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Urteil über Trump steht an Der allmächtige Supreme Court, außer Kontrolle

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Die neun Obersten Richter. Umstritten sind insbesondere Clarence Thomas (untere Reihe, 2. von links) und Samuel Alito (untere Reihe, 2. von rechts).

Die neun Obersten Richter. Umstritten sind insbesondere Clarence Thomas (untere Reihe, 2. von links) und Samuel Alito (untere Reihe, 2. von rechts).

(Foto: AP)

Darf Donald Trump wegen Handlungen während seiner US-Präsidentschaft strafrechtlich verfolgt werden? Darüber wird der Supreme Court bald seine Entscheidung verkünden. Doch die Zweifel an der Neutralität der Richter sind groß.

Auf der Website der Republikanischen Partei begrüßt Donald Trump die Besucher mit leicht leidendem Gesichtsausdruck. "POLITISCHER GEFANGENER" umrahmt sein Foto in Rot, und der Link "BEENDE DIE HEXENJAGD" führt zur zentralen Spendenseite "WinRed", die Trumps Unschuld beteuert, "linke Tyrannei" anprangert und "NIEMALS AUFGEBEN" ausruft. Doch der designierte Präsidentschaftskandidat ist seit Ende Mai verurteilt, das Strafmaß im Schweigegeldprozess hat der Richter für Juli angekündigt.

Falls Trump die Wahl im November verliert, könnte er sich im kommenden Jahr in einem juristischen Sturm wiederfinden. Es sei denn, das Oberste Gericht erklärt Trump für unantastbar. Unwahrscheinlich ist das nicht. Seit Monaten brütet der Supreme Court unter anderem darüber, ob sie frühere Präsidenten für königsgleich immun befinden. Spätestens im Juli wird das Gericht seine Entscheidung verkünden. Je näher sie rückt, desto hitziger wird die öffentliche Debatte darüber geführt, wie unabhängig die neun Richter überhaupt sind.

Der erste Prozess gegen ihn ist vorbei, Donald Trump kann wieder Wahlkampf machen, wie er will - etwa im Bundesstaat Nevada.

Der erste Prozess gegen ihn ist vorbei, Donald Trump kann wieder Wahlkampf machen, wie er will - etwa im Bundesstaat Nevada.

(Foto: AP)

Das Oberste Gericht wird in den kommenden Wochen eine ganze Reihe von historischen Urteilen veröffentlichen und damit die Politik und Alltag in den USA aktiv mitgestalten. Das wichtigste: Darf Trump strafrechtlich für Dinge verfolgt werden, die er während seiner Präsidentschaft getan hat? Weitere werden Präzedenzfälle schaffen. Bleiben die Urteile gegen die Aufständischen des 6. Januar 2021 gültig? Dürfen US-Präsidenten in Zukunft gar die Loyalität anderer gegen Begnadigungen eintauschen? Im äußersten Fall also Verbrechen anordnen und den Tätern vorab Straffreiheit versprechen?

Mitten im Wahlkampf

Auf dem Papier dominieren die konservativen Richter am Supreme Court im Verhältnis 6 zu 3. Zwei von ihnen wird Befangenheit vorgeworfen. Da gibt es gehisste Fahnen während des Aufstandes vom 6. Januar 2021. Luxusreisen auf Kosten eines superreichen Republikaners. Vor einigen Tagen veröffentlichte eine Journalistin zudem eine geheime Audio-Aufnahme, in dem einer der Richter über einen christlichen Kampf von Gut und Böse spricht, den nur eine Seite gewinnen könne. Und so findet sich der Supreme Court dort wieder, wo er angesichts der Gewaltenteilung nichts zu suchen haben sollte: mitten im Wahlkampf.

Die Staatsanwaltschaft im von Demokraten geleiteten Justizministerium verklagte den Ex-Präsidenten im vergangenen Jahr in zwei Fällen. Eine Jury in der Hauptstadt Washington, D.C. akzeptierte die eine Anklage gegen Trump, wegen versuchtem Wahlbetrug und des Aufstandes nach dessen Niederlage gegen Joe Biden 2020. Dies gilt auch für die andere im Bundesstaat Florida, wegen Trumps Umgang mit Geheimdokumenten in seinem dortigen Privatwohnsitz Mar-a-Lago. Dazu kommt ein weiterer Wahlbetrugsprozess auf Bundesstaatsebene in Georgia. Alle drei hängen davon ab, was die neun Richter des Supreme Courts entscheiden.

Eine solche Situation hat es noch nie gegeben - eine offensichtlich konservative Richtermehrheit, von der drei ihren Posten Trump zu verdanken haben, über dessen Immunität sie nun entscheiden sollen: Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Dazu kommen zwei, deren Privatleben ihr berufliches erschwert: Samuel Alito und Clarence Thomas. Seitdem der Supreme Court seine ideologische Schlagseite hat, vertrauen die US-Amerikaner ihm historisch wenig. Seit 2021 bewegt sich die Zustimmung für dessen Arbeit bei 40 Prozent.

"ICH LIEBE MAGA"

Ein Bericht brachte Thomas bereits vor einem Jahr in Erklärungsnot, inzwischen hat er manches davon eingeräumt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten finanzierte der republikanische Großspender und Immobilienmogul Harlan Crow dem Juristen und dessen Frau einen luxuriösen Lebensstil. Thomas flog in einem Privatjet, entspannte auf einer Superjacht, verbrachte mit Crow gemeinsame Zeit in Luxusresorts; allein ein Inselhopping in Indonesien kurz vor der Corona-Pandemie kostete eine halbe Million Dollar.

Crow bezahlte auch das Schulgeld von Thomas' Ziehsohn. Er kaufte das Haus von Thomas' Mutter, damit sie dort weiter wohnen konnte. Thomas' Frau Virginia ist eine hervorragend vernetzte konservative Juristin und Aktivistin. Auf Facebook schrieb sie "ICH LIEBE MAGA Leute!!!!", und erklärte laut einem US-Medienbericht, Amerika sei "in existenzieller Gefahr" wegen des "tiefen Staates", der "faschistischen Linken", zu denen auch "transsexuelle Faschisten" gehörten. Über ihre Beraterfirma erhielt Virginia Thomas indirekt Geld von einer NGO, die danach vor dem Supreme Court gegen das Wahlrecht argumentierte. Das Gericht kippte den Schutz gesellschaftlich benachteiligter Wähler mit einer 5:4-Entscheidung.

Insgesamt habe Thomas Geschenke im Wert von 2,4 Millionen Dollar von Crow erhalten, analysierte eine NGO. Von seinem Gehalt hätte sich der Oberste Richter all dies kaum leisten können, er verdient jährlich etwa 290.000 Dollar brutto. Manche fordern Thomas' Rücktritt. Doch das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten ist so gut wie unantastbar. Der Präsident schlägt die Richter vor, der Kongress bestätigt sie, und wer es so auf einen der neun Richterposten auf Lebenszeit geschafft hat, ist in der Geschichte der USA noch nie entfernt worden. Dies darf ebenfalls nur der Kongress per Amtsenthebungsverfahren, und die Hürden sind hoch.

"Nation der Frömmigkeit"

Inzwischen ist auch Samuel Alito, der andere stramm konservative Richter, in der Kritik. Während Trump 2020 seine Lügen über die angeblich gestohlene Wahl verbreitete und unbedingt an der Macht bleiben wollte, flatterte vor seinem Haus eine umgekehrt gehisste US-Fahne. Auch Trumps Anhänger und die Aufständischen vom 6. Januar 2021 nutzten dieses Symbol während des Sturms auf das Kapitol in Washington. Im Jahr 2023 beobachteten Nachbarn die revolutionäre "Appell an den Himmel"-Fahne, die von rechten Gruppen, christlichen Nationalisten und Trumps Anhängern genutzt wird. In dieser Zeit berieten die Richter darüber, ob sie sich in die Frage um Trumps Immunität einmischen sollten.

Gegen Vorwürfe wegen fehlender Neutralität verteidigte Alito sich in einem Brief und schob die Verantwortung auf seine Frau Martha-Ann. Die Flaggen seien von ihr gehisst worden, er habe erst davon nichts gewusst, danach habe er Martha-Ann vergeblich gebeten, sie einzuholen. Alito war es auch, der 2022 das Urteil verfasste, mit dem der Supreme Court das landesweite Abtreibungsrecht abschaffte. Eine Kolumnistin der "New York Times" schrieb dazu: "(Alito) entzieht Millionen Frauen die Kontrolle über ihren eigenen Körper, aber respektiert das Recht seiner Frau, für sie beide über aufstachelnde Fahnen zu bestimmen." Forderungen, sich deshalb aus den Entscheidungen über Trumps Immunität sowie den Aufständischen vom 6. Januar zurückzuziehen, lehnt Alito ab.

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Seine Sicht auf die Vereinigten Staaten versteckt der Richter kaum. Eine Journalistin, die sich als konservative Katholikin ausgab, verwickelte ihn Anfang Juni in ein Gespräch und zeichnete es verdeckt auf. Auf ihre lockende Aussage hin, sie sehe keinen Mittelweg bei der Polarisierung mit den Demokraten, meint Alito in einem Audio-Zusammenschnitt: "Ich denke, Sie haben recht. Die eine oder die andere Seite wird siegen." Als die Journalistin nachhakt und sagt, gläubige Christen müssten dafür kämpfen, das Land zu einer "Nation der Frömmigkeit" zu machen, signalisiert der Richter eine ähnliche Ansicht: "Ich stimme Ihnen zu, ich stimme Ihnen zu." Alitos Frau sinnt indes auf Rache wegen der Fahnen. "Wer sich mit mir anlegt, bekommt es zurück", sagt sie. "Es muss nicht jetzt sein, aber es wird einen Weg geben. Sie wissen das."

Manche Demokraten im Kongress versuchen inzwischen, die Richter einem bindenden Verhaltenskodex zu unterwerfen. Nur für neun Personen in US-Institutionen, also die Richter, gebe es keine entsprechende Kontrolle, sagte der Vorsitzende des Aufsichtsausschusses im Kongress: "Ironischerweise sind es diejenigen, die sich um das Gesetz kümmern." Dafür können die Demokraten dem Supreme Court mit ihrer schärfsten Waffe drohen: ihm den Jahreshaushalt kürzen. Aber das geht nur, solange sie noch die Mehrheit im Senat besitzen.

Quelle: ntv.de

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