Vor Ministerpräsidentenrunde Expertenrat stimmt Deutschland auf höhere Zahlen ein
23.01.2022, 08:45 Uhr
Oliver Müller, Arzt, hält ein Teststäbchen für die Entnahme einer Probe für einen PCR-Test beim Gesundheitsamt Neukölln in der Hand.
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Am Montag sitzen die Länderchefs wieder mit Bundeskanzler Scholz zusammen, um zu beraten, wie es jetzt in der Omikron-Welle weitergehen soll. Die Empfehlungen der beratenden Expertinnen und Experten liegen bereits vor. Demnach heißt es jetzt abwarten und auf das Schlimmste gefasst sein.
Der Expertenrat der Bundesregierung empfiehlt vor der nächsten Ministerpräsidentenrunde keine Verschärfung der geltenden Maßnahmen. Allerdings mahnen die 19 Mitglieder der Runde gründliche Vorbereitungen auf eine mögliche weitere Verschlechterung der Corona-Lage an. Wenn weitere "kritische Marken" wie etwa eine hohe Hospitalisierungsrate erreicht würden, seien weitergehende Schutzmaßnahmen nötig, heißt es in der am Samstagabend von der Bundesregierung verbreiteten Stellungnahme des Expertenrats. Diese Maßnahmen sollten daher "jetzt so vorbereitet werden, dass sie ohne Verzögerung umgesetzt werden können".
Zudem forderten die Fachleute, zu denen auch der Berliner Virologe Christian Drosten und RKI-Chef Lothar Wieler gehören, unter Verweis auf das "hochdynamische Infektionsgeschehen" eine "strikte Umsetzung der bisherigen Maßnahmen". Zugleich zeigten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch eine Perspektive für ein Zurückfahren der Corona-Restriktionen auf. Wenn die Grundimmunität in der Bevölkerung zunehme und die Zahl der Neuinfektionen und die Zahl der Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern zurückgehe, sollten die Kontaktbeschränkungen wieder stufenweise zurückgefahren werden, heißt es in dem Papier.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte bereits eine Neuausrichtung des Pandemiemanagements an. "Wir haben drei Bereiche des Pandemiemanagements, die wir an die Omikron-Welle anpassen müssen. Die kürzeren Quarantänezeiten und das einfachere Freitesten sind der eine Bereich, den haben wir bereits erledigt. Bleiben die Kontaktnachverfolgung und eine Priorisierung der PCR-Tests. Das gehen wir jetzt an", sagte Lauterbach der "Rheinischen Post". Demnach sollen sich künftig nur noch Beschäftigte der kritischen Infrastruktur einen positiven Schnelltest mit einem PCR-Test bestätigen lassen können. Für alle anderen Menschen soll ein professioneller Antigen-Schnelltest reichen. "So sparen wir wichtige PCR-Kapazitäten für den Höhepunkt der Welle", sagte Lauterbach. Er rechne schon in kurzer Zeit mit mehreren Hunderttausend neuen Infektionsfällen pro Tag. Dann soll sich auch die Kontaktnachverfolgung auf Lehrkräfte, medizinisches Personal, Beschäftigte von Energie- und Wasserversorgern, Einsatzkräfte und andere Bereiche der kritischen Infrastruktur konzentrieren.
Lockerung zu früh
Auch Lauterbach riet von einer Verschärfung der geltenden Corona-Maßnahmen ab, warnte aber zugleich vor Lockerungen. "Ich bin dafür, dass wir die bestehenden Maßnahmen beibehalten, also nicht ausweiten. Aber eine Lockerung wäre fatal. Wir würden Öl ins Feuer gießen und die Welle beschleunigen", sagte der SPD-Politiker. "Wir sind zwar auf dem richtigen Kurs und schon dabei, aus der drohenden Omikron-Wand einen Hügel zu machen", so Lauterbach. Entscheidend sei gewesen, dass die Verdopplungszeit der Fallzahlen "dank der vergleichsweise strengen Regeln in Deutschland von zwei auf sechs Tage" gestreckt werden konnte. "Trotzdem können wir eine Überlastung der Intensivstationen, der Krankenhäuser und den Einbruch von Teilen der Infrastruktur noch nicht ausschließen", sagte Lauterbach weiter.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst sprach sich bereits gegen große Lockerungen von Maßnahmen aus. "Ein Signal zu großflächigen, pauschalen Lockerungen käme im Moment noch zu früh", sagte der CDU-Politiker in einem Interview des "Tagesspiegel". "Immer noch sterben rund 1500 Menschen pro Woche an Corona, das Personal in den Krankenhäusern ist komplett ausgelaugt - das kann uns doch nicht kaltlassen", gab Wüst zu bedenken, der Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist.
In Handel und Gastronomie stehe eine Lockerung der 2G- und 2G plus-Regeln für ihn derzeit nicht zur Debatte, sagte Wüst. Dabei gehe es auch um Planbarkeit. "Das Schlimmste für die Menschen ist mangelnde Planbarkeit und ein ständiges Hin und Her. Deswegen ist Voraussicht wichtig. Das heißt aber auch, dass man nicht alle 14 Tage Verordnungen in die eine und dann wieder in die andere Richtung ändert", sagte der NRW-Ministerpräsident.
Impfen als Ausweg
Als wesentliche Maßnahme zur Überwindung der Corona-Pandemie betrachtet der Expertenrat weiterhin die Impfung. Es sei "dringend erforderlich, die verbliebenen Immunitätslücken in der Gesellschaft durch Impfungen zu schließen", erklärte er. Ansonsten sei immer wieder mit "starken Infektions- und Erkrankungswellen zu rechnen".
Lauterbach kündigte für die kommende Woche den Start einer neuen Impfkampagne an. "Wir sind in der Pflicht, die Menschen zu erreichen", sagte Lauterbach der "Bild am Sonntag". Seine Ansage: "Wir müssen alles versuchen, die Impflücke zu schließen, das ist auch eine Voraussetzung für eine eventuelle Impfpflicht."
Die Länderchefs wollen an diesem Montag mit Bundeskanzler Olaf Scholz die Lage angesichts der rasanten Ausbreitung der Corona-Variante Omikron beraten. Das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte jüngst einen deutlichen Anstieg der bundesweiten Sieben-Tage-Inzidenz gemeldet, die Neuinfektionen binnen eines Tages lagen zuletzt bei mehr als 135.000.
Quelle: ntv.de, sba/dpa