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Deutschlands neuer China-Kurs "Das Ziel ist, weniger verwundbar zu sein"

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Der Tiefsee-Hafen bei Shanghai ist einer von vielen, über die China Deutschland und die Welt versorgt.

Der Tiefsee-Hafen bei Shanghai ist einer von vielen, über die China Deutschland und die Welt versorgt.

(Foto: picture alliance / CFOTO)

Nach der China-Reise von Außenministerin Annalena Baerbock geht die Debatte über den Umgang mit der Volksrepublik weiter. Die Wirtschafts-Staatssekretärin Franziska Brantner erklärt im ntv.de-Interview, dass sich Deutschland von China nicht abwende. Es gehe vielmehr darum, Risiken zu mindern. Sie hoffe, "dass die SPD aus den Abhängigkeiten von Russland gelernt hat", so die Grünen-Politikerin.

ntv.de: Frau Baerbock ist in dieser Woche von einer viel beachteten China-Reise zurückgekehrt. Welches Signal haben Sie als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium von der Visite der Außenministerin vernommen?

Die 43-jährige Brantner ist seit bald zehn Jahren Bundestagsabgeordnete. 2021 gewann sie im Wahlkreis Heidelberg ein Direktmandat und wurde Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Die 43-jährige Brantner ist seit bald zehn Jahren Bundestagsabgeordnete. 2021 gewann sie im Wahlkreis Heidelberg ein Direktmandat und wurde Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Franziska Brantner: Von dieser Reise geht ein sehr klares Signal aus: die Notwendigkeit und die Bereitschaft, bei globalen Herausforderungen wie der Umsetzung der Klimaschutzziele zusammenzuarbeiten, ohne den schwierigen Themen aus dem Weg zu gehen.

Das Echo auf Baerbocks offen vorgetragene Kritik bei den Themen Ukraine, Taiwan-Konflikt und Menschenrechte war in Deutschland recht positiv. Doch Peking dürfte vor allem auf Bundeskanzler Olaf Scholz schauen, der gegenüber China konzilianter auftritt. Muss sich China überhaupt mit der Kritik der deutschen Außenministerin beschäftigen?

Ich reise oft mit dem Bundeskanzler durch die Welt und weiß, dass er das gleiche Interesse wie Frau Baerbock vertritt: nämlich, dass wir alte und neue Partnerschaften politisch und wirtschaftlich stärken müssen.

Die Bundesaußenministerin sprach mit Blick auf China wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von de-risking, also von der Reduzierung von Risiken durch den Abbau von Abhängigkeiten. Wo sind diese Risiken besonders hoch?

Die Wirtschaftsbeziehungen mit China sind stark. Niemand möchte ein de-coupling - das heißt eine komplette Abwendung - von China, sondern es geht darum, unsere Sicherheit in Deutschland und Europa im Blick zu haben und unsere Interessen zu wahren. Augenhöhe und Sicherheit sind die Grundlage, auf der wir dann als Europäer mit China die großen Herausforderungen gemeinsam angehen können. Das bedeutet, Risiken herauszunehmen, weniger abhängig oder verwundbar zu sein. Verwundbar sind wir zum Beispiel dort, wo strategisch wichtige Importe nicht schnell ersetzbar sind, indem man sie von anderswo bezieht oder zügig eine heimische Produktion aufbaut.

Um welche Bereiche geht es dabei?

Um für unsere Gesellschaft essenziell wichtige Bereiche: Verteidigung, Energie, Rohstoffe, Gesundheit und Ernährung. Bei einigen weiterverarbeiteten Rohstoffen liegt die Abhängigkeit von China derzeit bei 100 Prozent. Eine so hohe Abhängigkeit ist nie eine gute Idee, aber erst recht nicht bei einer Autokratie. Es ist sehr problematisch, dass die Weiterverarbeitung von einigen Rohstoffen übermäßig in China konzentriert ist, weil die benötigten Anlagen anderswo aufzubauen, Zeit und Geld braucht.

Welches Höchstmaß von Abhängigkeit sollte künftig nicht mehr überschritten werden?

In dem Entwurf für ein europäisches Rohstoffgesetz steht, dass wir bis 2030 unsere Abhängigkeit bei strategischen Rohstoffen auf 65 Prozent reduzieren sollen. Die zentrale Aufgabe ist, dass wir zusammen mit der Industrie das de-risking von China vornehmen …

… also Investitionen in China herunterzufahren …

… und gleichzeitig wirtschaftlich verknüpft bleiben. Es geht dabei um unsere Jobs, aber genauso um die nationale und europäische Sicherheit. Dafür müssen wir an einem Strang ziehen und ich hoffe, dass sich alle politischen Kräfte dahinter stellen. Abstrakte Debatten über ein vermeintlich gefordertes de-coupling von China bringen uns nicht weiter, hier werden einige Nebelkerzen gezündet. Ich kenne jedenfalls niemand vernünftigen, der oder die ein de-coupling von China fordert. Wir müssen uns so widerstandsfähig aufstellen, dass wir auf Augenhöhe auftreten können in den Debatten, die wir mit China führen wollen. Herausforderungen der internationalen Sicherheit oder des Klimaschutzes beispielsweise können wir nur mit China bewältigen.

Dem Abbau von Abhängigkeiten läuft die von Ihrem Ministerium forcierte Umstellung auf erneuerbare Energien zuwider. Solar- und Windkraftanlagen kommen zu einem großen Teil aus China und wenn nicht, dann zumindest die hierfür notwendigen Rohstoffe. Die Energiewende hängt de facto an Peking.

Chinas Produktionskapazitäten sind natürlich groß. Das ist auch kein Problem. Der weltweite Markt für diese Technologien wächst enorm und bietet Platz für alle. Neben China wird es auch in den USA wachsende Produktionskapazitäten geben. Wir können und wollen auch nicht in Zukunft wieder alles in Europa oder gar in Deutschland produzieren. Die Aufgabe lautet, technologische Spitzenleistung, Knowhow und Teile der Produktion bei uns zu halten und an sich die Importe zu diversifizieren. Die deutsche Politik der letzten Jahrzehnte hat die Energiewende ausgebremst und damit auch unsere Solarindustrie kaputtgemacht. Deshalb sind wir dabei, Innovationen in Europa zu halten und voranzubringen, die Produktionskapazitäten in Deutschland und in Europa wieder aufzubauen und unseren Standort zu stärken. Darüber hinaus gilt es, Rohstoffpartnerschaften mit Leben zu füllen.

Wie kann das gelingen?

Die EU-Kommission hat dafür den Net Zero Industry Act und das Rohstoffsicherheitsgesetz vorgelegt, deswegen gibt es die europäischen Industrieprojekte, nicht nur bei den Erneuerbaren, sondern auch bei Batterien, wo die Abhängigkeiten ebenfalls zu hoch sind. Beim Wasserstoff sind wir vorne dran, also das Knowhow ist hier und auch die Produktionskapazitäten und das muss auch so bleiben. Und wenn die Erneuerbaren-Anlagen dann erstmal stehen, gibt es auch keine Abhängigkeit mehr wie bei den fossilen Energien.

Die europäische Energiewende muss aber jetzt geschehen. Die Diversifizierung von Absatzmärkten, Rohstofflieferanten und Produzenten wird Jahre dauern. Derweil könnte die Taiwan-Krise jederzeit eskalieren. Hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nicht einen Punkt, wenn er stabile Beziehungen zu China anmahnt, weil wir uns eine Konfrontation gar nicht leisten können?

Wir haben hier eine doppelte Aufgabe: Wir müssen dazu beitragen, eine Eskalation verhindern, das ist absolut klar. Und wir müssen gleichzeitig die eigene Verwundbarkeit reduzieren. Der Gedanke, dass Europa die Eskalation verhindern kann und sich deswegen entspannt in weitere Abhängigkeiten begeben kann, ist eine absolute Selbstüberschätzung des europäischen Einflusses und brandgefährlich für unsere Sicherheit. Außerdem: Für die Deeskalation braucht es ein klares Signal der Geschlossenheit für das Festhalten am Status quo in der Taiwan-Frage.

Für Geschlossenheit braucht es aber auch eine einigermaßen gleiche Risikobewertung. Ähnlich wie in den Monaten vor der russischen Invasion wächst die Zahl derjenigen Stimmen, die ein gewaltsames Losschlagen Chinas in den kommenden zwei Jahren für wahrscheinlich halten.

Diese autokratischen Systeme, die sich mehr und mehr auf eine Person zuspitzen, haben meistens die Eigenschaft, dass sie nicht einfach zu lesen sind. Ich halte nichts davon, hierüber zu spekulieren. Sondern es ist wichtig, dass wir unsere eigenen Risiken minimieren, Innovationen bei uns stärken und sicherstellen, dass notwendige Technologien und das Knowhow bei uns bleiben. Gleichzeitig müssen wir deeskalierend einwirken, damit es genau nicht zu einer Eskalation kommt.

Wesentlich hierfür ist die lang erwartete China-Strategie der Bundesregierung. Kommt sie zum Sommer?

Frau Baerbock hat ja klar gesagt: erst die Nationale Sicherheitsstrategie, dann die China-Strategie. Die ist in den letzten Zügen.

Welche Rolle spielt das Ausmaß unterschiedlicher Auffassungen zwischen Grünen und SPD zum Umgang mit China?

Ich nehme zur Kenntnis, dass es in dieser Frage unterschiedliche Stimmen aus der SPD gibt. Aber ich hoffe, dass die SPD aus den Abhängigkeiten von Russland gelernt hat und mit großer Mehrheit sieht, dass wir für die Sicherheit unseres Landes wirtschaftliche Abhängigkeiten weiterhin reduzieren müssen. Daran arbeiten wir seit über einem Jahr, indem wir uns der Welt mit neuen Handelsverträgen zuwenden, wo in der letzten und vorletzten Regierung eine Blockade bestand. Diesen gordischen Knoten haben wir gelöst, machen eine aktive Handels- und Rohstoffpolitik, diversifizieren unsere Energieversorgung, bauen die erneuerbaren Energien massiv aus. Das ist der Weg, mit dem Deutschland und Europa in schwierigen geopolitischen Zeiten bestehen können.

Chinas hat seine Industrie mit massiven staatlichen Subventionen hochgepäppelt: Auch deshalb kommen PV-Anlagen, Rotorblätter und auch Windkraftturbinen heute hauptsächlich aus China, Wärmepumpen zu einem immer größeren Anteil. Wollen wir viel und möglichst günstige Anlagen oder braucht es fairen Wettbewerb, damit auch Europa an der Wertschöpfung der Energiewende partizipiert?

Damit alle Länder dieser Welt ihre Klimaziele einhalten können, müssen sich die Produktionskapazitäten der Erneuerbaren weltweit massiv vergrößern, anders wird es nicht funktionieren. Entscheidend ist aber, dass Innovationen und auch Produktion weiterhin bei uns stattfinden, Wissen und Technologien nicht abfließen, unser Standort wettbewerbsfähig bleibt. Etwa bei Wasserstoff oder Halbleitern haben wir einen Wissensvorsprung, den wir nicht wie bei Photovoltaik und Windkraft hergeben werden oder dürfen. Wir dürfen die Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen und in zehn Jahren feststellen, dass wir unsere großen Potenziale beim Wasserstoff verschenkt haben. Wenn es rein um den Preis geht, ist China oftmals natürlich billiger.

... auch wegen der genannten Subventionen.

Aber wir haben etwa bei den Halbleitern gesehen, dass wir durch starke Automatisierung mithalten können. Gegen unfaire staatliche Subventionierung aus Drittstaaten hat die EU übrigens erst jüngst eine Handhabe geschaffen, das sogenannte Antisubventionsinstrument. Damit kann nun gegen Subventionen aus Drittstaaten vorgegangen werden, die ihren Empfängern in der EU einen unfairen Vorteil verschaffen.

Mit der Wärmewende macht Deutschland den nächsten Markt auf. Schon verzeichnet die EU einen Anstieg der Wärmepumpen-Importe aus China. Wie wollen Sie konkret europäische Hersteller schützen?

Wir müssen durch unsere Förderung von Innovation und Produktion - etwa Verfahrensbeschleunigung, niedrigere Energiepreise, der Verfügbarkeit von Fachkräften - die Rahmenbedingungen so gestalten, dass wir für die Industrie weiter der richtige Standort sind. Der Anspruch ist nicht, Produktion in China zu verhindern, sondern sich im Wettbewerb zu begegnen. Andersherum sollen ja auch weiter europäische Produkte in China gekauft werden. Das ist der große Unterschied zwischen de-coupling und dem de-risking, das wir anstreben. Dafür schließen wir Rohstoffpartnerschaften mit Ländern wie Australien oder Chile und diversifizieren unseren Handel. Und wenn wir innovativ und technologisch stark bleiben wollen, geht es auch um den Erhalt der technologischen Souveränität, etwa der Sicherheit beim 5G-Netz oder Cloud-Technologien.

Wirtschaftliche Interessen müssen sich sicherheitspolitischen Prämissen stärker unterordnen?

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Wir treffen Entscheidungen über das de-risking auch in voller Verantwortung für den europäischen Binnenmarkt. Egal ob die große Krise in den Wirtschaftsbeziehungen ein politisches Ereignis ist oder eine Form von Naturkatastrophe: Als zentraler wirtschaftlicher Akteur der EU haben wir eine große Verantwortung für die anderen EU-Staaten. Deutschlands Verwundbarkeiten sind immer auch europäische. Das hat uns Russlands Angriffskrieg vor Augen geführt, wo Deutschland in den Jahren zuvor von europäischen Partnern gewarnt und gebeten wurden, ihre Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen - damals vergeblich. Es geht also immer um beides: um unsere Jobs und Wertschöpfungspotenziale sowie um die Sicherheit Deutschlands und Europas.

Mit Franziska Brantner sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

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