Westliche Truppen in Ukraine? Frankreichs Außenminister präzisiert Macron-Vorstoß
27.02.2024, 18:59 Uhr Artikel anhören
Meister der Zweideutigkeit? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
(Foto: REUTERS)
Mit seiner Idee, westliche Staaten könnten Soldaten in die Ukraine entsenden, löst Frankreichs Präsident Macron ein diplomatisches Beben aus. Der Widerspruch kommt schnell. Auch Außenminister Séjourné sieht sich zu Erklärungen bemüßigt. Ein NATO-Land äußert sich dagegen wohlwollend.
Frankreichs Außenminister hat umstrittene Äußerungen von Präsident Emmanuel Macron zum Einsatz westlicher Truppen in der Ukraine präzisiert. "Wir müssen neue Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine in Betracht ziehen", sagte Stéphane Séjourné vor Parlamentariern. Diese müssten sehr spezifischen Bedürfnissen entsprechen: "Ich denke dabei insbesondere an die Minenräumung, die Cyberabwehr, die Herstellung von Waffen vor Ort, auf ukrainischem Territorium. Einige Aufgaben könnten eine Präsenz auf ukrainischem Territorium erfordern, ohne die Schwelle zum Kampf zu überschreiten." Nichts solle ausgeschlossen werden. "Der Krieg kann jederzeit beendet werden, sobald Russland sich entscheidet, seine Soldaten aus der Ukraine abzuziehen."
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte am Vorabend mit seiner Aussage, dass eine Entsendung westlicher Bodentruppen in die Ukraine nicht auszuschließen sei, eine Welle der Ablehnung ausgelöst. Macron hatte zum Abschluss einer Ukraine-Konferenz in Paris selbst eingeräumt, dass es in dieser Frage keinen Konsens gebe. Er wolle aber eine "strategische Uneindeutigkeit" beibehalten, hatte er betont. Nichts dürfe ausgeschlossen werden, was dazu beitrage, dass Russland den Ukraine-Krieg nicht gewinne.
Moskau warnte umgehend vor der "Unvermeidlichkeit" einer Konfrontation zwischen der NATO und Russland, sollten Truppen des Bündnisses im Ukraine-Krieg eingesetzt werden. Eine solche Entsendung sei "absolut nicht im Interesse" westlicher Länder, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte, dass die Ablehnung einer Entsendung unter den Teilnehmern der Pariser Ukraine-Konferenz "sehr einhellig" gewesen sei. Es werde "keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben (...), die von europäischen Staaten oder von NATO-Staaten dorthin geschickt werden", betonte er. Auch Großbritannien, Polen, Spanien, Tschechien und Ungarn wiesen entsprechende Überlegungen umgehend zurück.
"Keine Pläne für NATO-Kampftruppen vor Ort"
NATO-Generalsekretär Stoltenberg sagte, die NATO-Verbündeten unterstützten die Ukraine in noch nie da gewesener Weise. Das geschehe seit 2014 und sei nach der russischen Invasion noch verstärkt worden. "Aber es gibt keine Pläne für NATO-Kampftruppen vor Ort in der Ukraine." Der slowakische Regierungschef Robert Fico sagte, seine Regierung plane nicht, einen solchen Einsatz vorzuschlagen. Einige Länder wägten jedoch ab, ob sie bilaterale Abkommen über die Bereitstellung von Truppen zur Unterstützung der Ukraine bei der Abwehr der russischen Invasion schließen sollten. Fico machte keine näheren Angaben darüber, welche Länder solche Abkommen erwägen oder was die Truppen in der Ukraine tun würden. Auch Macron vermied es, mögliche Länder zu nennen. Er sagte, er wolle strategische Zweideutigkeit wahren und Russland nicht vorwarnen.
Eine Entsendung von Truppen war bisher ein Tabu, zumal die NATO vermeiden will, in einen größeren Krieg mit dem atomar bewaffneten Russland hineingezogen zu werden. Nichts hindert jedoch die NATO-Mitglieder daran, sich einzeln oder in Gruppen an einem solchen Unterfangen zu beteiligen. Die NATO als Organisation kann sich nur engagieren, wenn alle 31 Mitglieder zustimmen.
Das Bündnis stellt der Ukraine nur nicht-tödliche Hilfe und Unterstützung wie medizinische Hilfsgüter, Uniformen und Winterausrüstung zur Verfügung. Einige Mitglieder senden von sich aus, bilateral oder in Gruppen, Waffen und Munition. Eine Entscheidung über die Entsendung von Truppen und deren langfristige Stationierung würde Transport- und Logistikkapazitäten erfordern, die nur Staaten wie die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und möglicherweise Italien, Polen und Spanien aufbringen könnten.
Stoltenberg schloss zwar ein militärisches Eingreifen der NATO aus, sagte aber, dass es sich um einen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine handele, der in eklatanter Weise das Völkerrecht verletze. "Nach dem Völkerrecht hat die Ukraine natürlich das Recht auf Selbstverteidigung, und wir haben das Recht, sie bei der Wahrung dieses Rechts zu unterstützen."
Litauen kann sich Einsatz vorstellen
Litauen dagegen erklärte, den Gedankenspielen über einen Einsatz westlicher Bodentruppen nicht grundsätzlich abweisend gegenüberzustehen. Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas schloss die Möglichkeit nicht aus, dass das baltische EU- und NATO-Land Soldaten in das von Russland angegriffene Land entsenden könnte. Zugleich betonte er, dass die nur für Ausbildungszwecke infrage käme, nicht für eine Beteiligung an Kampfhandlungen.
Auch ein Berater von Staatspräsident Gitanas Nauseda sagte zu einer möglichen Ausbildungsmission litauischer Soldaten in der Ukraine: "Wir sprechen über diese Möglichkeit und tun dies ganz offen. Es gibt viele Nuancen darüber, was passieren könnte und unter welchen Bedingungen." Die Unterstützung der Ukraine mit Waffen und Munition bleibe aber vorerst die Hauptpriorität, sagte er einem Bericht der Agentur BNS zufolge.
Quelle: ntv.de, fzö/rts/AFP/dpa/AP