Australien lagert das Sterben aus Flüchtlingsboote stoppen leicht gemacht
21.04.2015, 19:30 Uhr
Mit derartigen Motiven versucht Australien, Flüchtlinge bereits vor einer Bootsfahrt abzuschrecken.
Innerhalb von eineinhalb Jahren gelang es Australien, die Zahl der Bootsflüchtlinge, die das Land erreichten, von 20.000 auf null zu drücken. Nach der Katastrophe im Mittelmeer bietet das Land der EU Hilfe an. Doch Europa kann sie nicht annehmen.
Aufgeschreckt durch den Tod von mehr als 1000 Flüchtlingen in nur einer Woche sucht die EU nach einem Weg, das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Jetzt bekommt Brüssel überraschend ein Hilfsangebot von einem Land, das viel Erfahrung mit Bootsflüchtlingen und Flüchtlingsleichen vor der eigenen Küste hat.
Der australische Regierungschef Tony Abbott stellte in einem Interview mit dem Sender ABC seine Expertise zur Verfügung: "Der einzige Weg, wie man das Sterben beenden kann, besteht tatsächlich darin, die Schiffe zu stoppen", sagte er. Seine Außenministerin Julie Bishop fügte hinzu: Die australische Regierung würde sich freuen, wenn sie ihre Gesetze und Richtlinien für den Umgang mit den Flüchtlingen mit den europäischen Staaten diskutieren könnte.
Abbott hat das "Stoppen von Schiffen" in seiner Heimat in den vergangenen Jahren tatsächlich perfektioniert. Nur ein Ende des Leidens hat er dabei nicht erreicht.
Im Jahr 2013 landeten noch 300 Boote mit mehr als 20.000 Flüchtlingen an Australiens Küste. Die meisten kamen aus Afghanistan, Iran und Sri Lanka. Abbott, der damals noch um das Amt des Regierungschefs kämpfte, versprach, dass sich das unter seiner Führung ändern würde. Und er hielt Wort. Kaum im Amt, setzte er die "Operation souveräne Grenzen" in Gang. Militärschiffe suchen seither in den Gewässern vor Australien nach Flüchtlingsbooten. Erspähen sie eins, drängen sie es ab. Ist das Flüchtlingsboot nicht seetauglich, werden die Flüchtlinge auf eigens für diesen Zweck angeschaffte Rettungsboote geladen und dann abgedrängt. Seit Januar 2014 hat es nach offiziellen Angaben kein Flüchtlingsboot mehr nach Australien geschafft.
Flüchtlingslager im Ausland
Die "Operation souveräne Grenzen" geht noch weiter. Die australische Regierung warnt offensiv im Ausland vor der Fahrt mit Schlepperbanden. Videos und Plakate erscheinen in 17 Sprachen in ausländischen Tageszeitungen und Internetportalen. Ein Motiv: Ein geschundenes Fischerboot treibt einsam in unruhiger See. Gewitterwolken ziehen auf. Und darüber prangen in roten Lettern die Worte: "No Way - You will not make Australia home" (Keine Chance - Australien wird nicht eure Heimat).
Und das stimmt sogar dann, wenn Flüchtlinge nicht sofort wieder nach Sri Lanka, Vietnam oder Indonesien abgedrängt werden. Wer als Bootsflüchtling in Australien landet, kommt nicht in ein Asylbewerberheim auf dem Festland. Canberra lässt Lager auf dem Inselstaat Nauru und auf der Insel Manus in Papua-Neuguinea betreiben. Mit Kambodscha hat die Regierung bereits einen Deal abgeschlossen, um auch dort Flüchtlinge unterzubringen. Die Staaten bekommen dafür Millionenzahlungen.
Die Zustände in den Off-Shore-Flüchtlingsheimen mit ihren mehr als 2000 Insassen sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen miserabel. Es gibt Dutzende Hinweise auf Selbstmordversuche, Hungerstreiks und Aufstände. In einem Untersuchungsbericht im Auftrag der Regierung ist von Missbrauch sogar an Kindern die Rede.
70 Meilen Leichenketten
Australien ist ein fragwürdiges Vorbild für Europa. Zumal das Sterben im Meer trotz der rigorosen "Operation souveräne Grenzen" nicht endet. Das lassen zumindest die Berichte von Marine-Angehörigen erahnen, die an den Abdrängmaßnahmen beteiligt waren. Ein Navy Offizier erzählte dem Sender ABC News von einer "Leichenkette", die sich über 70 Meilen erstreckt habe. "Wir haben sie aus dem Wasser gefischt, bis unser Boot voll war." In weiteren Interviews ist von "aufgedunsenen Toten" die Rede, von Körpern, die schon bei leichter Berührung auseinanderfielen. All das spielt sich jetzt aber fernab von der Küste Australiens ab. Und auf dem Festland bekommt kaum einer etwas davon mit. Die Regierung registriert die Toten im Meer nicht.
Die EU will zwar auch den Grenzschutz ausbauen und spielt mit dem Gedanken, Asylzentren in Nordafrika einzurichten. Nach den Dramen der vergangenen Tage setzt sie aber auch wieder auf mehr Geld für die Seenotrettung. Sich ernsthaft von Australiens Politik inspirieren lassen könnte sie ohnehin kaum, ohne in juristische und moralische Querelen zu geraten. Die Vereinten Nationen werfen bereits Canberra vor, gegen die Flüchtlingskonventionen von 1951 zu verstoßen. Und 2012 zeigte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof mit einem Urteil die europäischen Grenzen auf. Er verurteilte Italien zu Schadenersatzzahlungen an Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia. Die italienische Küstenwache hatte die Flüchtlinge 2009 im Mittelmeer aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht. Im Urteil heißt es: Italien habe die Menschen so der Gefahr unmenschlicher Behandlung in Libyen ausgesetzt.
Quelle: ntv.de