Politik

Lehren für Europa "China sieht sich einer feindlichen Welt gegenüber"

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Brasiliens Präsident Lula besuchte vor wenigen Tagen den chinesischen Machthaber Xi. China sieht sich einer feindlichen Welt gegenüber und versucht, seine eigene strategische Position durch strategische Zusammenarbeit mit anderen zu verbessern, sagt Janka Oertel.

Brasiliens Präsident Lula besuchte vor wenigen Tagen den chinesischen Machthaber Xi. China sieht sich einer feindlichen Welt gegenüber und versucht, seine eigene strategische Position durch strategische Zusammenarbeit mit anderen zu verbessern, sagt Janka Oertel.

(Foto: picture alliance/dpa/Pool Kyodo News/AP)

Das Machtgleichgewicht zwischen Europa und China hat sich verändert, sagt Janka Oertel vom European Council on Foreign Relations. "Die chinesische Führung ist nicht mehr davon überzeugt, dass China Europa mehr braucht als Europa China." Das beeinflusse die Dynamik, "und das müssen europäische Staats- und Regierungschefs in den Kopf kriegen", so die Expertin.

Breit abgestimmte Sanktionen wie jetzt gegen Russland würden der chinesischen Wirtschaft schweren Schaden zufügen, sagt Oertel. "Eine solche einheitliche Position gegenüber China möchte man vermeiden. Darum startet Peking immer mal wieder eine Charmeoffensive und versucht ansonsten, möglichst Keile zwischen die Staaten zu treiben."

ntv.de: Die G7 haben China aufgefordert, auf Drohungen, Zwang, Einschüchterung oder die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Ist es das übliche Gebaren oder verändert sich der Umgang der großen Demokratien mit China?

Janka Oertel: Was wir da momentan hören, ist in der Vergangenheit kein Standard-Repertoire im Umgang mit Peking gewesen. Neu ist erstens, dass China inzwischen zu den Hauptbestandteilen in den Diskussionen der G7 gehört, das hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Bedingt vor allem dadurch, dass China deutlich aggressiver auftritt und sich das Verhältnis zu den USA, aber auch zu Europa stark verändert hat. Zweitens zieht die enge Zusammenarbeit zwischen China und Russland vor allem seit der russischen Invasion der Ukraine ganz neue Sorgen auch in Europa auf sich. Die enge Verschränkung zwischen atlantischer und pazifischer Sicherheit wird dadurch gerade für die Europäer viel deutlicher.

Janka Oertel ist Direktorin des Asien-Programms der Denkfabrik European Council on Foreign Relations.

Janka Oertel ist Direktorin des Asien-Programms der Denkfabrik European Council on Foreign Relations.

(Foto: ECFR)

Das heißt, die Amerikaner hatten diese Erkenntnis schon früher?

Die USA merken schon seit einiger Zeit, dass die Idee eines asiatischen Raums und eines europäischen Raums, in denen separate Sicherheits- und zum Teil auch Wirtschaftspolitik stattfindet, überholt ist. Das Denken ist viel vernetzter geworden. Inzwischen merken auch wir hier in Europa immer mehr, dass wir unsere eigene Sicherheit nicht mehr losgelöst von der Sicherheit in Ostasien denken können. Ebenso kann Europa nicht losgelöst vom Verhalten Chinas die eigene Wirtschaftspolitik gestalten.

War das nicht schon länger so?

Wenn die chinesische Führung Entscheidungen trifft, hatte das auch in der Vergangenheit Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft. Inzwischen hat es aber auch Einfluss auf die europäische Sicherheit. Das ist eine neue Erkenntnis. Sie führt dazu, dass auch neue Töne angeschlagen werden, und dass ein Thema wie Taiwan ganz anders adressiert wird.

So wie es diese Woche die G7 getan haben?

Die G7 fordern China inzwischen explizit dazu auf, den Status Quo in der Taiwan-Straße nicht einseitig mit gewaltsamen Mitteln zu verändern und internationales Recht zu wahren. Das zeugt von der Erkenntnis, dass China inzwischen ein so mächtiger geopolitischer Akteur geworden ist, dass es sich eben nicht mehr an Regeln hält - oder glaubt, sich nicht mehr an Regeln halten zu müssen. Das sehen wir ja auch bereits in vielen Fällen, in denen die chinesische Regierung bereit und willens ist, internationales Recht und anerkannte Regeln zu den eigenen Gunsten zu verletzen, zu verändern oder zu verschieben. Das globale Machtgefüge hat sich verändert.

Wie wichtig ist für China dann überhaupt noch, was der Westen sagt oder tut?

Wirtschaftlich nach wie vor ziemlich wichtig, weil Chinas Stärke sich nicht in Isolation entwickelt. Pekings Macht entsteht auch durch die zentrale Rolle Chinas als globaler Wirtschaftsakteur. Aus der globalen Wirtschaft sind die USA, Europa oder auch Japan aber nicht wegzudenken. Wenn aber die großen Volkswirtschaften zum Beispiel Exporte von wichtigen Technologien nach China begrenzen, dann mindert das Chinas Innovationsfähigkeit massiv.

Stichwort Halbleiter.

Diese Exportkontrollen der USA im Bereich der Halbleitertechnologie und die Zusammenarbeit dabei mit Japan und den Niederlanden haben in diesem Bereich enorme Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft. Letztlich baut die technologische Stärke, die Innovationsfähigkeit und auch die wirtschaftliche Macht Chinas nach wie vor auch darauf auf, dass man Zugang zu westlicher Technologie hat und mit dem Westen wirtschaftlich zusammenarbeitet. Man ist sich in Peking bewusst darüber, dass China zu den größten Profiteuren des internationalen Handelssystems und der Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte zählte.

Welche Veränderungen muss speziell Europa wahrnehmen und verstehen?

Das Machtgleichgewicht hat sich verändert. Die chinesische Führung ist nicht mehr davon überzeugt, dass China Europa mehr braucht als Europa China. Dort denkt man inzwischen definitiv umgekehrt: Europa ist stärker auf China angewiesen. Das beeinflusst die Dynamik massiv, und das müssen europäische Staats- und Regierungschefs in den Kopf kriegen.

Wie unterscheidet sich diese Dynamik zu der im Verhältnis Chinas zu den USA?

Sehr deutlich. Die USA bilden für China den Referenzrahmen, nicht Europa. Europa ist ein nützlicher Partner für die chinesische Führung, sich im globalen Gefüge strategisch besser aufzustellen.

Die Führung in Peking ist sich im Klaren darüber, dass Sanktionen so wie mit Blick auf Russland nach der Invasion der Ukraine, also ein breites Bündnis aus USA, Europa und asiatischen Staaten wie Japan, der chinesischen Wirtschaft schweren Schaden zufügen würde. Das würde richtig wehtun. Eine solche einheitliche Position gegenüber China möchte man vermeiden. Darum startet Peking immer mal wieder eine Charmeoffensive und versucht ansonsten, möglichst Keile zwischen die Staaten zu treiben. Die grundsätzliche Ausrichtung in Peking ist: Man sieht sich einer feindlichen Welt gegenüber, in der man seine eigene strategische Position durch strategische Zusammenarbeit mit anderen verbessern kann. Deswegen auch die enge Kooperation mit Russland, aber auch mit anderen Partnern wie Brasilien oder den Golfstaaten.

Wirtschaftsbeziehungen mit China sind also riskant, sichern aber gleichzeitig Einfluss. Gäbe es einen Weg, den Handel zu intensivieren, den eigenen Einfluss dadurch zu stärken, aber nur in Sparten, die für den Westen nicht wirklich relevant sind?

Theoretisch ja, ich weiß nur nicht, wie das momentan in der Praxis aussehen soll. Handel nur in Bereichen, in denen wir die Abhängigkeiten nicht so schlimm finden, gleichzeitig China abhängig von uns machen? Ich halte das für etwas realitätsfern. Auch, weil das Leitmotiv der chinesischen Führung eben ein anderes ist: China soll von der Welt unabhängiger werden und die Welt abhängiger von China.

Also exakt das Gegenteil.

Wenn man sich das klargemacht hat, dann hat man schon viel davon verstanden, wie Politik in China gerade funktioniert: den Binnenmarkt stärken, möglichst viele eigene Konzerne aufbauen, die diesen Markt dominieren und durch den heimischen Konsum eine funktionierende Volkswirtschaft am Laufen halten, die möglichst unabhängig operieren kann. Ein Ziel ist zum Beispiel, eine vollständig lokalisierte Lieferkette für Halbleiter aufzubauen. Ob das gelingt, ist fragwürdig, aber es ist zumindest das Ziel.

Das ist also ein kühner Plan?

Kein anderer Staat der Welt schafft es derzeit, Halbleiter autark zu produzieren. Auch die USA können das nicht ohne uns und die asiatischen Partner in Japan, Korea oder Taiwan - diese Lieferkette ist extrem internationalisiert. China will hier langfristig unabhängig sein und sich in anderen Beziehungen zugleich breiter aufstellen, indem es zum Beispiel bei fossilen Brennstoffen oder für grüne Technologien zentralen Stoffen wie Lithium oder Kobalt auf eine Vielzahl von Akteuren setzt.

Also Risikominderung als Ziel.

Gleichzeitig geht es aber auch um Diversifizierung. Es geht darum, Abhängigkeiten zu minimieren und zugleich Kernbereiche zu schaffen, in denen man selbst Abhängigkeiten für andere kreiert, etwa im Bereich der 5G-Technologie, in der chinesische Konzerne zu zentralen Unternehmen geworden sind. Die chinesische Führung setzt auf ihre nationalen Champions, die "too big to ignore" sind und daheim und international Konkurrenz verdrängen. Es hat etwas gedauert, bis wir in Europa das durchschaut haben.

Europa ist also spät mit seiner Erkenntnis, aber ist es dennoch früh genug, um Einfluss zu nehmen?

Mittlerweile sehen viele in Europa die Notwendigkeit, gegenzusteuern, und das passiert durchaus auch. Auf nationaler und europäischer Ebene ist man dabei, einen neuen Werkzeugkasten zusammenzustellen - von der Investitionsprüfung, bis hin zu neuen Mitteln für den Umgang mit wirtschaftlichem Druck aus China. Aber es gibt Bereiche, in denen es der chinesischen Regierung bereits gelungen ist, sich eine Position zu erarbeiten, die uns herausfordert. Zugang zu kritischen Rohstoffen und Batterietechnologie sind zum Beispiel Bereiche, die wir in Europa nicht rechtzeitig in den Blick genommen haben. Hier sind chinesische Unternehmen jetzt in einer so dominanten Rolle, dass es uns einiges an Arbeit, Geld und auch politischem Kapital kosten wird, bestehende Abhängigkeiten aufzulösen.

Mit Janka Oertel sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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