Russen trauern um Prigoschin "Es ist, als würde man einen Vater verlieren"
24.08.2023, 22:01 Uhr Artikel anhören
Dass er eine Söldner-Truppe befehligt hat, die Kriegsverbrechen begeht und gegen die russische Führung rebelliert, tut der Beliebtheit Jewgeni Prigoschins keinen Abbruch. Im Gegenteil. Anlässlich seines wahrscheinlichen Todes wird der Wagner-Chef in Russland teilweise betrauert.
Ein "Vater", ein "Bruder": Nach dem mutmaßlichen Tod von Jewgeni Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz haben dessen Anhänger dem Chef der russischen Söldnergruppe Wagner in dessen Heimatstadt St. Petersburg die letzte Ehre erwiesen. Am Donnerstag strömten in der russischen Metropole viele Sympathisanten zum gläsernen Wagner-Firmensitz und legten dort rote Nelken, Rosen oder Aufnäher mit dem Totenkopf-Logo der berüchtigten Söldnergruppe nieder. Auch in der Hauptstadt Moskau trauerten Prigoschin-Verehrer um ihr Idol.
Etliche Teilnehmer der Trauerkundgebung in St. Petersburg sehen in Prigoschin nach eigenen Angaben einen Helden. Seine Schlagfertigkeit, seine vulgäre Ausdrucksweise, sein kompromissloser Nationalismus und seine ungezügelten Anschuldigungen gegen die Armeespitze in Moskau, der er Versagen bei der Offensive in der Ukraine vorwarf, machten ihn für manche zur Kultfigur. Mit seiner kurzzeitigen Rebellion im Juni hatte Prigoschin zwar die Autorität von Staatschef Wladimir Putin infrage gestellt. Ohne ihn namentlich zu nennen, brandmarkte Putin den Wagner-Chef damals als Verräter. Dessen Beliebtheit tat dies jedoch in Russland keinen Abbruch.
Der Geschäftsmann Pawel Sacharow verglich Prigoschin bei der Trauerkundgebung mit dem früheren französischen Präsidenten und Anführer des Widerstands gegen die Nazis, Charles de Gaulle. "Als in Frankreich Charles de Gaulle starb, sagte man, dass Frankreich eine Waise sei. Für mich ist Russland seit dieser Nacht eine Waise", sagte der 36-Jährige. Dieses Gefühl teilte auch der Ingenieur Igor. "Es ist, als würde man einen Vater verlieren", sagte der 42-Jährige, der eine Mütze mit dem Totenkopfsymbol trug. "Er war alles für uns, wir haben immer darauf gewartet, was Onkel Schenja (Kurzform von Jewgeni) sagen würde."
Möglicher Auftragsmord kein Thema
Die 31-jährige Natalia kam mit dem Fahrrad, um ihren Blumenstrauß abzulegen. "Für uns war er ein Freund, ein Bruder", sagte sie. Sie habe das Gefühl, einen geliebten Menschen verloren zu haben. Sie befürchtete, dass sein Tod Russland destabilisieren und Unzufriedenheit hervorrufen könnte. Weder sein kurzzeitiger Aufstand gegen die Militärführung noch die möglichen Ursachen des Flugzeugabsturzes sind bei der Trauerfeier Thema. Auch die Möglichkeit eines Auftragsmordes erwähnen die Anwesenden nicht.
Stattdessen schwärmen sie von seiner abenteuerlichen Lebensgeschichte und seinem kometenhaften Aufstieg vom ehemaligen Häftling zum Luxusrestaurant-Besitzer und einem der bekanntesten Militärführer der Welt, der dank Staatsaufträgen ein Vermögen anhäufte und später den Kreml mit seiner Privatarmee und mutmaßlichen Troll-Fabriken unterstützte.
"Niemand kann überrascht sein"
Auch in Moskau kamen Menschen zusammen, um ihre Trauer um Prigoschin zu zeigen. Sein Tod sei "eine große Tragödie für unser Land, eine traurige Situation", sagte der 53-jährige Unternehmer Andrej Senkin. Andere Anwesende äußerten sich vorsichtig. "Ich wage nicht einmal daran zu denken, dass es ein Anschlag oder etwas Vorsätzliches gewesen sein könnte", sagte die 58-jährige Kindergartenerzieherin Tatjana Makarowa. Allein die Vermutung mache ihr "Angst".
Die 32-jährige Unternehmerin Veronika Anochina ging mit ihren Äußerungen sogar noch einen Schritt weiter. "Ich denke, dass niemand überrascht sein kann (über den Absturz von Prigoschins Flugzeug), mich eingeschlossen", sagte sie. Dies sei "eine Nachricht in der logischen Abfolge der Nachrichten in unserem Land".
Das Flugzeug mit Prigoschin an Bord war am frühen Mittwochabend in der russischen Region Twer abgestürzt. Nach Angaben des Katastrophenschutzministeriums überlebte keiner der zehn Insassen. Die russische Luftfahrtbehörde Rosawiatsija bestätigte, dass sich Prigoschin an Bord des Flugzeugs auf dem Weg von Moskau nach St. Petersburg befunden habe. Russlands Präsident Wladimir Putin bestätigte den Tod des Söldner-Chefs am Donnerstag. Er kondoliert dessen Familie.
Quelle: ntv.de, rog/AFP