Übersicht zu besprochenen Themen EU-Gipfel bringt Streitpunkte ans Licht
15.12.2022, 19:32 Uhr
Fordert eine schnelle EU-Reaktion auf die US-Subventionspolitik: Emmanuel Macron.
(Foto: dpa)
Bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel tauschen sich die Mitgliedsstaaten über eine Reihe von Themen aus - und treffen wegweisende Beschlüsse. Zum Teil kann aber auch noch keine Einigung erzielt werden. Eine Übersicht über die Themen, die besprochen wurden:
Die EU-Staaten haben sich grundsätzlich auf ein gemeinsames Vorgehen zur Stärkung der heimischen Wirtschaft angesichts von massiven US-Subventionen verständigt. Bis Anfang des kommenden Jahres soll die EU-Kommission eine entsprechende Strategie ausarbeiten, erklärte ein EU-Beamter. Die Mittel bleiben aber umstritten: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte eine entschiedene Antwort auf das milliardenschwere Klima- und Sozialpaket der USA. Die EU müsse "sehr viel schneller und stärker" auf die US-Subventionen reagieren. Dafür seien neue europäische Gemeinschaftsmittel nötig, die in Form von Garantien, Krediten oder Subventionen bereitgestellt werden könnten.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs angekündigt, bis zum Sommer einen Plan für einen neuen "Souveränitätsfonds" vorzulegen. Macron sagte, dies gehe in die richtige Richtung, sei aber nicht schnell genug. Bis Januar soll von der Leyens Behörde nun zudem prüfen, wie Investitionsbedingungen verbessert werden und "nationale und europäische Instrumente" mobilisiert werden können.
Die Bundesregierung lehnt neue schuldenfinanzierte Gemeinschaftshilfen strikt ab. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte am Mittwoch nach dem EU-ASEAN-Gipfel in Brüssel betont, es gebe noch "ziemlich viele nicht ausgeschüttete Mittel", welche Europa nutzen könne. Er verwies unter anderem auf die 750 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds. Berlin will nach früheren Angaben einen "Subventionswettlauf" mit den USA verhindern.
Selenskyj redet EU-Staaten ins Gewissen
Nach monatelangem Streit will die EU nächste Woche ihren Beschluss für einen europäischen Gaspreisdeckel fassen - notfalls auch ohne deutsche Zustimmung. Die Staats- und Regierungschefs verständigten sich darauf, dass die Arbeiten daran bei einem Treffen der Energieminister an diesem Montag abgeschlossen werden. In der Abschlusserklärung des Gipfels heißt es jedoch nicht, dass dies "in geeinter Weise" erreicht werden soll. Kanzler Scholz äußerte sich trotzdem optimistisch: "Es war immer klar, dass wir eine einvernehmliche Lösung anstreben. Und ich höre gute Meldungen, dass wir kurz davor sind." Anfang der Woche hatte insbesondere Deutschland eine Einigung wegen Bedenken bei der Versorgungssicherheit aufgehalten.
Mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj berieten die Staats- und Regierungschefs über zusätzliche Hilfen für sein Land. "Der Kampf für Frieden in der Ukraine und in ganz Europa sollte nicht von Missverständnissen und Kontroversen zwischen einigen EU-Mitgliedstaaten abhängen", sagte Selenskyj in einer Videobotschaft an den Gipfel. Es gebe keinen rationalen Grund, warum die Ukraine moderne Panzer nicht zum jetzigen Zeitpunkt bekommen sollte. Dasselbe gelte für weitreichende Artillerie- und Raketensysteme, die das Ende der russischen Aggression schneller herbeiführen könnten. "All das würde eine direkte Rettung von Millionen Menschenleben bedeuten."
Bei dem Gipfel wollten die EU-Staaten weitere Ukraine-Hilfen in Höhe von 18 Milliarden Euro freigeben. Zwischenzeitlich blockierte Polen die eigentlich als Formalie geltende Bestätigung. Laut Diplomatenangaben machte Warschau dann aber den Weg frei. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki hatte in Brüssel anfänglich von "Erpressung" gesprochen, weil die 18 Milliarden Euro für Kiew mit anderen Themen wie der Mindeststeuer für internationale Konzerne verknüpft wurden.
Tschechien, das noch bis Jahresende den Ratsvorsitz der Mitgliedstaaten innehat, hatte die Ukraine-Hilfen, die Mindeststeuer und die Mittel für Ungarn zu einem Paket geschnürt, um einen Durchbruch bei den Streitthemen zu erreichen. Diplomaten zufolge war Warschau deshalb verärgert über Tschechien und blockierte den Beschluss. Eigentlich versteht sich Polen als größter Unterstützer der Ukraine in der EU.
"Wir müssen endlich das Tabu Zäune brechen"
Streit gab es auch bei der geplanten die Verschärfung der Sanktionen gegen Russland. Deutschland forderte gemeinsam mit Ländern wie Frankreich und den Niederlanden, im Zuge des geplanten neunten Sanktionspakets bestehende Regeln für die Strafmaßnahmen zu ändern, um Beeinträchtigungen des Handels mit Agrarprodukten und Düngemitteln zu vermeiden. Andere Länder wie Polen und Litauen sehen Berichte über angeblich durch Sanktionen verhinderte Agrarexporte hingegen als russische Propaganda und wollten bis zuletzt keine Änderungen akzeptieren. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte, in Brüssel seien russische Lobbyisten und Agenten sehr aktiv. Diese wollten dafür sorgen, dass die EU-Sanktionen gelockert würden.
Apropos Einflussnahme: Zum Auftakt des Gipfels hatten die Staats- und Regierungschefs mit EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola über die Affäre wegen mutmaßlicher Bestechung von Abgeordneten durch Katar beraten. Metsola kündigte danach "weitreichende" Reformen im Parlament an.
Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer forderte die Europäische Union unterdessen zur Finanzierung von Grenzzäunen in Rumänien, Bulgarien und Ungarn auf, um illegale Einwanderung zu unterbinden. "Wir müssen endlich das Tabu Zäune brechen", sagte er in Brüssel. Nach seinen Angaben sind 75.000 Menschen in die EU eingereist und hätten sie bis nach Österreich durchquert, ohne registriert zu sein. Einen Zeitraum nannte er nicht. "Das ist ein Sicherheitsproblem, und das muss gelöst werden", betonte Nehammer. Bulgarien, Rumänien und Ungarn müssten bei der Grenzsicherung unterstützt werden. "Es sind Länder, die die Außengrenze in dem Sinne auch für uns alle, die Binnenländer sind, beschützen sollten. Wir sehen, dass es hier Probleme gibt, einen Mangel gibt."
Neuer Beitrittskandidat verkündet
Nach vorläufigen Daten der EU-Grenzschutzbehörde Frontex gab es in den ersten elf Monaten des Jahres mehr als 308.000 irreguläre Grenzübertritte in die EU. Das ist ein Zuwachs um 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Allein auf der Westbalkanroute kamen 45 Prozent dieser Menschen in die EU, die vor allem aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und Tunesien stammen. 2022 werde wohl das Jahr mit den meisten irregulären Grenzübertritten seit 2016, teilte Frontex zu Wochenbeginn mit.
Einig waren sich die Staats- und Regierungschefs schließlich bei dieser Sache: Das Balkanland Bosnien-Herzegowina wird offiziell in den Kreis der Beitrittskandidaten aufgenommen. Eine entsprechende Empfehlung hatten am Dienstag bereits die Europaminister der EU-Staaten abgegeben. Grund war auch die Sorge, dass Bosnien-Herzegowina sich ansonsten verstärkt in Richtung Russland oder China orientieren könnte. Bereits im Juni hatten die EU-Staaten nach einer Empfehlung der Kommission die Ukraine und Moldau offiziell zu Kandidaten für den EU-Beitritt ernannt. Beitrittsverhandlungen sollen aber erst nach der Erfüllung von Reformauflagen beginnen. Dieses Vorgehen soll es nun auch für das rund 3,3 Millionen Einwohner zählende Balkanland Bosnien-Herzegowina geben.
Quelle: ntv.de, fzö/AFP/dpa