Separatistenführer Puschilin Der Mann, der Putin zur Invasion rufen könnte
23.02.2022, 19:32 Uhr
Stolz: Puschilin bei einer Zeremonie zur Anerkennung seiner Republik durch die Russische Föderation.
(Foto: picture alliance/dpa/Russian President Press Office/TASS)
Während Wladimir Putin die Staatlichkeit der Ukraine in Abrede stellt, gibt sich Russlands Präsident dennoch Mühe, eine mögliche Invasion als Rettungsaktion zu inszenieren. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Regierungschef der Separatistengebiete in Donezk.
Der Mann, der den Startschuss zur russischen Invasion der Ukraine geben könnte, heißt nicht Wladimir Putin. Er heißt Denis Puschilin und ist Regierungschef der Volksrepublik Donezk. So nennen von Russland unterstützte Aufständische das von ihnen gehaltene Territorium im Südosten der Ukraine. Puschilin versicherte am Mittwoch - ebenso wie ein Vertreter der russischen Regierungspartei "Einiges Russland" -, russische Truppen seien noch nicht zugegen. Sie würden erst auf ein Hilfeersuchen der Volksrepublik in das Gebiet einrücken. Dass Puschilin diesen Hilferuf bald schon an Moskau richten wird, steht zu befürchten.
Seit Wochen und Tagen redet Puschilin öffentlich von einer wachsenden Bedrohung für die russischsprachigen Bewohner seiner Republik, genauso wie Leonid Passetschnik, der Chef der benachbarten Volksrepublik Luhansk. Beide sind mit ihren Warnungen vor einem sich bereits abspielenden Völkermord auf offene Ohren in Moskau gestoßen. Noch während des Besuches von Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag in Moskau forderte das russische Parlament, die Staatsduma, Präsident Wladimir Putin zur Anerkennung von Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten auf. Sechs Tage später, am vergangenen Montag, kam Putin der Aufforderung nach - in einem offensichtlich orchestrierten, von langer Hand geplanten Schauspiel.
Nicht zu belegende Gefahr
Dem 40-jährigen Puschilin kommt in diesem Theater die Rolle eines Kronzeugen zu, der die Notwendigkeit der von Moskau als "Friedenstruppen" verbrämten Invasionskräfte verbrieft: In einer Pressekonferenz am Mittwoch bezichtigte er die Regierung der Ukraine stetig zunehmender militärischer Aggressionen sowie konkreter Angriffspläne. Noch beunruhigender sind die sich häufenden Meldungen aus dem Aufständischen-Gebiet von angeblichen Sabotage- und Terrorakten: Dass diese entweder nicht zu belegen oder erstaunlich leicht zu widerlegen sind, passt zu Warnungen westlicher Geheimdienste vor inszenierten Gewaltakten.
"Aus Sicht der Bundesregierung deutet nichts darauf hin, dass im Donbas ein Genozid stattfindet oder stattgefunden hat", erklärte ein Sprecher der Bundesregierung am Mittwoch. Eine Überprüfung der eigenen Vorwürfe scheitert an den Separatisten: Freie Presse und unabhängige internationale Organisationen sind in den russlandtreuen besetzten Gebieten nicht erwünscht.
Für Putin grenzte es, so sagte er während des Scholz-Besuches, bereits an einen Völkermord, dass Kiew die Wirtschaftsbeziehungen zu den selbsternannten Volksrepubliken seit Jahren gekappt hat. Tatsächlich leben die besetzten Teile der beiden östlichen Oblasten - so heißen in der zentral regierten Ukraine die Äquivalente zu den hiesigen Bundesländern - Luhansk und Donezk fast ausschließlich vom Warenverkehr und vom Geldfluss aus Russland.
Und in eben diesen Gebieten spielen sich derzeit gehäuft besorgniserregende Dinge ab: Puschilin beklagte am Mittwoch den versuchten Angriff auf ein Militärfahrzeug mit einem Sprengsatz, der stattdessen drei Zivilisten getötet habe. Der oder die Autoren hinter dem Blog "Glasnost Gone" konnten mühelos aufzeigen, dass weder die Einschusslöcher im angeblich getroffenen Pkw-Wrack zur Geschichte eines Sprengsatzes passten noch die gezeigten Leichname. Die Köpfe waren eindeutig schon einmal im Rahmen einer ordentlichen Obduktion aufgeschnitten worden - bevor sie am angeblichen Anschlagort verbrannt wurden.
Von Anfang an dabei
Pulischin dürfte darüber genauso bescheid wissen, wie über seine Rolle als vermeintlicher Anführer eines vermeintlich unabhängigen Staats. Der Ukrainer, der wie die meisten Menschen in seiner Volksrepublik inzwischen einen russischen Pass hat, ist seit Beginn der Destabilisierung der Ukraine mit von der Partie. Als 2014 die Kreml-hörige Regierung von Viktor Janukowitsch gestürzt wurde, protestierte der Vater zweier Töchter in Kiew gegen Janukowitschs Nachfolger.
Als Russland im selben Frühjahr die Krim annektierte und im russischsprachigen Osten des Landes separatistische Gruppierungen unterstützte, war Puschilin ebenfalls dabei: Er beteiligte sich an der Erstürmung und Besetzung der Regionalverwaltung in der Stadt Donezk. In dem besetzten Gebiet wurde er zunächst stellvertretender und im September 2015 schließlich Vorsitzender des Scheinparlaments.
Die EU führt Pulischin unter der Nummer EU.3481.27 seit 2014 auf ihrer Sanktionsliste. Er darf nicht in die Europäische Union einreisen. Nichts deutet darauf hin, dass er im Ausland Vermögen hatte, das die EU hätte einfrieren können: Pulischin verdingte sich vor zehn Jahren noch als kleiner Gauner, als er für eine im post-sowjetischen Raum berüchtigte Betrugsmasche warb, eine Finanzpyramide namens MMM.
Während die zu Beginn des Aufstands sichtbarsten Anführer der Separatisten wie Alexander Sachartschenko oder Igor Girkin Russen waren oder in direkter Verbindung zum russischen Sicherheitsapparat standen, entstammt Pulischin dem Donbas. Er wurde im Mai 1981 in Makijewa geboren. 2013 wollte er sich ins Parlament in Kiew wählen lassen, scheiterte aber krachend. Mehr Rechte für die russischsprachigen Ukrainer im Osten oder gar ein Anschluss an Russland stand damals Berichten zufolge nicht auf seiner Agenda.
Pulischin fordert weitere Gebiete
Als Donezk-Anführer Sachartschenko unter nicht aufgeklärten Umständen im Jahr 2018 getötet wurde, rückte Pulischin zum Regierungschef auf. In orchestrierten Wahlen wurde er im November 2018 im Amt bestätigt. Pulischin zeigte sich anders als seine Vorgänger eher im Anzug als in Camouflage. Doch auch in olivgrün ist Pulischin immer öfter zu sehen. Nicht so am Montag, als Pulischin im blauen Zweiteiler und Krawatte einen Appell an Moskau richtete, seine Republik als unabhängig anzuerkennen. In russischen Medien spricht Pulischin auch schon einmal für beide Republiken, Donezk und Luhansk. Kollege Passetschnik sucht weniger die Aufmerksamkeit.
Beide dürften aber auch am Montag schon gewusst haben, dass ihrem Anliegen in Moskau nachgekommen wird - andernfalls hätten sie auch kaum den russischen Staatschef öffentlich unter Druck zu setzen gewagt. Aus seiner Nähe zum Kreml macht Pulischin kein Geheimnis: Er ist Mitglied der Putin unterstützenden Partei "Einiges Russland".
Sowohl Pulischin als auch Putin haben inzwischen klargestellt, dass sie den gesamten Oblast Donezk als Territorium der separatistischen Volksrepublik betrachten. Ebenso verhält es sich mit dem Oblast Luhansk. In beiden Fällen kontrollieren die Separatisten je nur ein Drittel der Landfläche und fordern von Kiew eine friedliche Übergabe des von der Ukraine "besetzten" Gebiets. "Ich würde das gerne friedlich tun, aber die Zeit wird zeigen, ob das klappt oder nicht", sagt Pulischin am Mittwoch. Wenn die Ukrainer dieses unmögliche Angebot nicht annehmen, hätte Pulischin auch ohne lieblos inszenierte Anschläge einen Anlass, Putins Truppen herbeizurufen
Quelle: ntv.de, Sebastian Huld mit dpa