Politik

"Grenzwertige" Solidarität? Die Linke trägt die Farben der Kurden

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Katja Kipping von der Linken nennt es beschämend, dass die Welt die Kurden jetzt fallenlasse.

Die Abgeordneten des Bundestags sind sich im Falle Afrin sehr einig: Sie halten den Einmarsch der Türkei im Norden Syriens für völkerrechtswidrig. Nicht so einig sind sich die Parlamentarier, wie viel Solidarität mit den syrischen Kurden angebracht ist.

Die Reihen der Linken im Bundestag sind rot, gelb und grün. Etliche Abgeordnete tragen Schals in den kurdischen Farben. Auch Parteichefin Katja Kipping, als sie ans Rednerpult tritt. Sie spricht von einer "Kriminalisierung" der syrischen Kurden und nennt es "beschämend", dass die Welt sie jetzt fallen lasse. Sie seien schließlich das Bollwerk gegen den selbsternannten Islamischen Staat (IS) gewesen.

Aktuelle Stunde im Bundestag, eigentlich zur Haltung der Bundesregierung zum Einmarsch der Türkei in die nordsyrische Region Afrin und den Einsatz von Panzern aus deutscher Produktion. Hervor sticht in der Debatte allerdings eher die maximale Solidarisierung der Linken mit den Kurden im Nahen Osten. Denn alle Redner verurteilen die "Operation Olivenzweig" als Bruch des Völkerrechts, weil die Türkei weder angegriffen worden sei noch ein Mandat der Vereinten Nationen vorliege. Große Einigkeit herrscht auch darüber, dass Deutschland jetzt keine Waffen mehr nach Ankara schicken dürfe. An den Kurden aber scheiden sich die Geister.

Roderich Kiesewetter von der CDU bittet den Parlamentspräsidenten gleich zu Beginn seiner Redezeit, zu prüfen, ob die rot-gelb-grüne Schal-Aktion der Linken nicht gegen die Regeln des Bundestages verstieße. Dann sagt er Sätze wie: "Symbol-Politik hilft nicht." Im Syrien-Konflikt gebe es keine einfachen Wahrheiten. Ähnlich äußerte sich Dagmar Freitag von der SPD, die sagt, dass klare Freund-Feind-Schemata bei diesem Konflikt viel zu kurz griffen.

Schizophrene Züge

Die Rolle der Kurden im Nahen Osten ist in der Tat so komplex wie umstritten. Der Umgang der USA, der Nato, Russlands, aber auch Deutschlands mit ihnen nimmt mitunter Züge an, die man als schizophren bezeichnen könnte.

Die syrischen Kurden haben sich während des Aufstands gegen Präsident Baschar al-Assad und dem Erstarken des IS eine weitreichende Autonomie im Norden des Landes geschaffen. Die Machtzentren bilden die Partei PYD und ihre militärischen Einheiten der YPG und YPJ. Sie sind wiederum enge Verbündete der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in der Türkei und huldigen genauso der inhaftierten Führungsfigur Abdullah Öcalan.

Experten berichteten wiederholt, dass PKK und YPG untereinander Waffen austauschen und sich eng abstimmen. Die drei kurdischen Kantone in Syrien, Afrin, Kobane und Cizire bieten ihnen zufolge zudem genauso wie die Kandil-Berge im Irak einen Rückzugsraum für kurdische Kämpfer aus der Türkei. Ankara stuft beide, PKK und YPG, als Terrororganisationen ein. Die Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdogan steht damit aber völlig allein da.

In den USA, der EU und diversen anderen Staaten gilt nur die PKK als Terrororganisation. In Deutschland gibt es die schwer nachvollziehbare Besonderheit, dass PYD und YPG zwar als PKK-nah bewertet werden, und auch einige ihrer Symbole verboten sind, die Organisationen selbst aber nicht als Terrorgruppen eingestuft werden.

Friedensprozess fiel der Innenpolitik zum Opfer

Dass die Frage nach PKK, PYD und YPG derart vertrackt ist, hat viele Gründe: Schon die Einstufung der PKK ist in Deutschland keineswegs einhellig. Weil sich die Organisation historisch aus der Unterdrückung der Kurden in der Türkei entwickelte, werden ihre Angriffe auf Polizei und Militär insbesondere im linken politischen Spektrum als Teil eines Befreiungskampf gesehen. In dem Jahrzehnte alten Konflikten verloren mehr als 40.000 Menschen auf beiden Seiten das Leben.

Außerdem trägt Erdogan mindestens eine Mitschuld daran, dass die Auseinandersetzungen nach einer Phase relativer Ruhe wieder eskalierten. Bis zu den Parlamentswahlen in der Türkei 2015 sah es so aus, als könnte der türkisch-kurdische Friedensprozess, den Erdogan unter großem internationalen Zuspruch eingeleitet hat, eine Erfolgsgeschichte werden. Doch dann kündigte er ihn vor allem aus innenpolitischen Gründen auf.

Die kurdische Partei HDP schaffte erstmals in ihrer Geschichte den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde und den Einzug ins Parlament. Sie avancierte zur Gefahr für die absolute Mehrheit von Erdogans AKP und dessen Pläne, ein Präsidialsystem einzuführen. Der Konflikt entbrannte.

Angst vor einem schlechten Vorbild

Wohl vor allem, weil PYD und YPG tatsächlich so etwas wie ein Bollwerk gegen den IS in Syrien darstellen und sie Erdogan überdies keinen unmittelbaren Anlass für seine Invasion boten, halten sich die Abgeordneten der meisten Parteien im Bundestag mit ihrer Kritik noch zurück. Sie fordern vor allem einen differenzierteren Blick. AfD-Mann Petr Bystron sticht hingegen hervor. In seiner (von den anderen Abgeordneten belächelten) Rede wirft er der Linken vor, die YPG nur zu unterstützen, weil diese ihr marxistisches Gedankengut teile. "Sie finanzieren seit Jahren die Linksterroristen in Kurdistan mit", so Bystron.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki von der FDP versucht es pragmatisch. Die Bitte, zu prüfen, ob die rot-gelb-grüne Schal-Aktion ein Verstoß darstellt, erwidert er so: "Demonstrationen sind unzulässig, ich sage das ausdrücklich." Er nennt das Auftreten der Linken-Fraktion "grenzwertig". Aber er appelliert vor allem an die Vernunft der Abgeordneten. Und er wirkt, als denke er dabei gar nicht so sehr an die Linken, sondern vor  allem an mögliche künftige Aktionen der AfD und, wie er sagt, "noch grenzwertigere" Solidaritätsbekundungen. Mit Verweis auf "die Geschichte" bittet er, keine schlechten Vorbilder zu liefen. Den Abgeordneten stellt er frei, ob sie ihre Schals weitertragen oder ablegen. Die Solidaritätsbekundung habe mittlerweile eh jeder verstanden. Ein Großteil der Linken folgt Kubickis Bitte. Katja Kipping und einige andere behalten die Schals bis zum Ende der Aktuellen Stunde um.

Quelle: ntv.de

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