
Die Jagd ist eröffnet: Cem Özdemir und Anton Hofreiter (v.r.) greifen die FDP nach deren Ausstieg aus den Sondierungsgesprächen besonders heftig an.
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Lindner ist schuld am politischen Durcheinander. Er ist verantwortlich für die wirtschaftliche Unsicherheit im Land. So stellen es die Grünen dar. Sie sprechen die Kernklientel der FDP an - Unternehmer und Besserverdiener. Stoßen sie auf Gehör?
Cem Özdemir ballt eine Faust. Nur seinen Zeigefinger spreizt er ab wie eine Lanze. "Wir wollten unnötige Bürokratie abschaffen, damit Gründer und Startups sich mit ihren Ideen beschäftigen können und nicht mit Papierkram", ruft der Grünen-Chef. Seine Finger-Lanze lässt er dabei durch die Luft schießen, als wolle er seinen politischen Gegner nicht nur verbal treffen, sondern durchbohren. "Ich würde gern vom Startup-Verband mal hören, wie sie denn jetzt stehen zur FDP, die die Chance hatte, diesen Startups zu helfen und im entscheidenden Augenblick weggelaufen ist."

Das Sondierungsteam der Grünen lässt sich auf dem Parteitag in Berlin feiern.
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Es ist Ende November, Özdemir steht auf der Bühne des Grünen-Parteitags in Berlin und die Frequenz seiner Finger-Stiche wird immer höher: "Wir" Stich. "Sind" Stich. "Die Heimat für Startups in diesem Lande ab jetzt." Stich, stich, stich, stich. Die 850 Delegierten johlen.
Noch ist nicht klar, wie es politisch in der Bundesrepublik weitergeht. Kommt die nächste Große Koalition? Führt künftig eine Minderheitsregierung das Land? Gibt es Neuwahlen? Sicher scheint: Die Grünen werden in jeder möglichen Konstellation Jagd auf die FDP machen. Sie stellen die Liberalen als verantwortungslos dar. Özdemir und seine Truppen hoffen darauf, die Liberalen damit bei ihrer Kernklientel zu treffen, der Wirtschaft, die bekanntlich auf Stabilität und Planbarkeit setzt. Kann das gelingen?
Und der Kanzler der Startup-Szene heißt …
Ein Anruf beim Vorsitzenden des Bundesverband Deutscher Startups. "Ehm, nein …", antwortet der Vorsitzende Florian Nöll auf die Frage, ob Özdemir sich bei ihm gemeldet habe, um herauszufinden, wie sein Verband denn nun wirklich zur FDP stehe und ob die Grünen nach den gescheiterten Sondierungen tatsächlich "die Heimat für Startups" in Deutschland sind. "Wir hatten seit dem Grünen-Parteitag keinen Kontakt."

Nah dran: Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Startups (l.) mit dem Regierenden Bürgermeister Berlins, Michael Müller von der SPD.
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Also alles nur Wahlkampfgetöse? Nöll schiebt gleich hinterher, dass Dieter Janecek, der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, statt Özdemir zu seinem Geburtstag gekommen sei. "Und da war das dann schon ein Thema." Immerhin.
Im Hintergrund sind Stimmen zu hören, es hallt, Nöll ist auf einer Veranstaltung, ein Mann mit vollem Terminkalender. "Wir haben Jamaika als Chance gesehen - generell für die junge Generation in Deutschland und speziell für Startups", sagt er. Besonders an die FDP, die sich selbst als Startup inszeniert hat, habe die Szene große Erwartungen gehabt. Erwartungen, die jetzt nicht erfüllt würden, weil sie nicht regiert. Doch das ist nur die eine Hälfte seiner Antwort.
FDP-Chef Christian Lindner, den die Grünen nur noch abfällig "Mini-Me" nennen, schätzt Nöll noch immer als den "Kanzler der Startups" ein. "Mit einem Statement auf einem Parteitag wird man diese Stimmung nicht drehen können." Er appelliert aber an die Grünen, dranzubleiben. "Wir nehmen wahr, dass sich die Grünen in den letzten Monaten - vereinzelte Grünen-Politiker auch schon in der vergangenen Legislatur - in großen Schritten auf uns zubewegt haben. Wir freuen uns über den Wettbewerb."
Jenseits des gebildeten Besserverdieners
Wie groß ist das Potenzial? In Deutschland hält sich hartnäckig die Mär, dass FDP und Grüne um dieselbe Wählerschaft buhlten. Wer das behauptet, verweist gern darauf, dass beide Parteien über die Anhänger mit dem höchsten Einkommen und der formal höchsten Bildung verfügen. Doch kulturell liegen zwischen den Parteien Welten. Ein völlig anderes Wertegerüst, eine gänzlich andere Altersstruktur. Die Grünen etwa ziehen die jüngsten, die Liberalen die ältesten Wähler an.
Aber eine gewisse Durchlässigkeit, die gibt es schon. Die Grünen verdanken rund 50.000 ihrer 4,2 Millionen Stimmen bei der Bundestagswahl ehemaligen FDP-Wählern, die Liberalen 160.000 ihrer 4,9 Millionen Stimmen einstigen Anhängern der Öko-Partei.
Auch bei jungen Unternehmern gibt es offenbar Schnittmengen. Jeder hat irgendwann im Bundestagswahlkampf eine Geschichte von einem grünen Kollegen gehört, der wegen der als fortschrittlich wahrgenommenen Digitalisierungsstrategie der Liberalen darüber nachdenkt, mal etwas anderes auszuprobieren. Die Grünen greifen die FDP nicht nur an, sie verteidigen sich auch gegen sie. Wie sieht das Schlachtfeld jenseits der Gründerszene aus?
Unternehmer verstehen Strategie der FDP nicht
Aus der Metallindustrie in Niedersachsen sind Stimmen zu hören, die viele dort so kaum vermutet hätten. "Wer sich wählen lässt, muss auch regieren wollen", sagt Volker Schmidt vom Arbeitgeberverband Niedersachsenmetall. "Die Strategie der Bundes-FDP erschließt sich nach meinem Eindruck derzeit vielen Unternehmern nicht." Schmidt hätte von den Liberalen mehr Durchhaltevermögen in den Sondierungen erwartet, um dem Land "diese Hängepartie" zu ersparen. Er geht noch weiter und sagt, dass die FDP das Land "schlicht und ergreifend im Stich" gelassen habe.

"Die FDP ist gut beraten, auch weiterhin auf ihre Kernthemen wie Wirtschafts- und Finanzpolitik zu setzen. Sie wird hier als ordnungspolitisches Korrektiv im Parteiensystem gebraucht", sagt Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Niedersachsenmetall.
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Das Image der FDP hat in Teilen der Industrie Schaden genommen. Nur bedeutet das noch lange nicht, dass Özdemir und Co. davon profitieren. "In Ländern wie Baden-Württemberg sind die Grünen in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagt Schmidt und nennt neben dem einzigen grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann auch noch Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck als "pragmatische" Stimme. "Aber die Lage bei uns ist eine etwas andere", sagt der Niedersachsenmetall-Chef. Vor allem der prominenteste Grüne aus dem Bundesland bereitet ihm Kopfschmerzen: Jürgen Trittin.
Der, so heißt es, ließ schon 2013 die schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen platzen. Kurz bevor die Jamaika-Sondierungen scheiterten, erschien ein Interview Trittins in der "Bild am Sonntag", das laut Verhandlern voller "Bomben" war. FDP-Chef Linder hatte das Blatt dabei, als er am letzten Verhandlungstag auf Union und Grüne traf. "Mehr Kretschmann und Habeck und weniger Trittin - dies würde den Grünen in Zeiten nachlassender Parteienbindung sicherlich Chancen eröffnen, auch in der Wirtschaft Akzeptanz und Gehör zu finden", sagt Schmidt. Potenzial ist da: Schmidt spricht davon, "die Gräben zwischen Ökonomie und Ökologie einzuebnen". Der Kampf um die Kernklientel der FDP tobt auch hier.
Ausufernde "Staatsagententätigkeit"
Als eine Bastion der Liberalen gelten die "Reichen". Dass die Partei nach vier Jahren in der außerparlamentarischen Opposition mit einer derart durchgestylten Kampagne in den Bundestagswahlkampf ziehen konnte, liegt wahrscheinlich auch daran, dass die FDP gemessen an ihrer Größe im Geld schwimmt. Dank großzügiger Unterstützer. Allein 2017 bekam die Partei bisher knapp 1,8 Millionen Euro an Großspenden. Können die Grünen die Liberalen auch hier bedrängen?

Der Milliardär Lutz Helmig sagt: "Staatstragend ist die FDP und nicht die, die sich verbiegen."
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Lutz Helmig ist ein großer Name in der Welt der Medizin. Der Arzt gründete die Asklepios- und die Helios-Kliniken. Sein Vermögen - das Wirtschaftsmagazin "Forbes" schätzt es auf 1,6 Milliarden US-Dollar - verwaltet er nun vor allem in der Aton-Beteiligungsgesellschaft. Mitglied in der FDP ist er nicht. Im Januar überwies er der Partei trotzdem 300.000 Euro. Und jetzt? Haben die Liberalen alles richtig gemacht mit ihrem Ausstieg aus den Sondierungen? Ist das viele Geld gut angelegt?
"Sie brauchen sich keine Notizen zu machen", sagt Helmig. "Das geht ganz schnell." Helmig holt kurz Luft. "Ja und Ja." Von Verantwortungslosigkeit könne überhaupt keine Rede sein. "Staatstragend ist die FDP und nicht die, die sich verbiegen", sagt der Unternehmer und meint damit auch Kanzlerin Angela Merkel und die CDU.
Helmig macht sich offensichtlich Sorgen um Deutschland, aber nicht wegen der FDP. Zunehmende Kommunalisierung, unnötige Strafrechtsverschärfungen und ein viel zu kompliziertes Steuerrecht, er spricht von einer "ausufernden Staatsagententätigkeit". Die FDP habe er nicht dafür gewählt, in die Regierung zu gehen, sondern, um sich für eine "vernünftige sachbezogene Politik" einzusetzen. Er setzt auf eine Minderheitsregierung und sagt: "Das Experiment können sich die Deutschen leisten."
Eine neue Protestpartei?

Der Unternehmer Näder sagt: "Der freie Wettbewerb schafft die ökonomische Grundlage, um die Herausforderungen der Zukunft zu bestehen und jungen Familien Mut zu machen. Dafür tritt die FDP ein."
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Cem Özdemir hat die Parteitagsbühne verlassen. Anton Hofreiter steht auf dem Podium. Sein Kopf läuft rot an, so sehr redet er sich in Rage. Der grüne Fraktionschef nennt es einen "Mythos", dass die FDP einst eine böse neoliberale Partei gewesen sei, die eine wundervolle Verwandlung durchlief. Digitalisierung und Bildung, nicht mehr nur Steuersenkungen? Von wegen. "Diese Partei haben wir nicht getroffen in den Sondierungen", schimpft Hofreiter. Die Linder-FDP unterscheide sich nur von den Liberalen unter Guido Westerwelle, weil diese jetzt auch noch europafeindlich sei und die CSU rechts überhole. Der Saal tobt. Die Grünen stimmen sich darauf ein, die FDP künftig als populistische Protestpartei zu brandmarken. Verfängt das nach dem Ausstieg aus den Sondierungsgesprächen womöglich auch beim harten Kern der liberalen Anhängerschaft?
Hans Georg Näder ist mit 2,2 Milliarden US-Dollar laut "Forbes" noch reicher als Lutz Helmig. Der 56-Jährige führt die Geschäfte des Orthopädie-Riesen Ottobock. Nachdem sich Näder 2015 durch die Union wirtschaftspolitisch nicht mehr vertreten fühlte, fing er an, die FDP zu unterstützen. Allein in diesem Jahr spendete er 200.000 Euro. Und wer ihm zuhört, ahnt, dass er sich dieses Geld trotz der Entscheidung, keine Regierungsverantwortung zu übernehmen, nicht zurückwünscht. "Auch wenn ich mir eine Jamaika-Koalition für Deutschland als belebende politische Kraft gewünscht hätte, ist der Kurs von Christian Lindner und der FDP konsequent", sagt Näder. "In Parlamenten mit vielen Aussitzern auf Regierungsbänken und Bedenkenträgern bei der Opposition wünschen sich die Menschen eine neue politische Kraft." Wichtig sei, dass die Partei wirtschaftspolitische Akzente setze - egal, ob in der Regierung oder der Opposition. Progressive Kraft statt Protest. So sieht Näder das. Er fühlt sich "als Familienunternehmer" auch im Dezember 2017 "pudelwohl" in der FDP.
Quelle: ntv.de