Politik

Anschlagsgefahr in Europa "Die Terroristen lernen dazu"

Polizistinnen patrouillieren auf der Rheinuferpromenade in Düsseldorf.

Polizistinnen patrouillieren auf der Rheinuferpromenade in Düsseldorf.

(Foto: dpa)

Die überwältigende Mehrheit der Flüchtlinge in Deutschland hat mit Terrorismus nichts zu tun, sagt Terrorismus-Experte Michael Ortmann. Er schätzt die Zahl der potenziell gefährlichen Personen, die mit den Flüchtlingsstrom nach Deutschland gekommen sind, auf 100.

n-tv.de: War der Fahndungserfolg, der möglicherweise einen Anschlag in Düsseldorf verhindert hat, Glück oder geht er auf die gute Arbeit der Ermittlungsbehörden zurück?

Michael Ortmann ist Terrorismus-Experte von RTL und n-tv.

Michael Ortmann ist Terrorismus-Experte von RTL und n-tv.

(Foto: RTL)

Michael Ortmann: Nach bisherigen Erkenntnissen war es beides. Es war Glück, dass sich einer der vier mutmaßlichen IS-Terroristen der Polizei gestellt und ausgepackt hat. Gute Polizeiarbeit war aber auch im Spiel. Denn es reicht nicht, nur einen Hinweis zu bekommen. Man muss die Hinweise, die nicht immer sehr konkret sind, auch überprüfen, sie auf Glaubwürdigkeit abklopfen und die nötigen gerichtsverwertbaren Beweise sammeln, ohne dass die Überwachten Verdacht schöpfen. Das ist die hohe Kunst der Polizei- und nachrichtendienstlichen Arbeit.

Wie groß ist die Gefahr, dass sich unter den Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen sind, Terroristen befinden?

Der IS hat die Flüchtlingsströme genutzt, um die Flüchtlinge in Misskredit zu bringen und in Europa Wut auf Muslime zu schüren. Zugleich gab es die Politik der offenen Türen, so dass jeder Flüchtling ungehindert einreisen konnte. Das wird bald nicht mehr so einfach sein, somit ist davon auszugehen, dass es auch für mögliche Terrorgruppen immer schwieriger wird, einfach die Grenzen zu überwinden. Aber dann wird man neue Wege suchen und vermutlich auch finden. Denn beide Seiten lernen: die Terroristen, aber auch die Polizeibehörden und Nachrichtendienste.

Im vergangenen Jahr sind mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Meines Erachtens sind um die 100 Personen dabei, die man sich genauer anschauen sollte oder bereits anschaut. Nicht weil sie alle Terroristen sind. Aber weil sie Kontakte zu Terrorgruppen hatten oder weil es gewisse Verdachtsmomente gibt. Das heißt, die überwältigende Mehrheit der Flüchtlinge hat rein gar nichts mit Terrorismus zu tun. Aber einige wenige haben es. Und die müssen wir finden. Keine leichte Aufgabe.

Gibt es andere oder bessere Wege für Terroristen als den, als Flüchtling getarnt nach Deutschland zu kommen?

Viele Attentäter können reisen, wohin sie wollen, das hat die Pariser Zelle deutlich gemacht. Die Terroristen können, wie jeder andere auch, mit dem Flugzeug entweder direkt oder aber über Drittländer einreisen. Sie können mit dem Bus kommen, mit dem Auto, mit der Bahn fahren. Denn es sind oft EU-Bürger, die ganz normale EU-Pässe haben. Das ist schon lange Teil der Strategie – in Europa und auch in Deutschland Kommandos einzusetzen, die Europa oder Deutschland kennen und die nicht auffallen, weil sie Europäer oder Deutsche sind oder weil sie schon lange hier leben.

Sind potenzielle Terroristen unter den Flüchtlingen mit der deutschen Salafistenszene vernetzt?

Es gibt meines Wissens keine belastbaren und weitreichenden Kontakte zwischen den IS- oder Al-Kaida-Terroristen und der deutschen Salafistenszene. Zwar befeuert der radikale Salafismus auch den Dschihadisten-Nachwuchs. Aber dass beide gemeinsame Sache machen und Anschläge planen, darauf gibt es meines Wissens keine Hinweise. Das schließt nicht aus, dass sich vielleicht einer aus der Salafistenszene zu Anschlägen hinreißen lässt. Das ist auch schon passiert, zuletzt bei dem Anschlag auf die Hindu-Hochzeit. Aber die großen Anschläge werden woanders geplant, nicht im Salafistenmilieu.

Sicher ist, dass Salafisten versuchen, Flüchtlinge für ihre Ideologie zu gewinnen. Das passiert. Man hilft den Flüchtlingen, spendet Sachen und versucht so, sie langsam für sich zu gewinnen. Da hilft Aufklärung in den Flüchtlingsheimen. Und da schauen auch unsere Nachrichtendienste hin.

Wie gefährlich ist es, Fußballspiele bei der EM in Frankreich zu besuchen?

Klar ist, die Situation ist sehr angespannt. Das haben die Anschläge von Paris und Brüssel und auch die Anschlagsplanungen in Deutschland deutlich gezeigt. Klar ist auch, für den internationalen Terrorismus ist die EM ein attraktives Ziel. Die Welt schaut nach Europa, alle Kameras sind auf die Spiele gerichtet. Tausende Polizisten kontrollieren in den Straßen. Wenn es dort in dieser Situation einen Anschlag gäbe, wäre die Wirkung verheerend. Das wissen aber auch die Nachrichtendienste und Polizeibehörden. Und deshalb werden die Spielstätten, die Hotels der Spieler und auch die großen Public-Viewing-Plätze überwacht. Aber man kann eben nicht überall sein.

Mit Michael Ortmann sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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