlichen Informationen zu versorgen."
Quelle: ntv.de, mbu/dpa/AFP/rts