Politik

War er bei Bürgerversammlung? E. nannte Lübcke offenbar "Volksverräter"

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Vor vier Jahren spricht der Kasseler Regierungspräsident Lübcke mit Bewohnern von Lohfelden über den Bau einer Flüchtlingsunterkunft. Unter den Besuchern ist möglicherweise auch sein Mörder. Laut einem Bericht regt sich der tatverdächtige Stephan E. nach dem Auftritt in einem Chat über Lübcke auf.

Bei den Ermittlungen zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zeichnet sich einem Medienbericht zufolge ein mögliches Motiv ab. Wie der "Spiegel" berichtet, halten es die ermittelnden Beamten für möglich, dass der tatverdächtige Stephan E. 2015 die Bürgerversammlung besucht hat, auf der sich Lübcke den Unmut rechtsgerichteter Zuhörer und Internetnutzer zugezogen hatte. Außerdem legt ein "Monitor"-Bericht nahe, dass E. noch mindestens bis März Kontakt mit Neonazis hatte. Fotos sollen ihn mit Mitgliedern der Neonazi-Organisation Combat 18 zeigen.

Derzeit werde überprüft, ob E. unter den rund 800 Besuchern der Bürgerversammlung gewesen sei, heißt es dem Spiegel zufolge aus Polizeikreisen. Dabei hatte der Regierungspräsident am 14. Oktober 2015 in Lohfelden den geplanten Bau einer Flüchtlingsunterkunft verteidigt. Er sprach dabei von Werten und sagte: "Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist." Das sei die Freiheit eines jeden Deutschen.

Verdächtiger soll Lübcke-Auftritt "kommentiert" haben

Daraufhin machten sich zunächst im Saal Proteste breit, später zog eine Videosequenz mit diesen Worten im Internet zahlreiche Hasskommentare auf sich. Nach Kenntnis der Ermittler soll E. Lübckes Auftritt in Lohfelden nicht nur "sehr genau wahrgenommen", sondern gegenüber Gleichgesinnten auch "kommentiert und bewertet" haben, schreibt der "Spiegel". So habe er sich in einem Chat über Lübcke aufgeregt und ihn als "Volksverräter" bezeichnet.

Das Bürgerhaus, in dem die Versammlung stattfand, liegt demnach nur zwei Kilometer vom Wohnhaus des Tatverdächtigen entfernt. Die Erstaufnahmeeinrichtung sollte damals einen guten Kilometer von seinem Haus entfernt errichtet werden. Gegenüber den Ermittlern äußerte sich Stephan E. bislang nicht zu den Tatvorwürfen.

Der CDU-Politiker Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni auf der Terrasse seines Wohnhauses erschossen worden. Am Wochenende wurde der 45-jährige E. als dringend Tatverdächtiger festgenommen. Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen und stufte die Tat als "politisches Attentat" ein.

Kontakt mit Neonazis wohl noch im März

Auch ein Bericht des ARD-Magazins "Monitor" belastet den Tatverdächtigen. Demnach hatte Stephan E. noch im März Kontakt mit der rechtsextremen Szene. Er habe damals an einem konspirativen Treffen von Mitgliedern neonazistischer Organisationen teilgenommen, berichtete "Monitor" unter Verweis auf Fotos von der Zusammenkunft. Anfang der Woche hatte Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang noch erklärt, E. sei seit zehn Jahren "unauffällig" gewesen.

E. war dem Verfassungsschutz seit den 1980-er Jahren als Rechtsextremist bekannt. Dabei beging er laut Haldenwang auch politisch motivierte Straftaten und war seitdem "auf dem Radar des Verfassungsschutzes". Sein letzter Eintrag beim Verfassungsschutz stamme allerdings aus dem Jahr 2009, danach sei es ruhiger um ihn geworden, hatte Haldenwang bei einer Pressekonferenz mit Bundesinnenminister Horst Seehofer gesagt.

Fotos von Treffen mit Combat-18-Mitgliedern

Nach den Erkenntnissen von "Monitor" nahm E. am 23. März an einer "konspirativen" rechten Veranstaltung im sächsischen Mücka teil. Dort sei er zusammen mit Mitgliedern der neonazistischen Organisationen Combat 18 und Vereinigung Brigade 8 fotografiert worden. "Monitor" wertete die Bilder nach eigenen Angaben in Zusammenarbeit mit einem Gutachter aus, der diese als authentisch eingestuft habe. Combat 18 wurde als bewaffneter Arm des Neonazi-Netzwerks Blood and Honour gebildet, das wiederum als zentrale Unterstützergruppe der Terrorvereinigung NSU gilt.

Die von "Monitor" ausgewerteten Fotos von dem Treffen in Mücka zeigen dem Bericht zufolge außer E. unter anderen Stanley R., der als eine zentrale Figur des deutschen Combat 18 gilt. Beide haben demnach eine gemeinsame Vergangenheit in der Neonazi-Szene und nahmen zum Beispiel im Jahr 2002 gemeinsam an einer NPD-Wahlkampfveranstaltung teil.

Update: Inzwischen gibt es an der ersten Darstellung erhebliche Zweifel. Ein zweiter vom ARD-Magazin "Monitor" beauftragter Gutachter kam nun zu dem Ergebnis, dass die auf dem Bild abgebildete Person "höchstwahrscheinlich" nicht Stephan E. sei, wie der WDR am Mittwoch mitteilte. Bereits am Montag hatte "Spiegel Online" über eine mögliche Verwechslung berichtet.

Quelle: ntv.de, hul/AFP

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