Wer ist schuld an Pegida? Friedrichs offene Abrechnung mit Merkel
28.12.2014, 16:20 Uhr
Zwischen 2011 und 2014 war Friedrich Minister in Merkels Kabinett, dann trat er zurück.
(Foto: picture alliance / dpa)
Zu Beginn des Jahres stürzte Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich über die Edathy-Affäre. Nun rächt er sich an Kanzlerin Merkel dafür, dass sie ihn damals fallen ließ. Die Pegida-Bewegung kommt dem CSU-Mann da offenbar nur gelegen.
Hans-Peter Friedrich mag Kühe. "Weil mir ihre Gelassenheit und Beschaulichkeit, wenn sie da auf der Weide stehen, zeigen: In der Ruhe liegt die Kraft", hat er einmal gesagt. Friedrich verliert die Gelassenheit bisweilen. Mit markigen Sätzen hat er sich jetzt zu Wort gemeldet. Im "Spiegel" greift der 57-Jährige die Kanzlerin scharf an. Er gibt ihr sogar Schuld für das Erstarken von Pegida.
Was hat Friedrich gesagt? Der Mitte-Kurs Angela Merkels sei ein "verheerender Fehler". Die guten Umfragewerte der Union beruhten allein darauf, dass ehemalige SPD-Wähler bei der Union sozialdemokratische Politik verwirklicht sehen. Langfristig könnte diese Politik zur "Spaltung und Schwächung des bürgerlichen Lagers führen", so Friedrich. Der Union fehle es an einem klaren Profil. Über Pegida sagt Friedrich: Die neue außerparlamentarische Opposition von rechts sei entstanden, "weil ein nicht unbedeutender Teil der Gesellschaft das Gefühl hat, nicht mehr vertreten zu sein. Wenn die CDU das nicht erkennt, muss die CSU ihr die Augen öffnen."
Friedrichs Rundumschlag verwundert. Wenn die Kanzlerin aus den Oppositionsparteien heftig kritisiert wird, gehört dies zum Alltag und ist nicht weiter bemerkenswert. Aber ein derart scharfer Angriff aus den eigenen Reihen und noch dazu von einem prominenten Unionspolitiker ist eine Seltenheit. Dazu kommt: In der nachrichtenarmen Zeit zwischen den Jahren ist Friedrich Aufmerksamkeit gewiss.
"Nicht hilfreich, Zusammenhänge zu verdrehen"
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter ist empört über die Äußerung seines Fraktionskollegen. "Ich teile diese Einschätzung nicht und verstehe nicht, warum Friedrich so etwas sagt", sagt er n-tv.de. Merkel habe die Union breit aufgestellt, in der Umsetzung des Koalitionsvertrags habe man in diesem Jahr viel erreicht. Was hat sich Friedrich dabei gedacht? Kiesewetter unterstellt parteitaktische Motive: "Die CSU versucht sich so weit rechts zu positionieren, um ihrem alten Straußschen Anspruch gerecht zu werden", sagt er. "Es ist schade, dass Friedrich das zu Lasten der Kanzlerin macht."
Der CSU-Abgeordnete Volker Ullrich hält die Aufregung über die Friedrich-Äußerungen für übertrieben: "Das Interview ist ein Debattenbeitrag zur inhaltlichen Ausrichtung der Union." CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt weist Friedrich zurecht. "Es ist nicht hilfreich, die Zusammenhänge zu verdrehen", sagte sie der "Welt". "Unsere Politik ist der Grund für die Stärke der Union und nicht für das Erstarken von AfD und Pegida." Dass in einer großen Koalition Kompromisse geschlossen werden müssen, "weiß auch Herr Friedrich. Er war bei den Koalitionsverhandlungen verantwortlich mit dabei. Deshalb wundern mich seine Aussagen schon sehr."
"Das Leben liegt vor mir - auch das politische"
Die Union liegt in Umfragen zwischen 40 und 43 Prozent, aber offensichtlich ist: Die Pegida-Bewegung und das Erstarken der neuen Konkurrenzpartei AfD sorgt für zunehmende Unruhe. Aber sind Friedrichs Worte nur damit zu erklären? Was trieb ihn an? Eine Erklärung könnten auch die zurückliegenden Monate bieten. Im diesem Jahr entwickelte sich Friedrichs politische Karriere meist schneller, als ihm Recht sein konnte. Zu seinem Leidwesen ging es dabei jedoch nur in eine Richtung: nach unten. Im Dezember 2013 degradierte die Kanzlerin ihn vom Innen- zum Agrarminister. Das Amt behielt er jedoch nur zwei Monate.
Mitte Februar musste Friedrich, angeblich auf heftiges Betreiben des Kanzleramts, zurücktreten. Er hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel über den Kinderporno-Verdacht gegen Sebastian Edathy informiert. Der Vorwurf: Verrat von Dienstgeheimnissen. Friedrich war seine Verbitterung anzumerken, als er seine Rücktrittserklärung verlas. Er beklagte schwindenden politischen Rückhalt. Angesprochen auf seine politische Zukunft sagte Friedrich einige Tage später: "Ich kann mir alles vorstellen. Ich bin ein junger Mann. Das Leben liegt vor mir - auch das politische. Insofern: Don't worry."
Tatsächlich war sein Absturz aber besiegelt, er rutschte von der ersten in die dritte Reihe. Friedrich verlor seine Immunität, erst im September wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft keine Anklage gegen Friedrich erheben will. Ihm selbst hilft das nicht mehr wirklich. Drei Jahre lang nahm er an Kabinettssitzungen im Kanzleramt teil, jetzt ist er nur noch Fraktionsvize und zuständig für Verkehrsthemen. So erfolgreich die Zeit nach dem deutlichen Wahlerfolg für die Union auch verlief - wenn es einen Verlierer in den Reihen von CDU und CSU gab, dann wohl ihn.
In den vergangenen Monaten war es ruhig geworden um Friedrich. Bis er im "Spiegel"-Interview nun so sehr gegen Merkel wetterte, dass es fast einer Abrechnung gleichkommt. Der Kanzlerin wird das nicht gefallen. Dennoch kann sie es wohl ganz gut einordnen, wenn CSU-Politiker kurz vor der traditionellen Landesgruppenklausur in Wildbad Kreuth über das Ziel hinaus schießen. In der dritten Januarwoche, wenn die Union zu ihrer ersten Fraktionssitzung im neuen Jahr zusammenkommt, dürfte es dann schon wieder etwas ruhiger zugehen.
Quelle: ntv.de