Ampel hat Sicherheitsstrategie "Deutschland hat sich von Freunden umzingelt gefühlt"
14.06.2023, 07:23 Uhr Artikel anhören
Kanzler Olaf Scholz beriet sich letzten Herbst mit westlichen Partnern, als eine Rakete auf polnischem Boden eingeschlagen war.
(Foto: picture alliance/dpa/Bundesregierung)
Mit vier Monaten Verzug präsentiert die Ampel-Koalition heute ihre Nationale Sicherheitsstrategie. Wovon wird Deutschland bedroht? Wie steht es zu China? Anders als viele andere Länder hat keine Bundesregierung zuvor eine solche Leitlinie gehabt. Von der erwarten auch die Partner Konkretes, zum Beispiel ein Bekenntnis zum 2-Prozent-Ziel der NATO. Welcher wichtige Faktor dem Strategiepapier fehlt, erklärt Sicherheitsexpertin Liana Fix ntv.de.
ntv.de: Nach mehrmaligem Verschieben präsentiert die Ampel-Koalition heute Deutschlands erste Nationale Sicherheitsstrategie. Soll ein solches Papier nach innen wirken, als Kompass, oder nach außen, als Signal an Freund und Gegner?
Liana Fix: Beides. Zum einen als Kompass für alle, die im weiteren Sinne an Sicherheit arbeiten. Darum werden nicht nur Verteidigungsministerium und Außenministerium mit einbezogen, sondern zum Beispiel auch der Katastrophenschutz, weil sich die Deutsche Nationale Sicherheitsstrategie weiter definieren will. Außerdem signalisiert sie der Bevölkerung, wo aus Sicht der Regierung Gefahren liegen und wie diese angegangen werden sollen. Gleichzeitig richtet sich das Signal nach außen, um sowohl den Partnern als auch den Gegnern in der Welt zu zeigen, wie das Land die jeweilige Sicherheit definiert.
Die USA verpflichten sich per Gesetz zu einer Nationalen Sicherheitsstrategie, Frankreich, Großbritannien, inzwischen auch Japan haben eine solche. Wie stark merkte man der Berliner Politik an, dass auf der Ebene etwas fehlte?
Eine gewisse Strategielosigkeit wird deutscher Außenpolitik schon lange vorgeworfen - als Erbe aus den Zeiten des Kalten Krieges und aus der Wiedervereinigung. Deutschland hat sich für viele Jahre als sicherer Pol von Freunden umzingelt gefühlt und nicht die Notwendigkeit gesehen, in Sicherheit zu investieren. Nicht nur militärisch, sondern auch in dem Sinne, ein strategisches Denken zu entwickeln.

Die Politologin Liana Fix forscht am Council on Foreign Relations in Washington unter anderem zu transatlantischen Beziehungen und deutscher Außenpolitik. Zuvor war sie bei der Körber Stiftung und dem German Marshall Fund tätig.
Spätestens 2014 wäre das wohl nötig gewesen?
Die internationale Umgebung hat sich tatsächlich schon seit der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass verändert und es wurde klar, dass Sicherheit wieder ein dominierendes Thema in Europa ist. Dies hätte es gerechtfertigt, schon zehn Jahre früher über eine Nationale Sicherheitsstrategie nachzudenken. Gerade als nach der Annexion der Krim klar wurde, dass Russland sich auf einem revisionistischen Pfad befindet, hätte eine Sicherheitsstrategie geholfen, um Deutschlands Rolle in der neuen Welt zu skizzieren
Was aber tut man dann mit solch einem Papier? Drin steht unter anderem, dass die Bundesregierung zwei Prozent der Wirtschaftskraft in Verteidigung stecken will - worauf sich die NATO-Partner schon vor Jahren geeinigt haben. Und in diesem Jahr tut Deutschland es wieder nicht.
Eine solche Sicherheitsstrategie beschreibt nicht, welche konkreten Maßnahmen getroffen werden müssen. Damit sie aber nicht nur ein Papiertiger bleibt, müssen zwei Schritte gegangen werden: Zum einen muss man die Strategie strukturell untermauern. Man muss festlegen, wer im Blick behält, wie sich Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie alle, die im weiteren Sinne daran beteiligt sind, verhalten.
Das könnte man durch einen Nationalen Sicherheitsrat gewährleisten?
In vielen Ländern geht die Etablierung einer Sicherheitsstrategie mit der Einsetzung eines solchen Sicherheitsrats einher, ja. In der Außenpolitik sind manchmal die Strukturen und Prozesse, die man hat, wichtiger als die Inhalte. Die liegen natürlich auf dem Tisch, aber ohne Institution, die ihre Umsetzung kontrolliert, fehlt da etwas. In den USA ist dieser Rat eine Kernfunktion, angesiedelt beim Präsidenten und geleitet vom Nationalen Sicherheitsberater.
Jake Sullivan.
Sullivan präsentiert Präsident Biden die Empfehlungen, die seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickeln. Der Rat ist zentraler Anlaufpunkt für unterschiedliche Ministerien plus Geheimdienste. Er bündelt alle Vorschläge und Forderungen, die kommen, prüft sie mit Blick auf die Ziele, die man sich gesetzt hat, und gibt dem Präsidenten dann Ratschläge. So viel Einfluss wäre vielleicht nicht unbedingt das Modell für Deutschland, aber die Sicherheitsräte in Großbritannien, Frankreich und Japan hätten zur Orientierung dienen können.
Die FDP hatte einen solchen Rat gefordert.
Gekippt wurde er aus Sorge vor einer Machtverschiebung vom Außenministerium zum Kanzleramt, wenn ein solcher Rat dort angesiedelt wäre. Das war extrem unglücklich. Denn eine Nationale Sicherheitsstrategie braucht ein Gremium, das sich über alle Ministerien hinweg darum kümmert, dass die Politik auch in die vorgegebene Richtung läuft.
Wie lautet der zweite Schritt?
Zum Zweiten muss eine solche Strategie auch im Budget untermauert sein. Darum ist es so wichtig, dass das 2-Prozent-Ziel dort erstmals so klar verankert ist, viel klarer als im Koalitionsvertrag. Bisher sehen wir eine solche Verankerung von Sicherheitspolitik im Haushalt noch nicht. Es ist völlig unklar, wie das 2-Prozent-Ziel nach Auslaufen des Sondervermögens erreicht werden soll, falls der reguläre Verteidigungshaushalt auch in diesem Jahr nicht wachsen wird. In der Hinsicht ist das Dokument hilfreich, weil Deutschlands internationale Partner auch darauf verweisen können: "Ihr habt nicht nur der NATO das Versprechen gegeben, in Richtung der zwei Prozent zu kommen, sondern auch euch selbst."
War es eine Minimum-Erwartung der USA, dass diese 2 Prozent da konkret auftauchen?
Würden die nicht so konkret auftauchen, hätte das alle internationalen Partner wohl sehr irritiert.
Was erwarten die USA ansonsten noch von diesem deutschen Papier?
Ich glaube, die Erwartungshaltung ist nicht allzu hoch. Diese Strategie, die schon für Ende Februar angekündigt war und dann viel länger gebraucht hat, ist ja ein Abbild der Möglichkeiten, die eine Regierung hat. Darum gibt es kaum die Erwartung, dass sich da überraschende Elemente finden werden. Interesse besteht natürlich am China-Teil. Da fragen sich die Partner weiterhin, wie Deutschland sich positioniert und wie weit es bereit ist, beim De-Risking gegenüber China mitzugehen. Aber dazu kommen sicherlich mehr Details in der China-Strategie.
Mit Liana Fix sprach Frauke Niemeyer
Quelle: ntv.de