Politik

Drei Jahre Krieg in der Ukraine Für die Slowakei ist der Krieg im Nachbarland eine Zerreißprobe

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Zehntausende protestieren derzeit in der Slowakei gegen Premier Fico.

Zehntausende protestieren derzeit in der Slowakei gegen Premier Fico.

(Foto: picture alliance/dpa/TASR)

In der Slowakei ist der russische Überfall auf die Ukraine eines der Themen, mit denen Nationalpopulisten das Land zu spalten versuchen. Aber: Je schärfer der Kurs von Premier Fico gegen die Ukraine wird, desto trotziger reagiert die Zivilgesellschaft.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat die Slowakei einiges durchgemacht: Ausläufer der Covid-Pandemie, Zustrom an Flüchtlingen, Preisexplosionen, Neuwahlen und ein Attentat auf den Premierminister. All das ist für eine vergleichsweise junge Demokratie schwer zu verdauen. Als Folge dessen von einer "Polarisierung" der Gesellschaft zu sprechen, ist fast schon eine Untertreibung - die Spannungen sind enorm.

Die Ukraine-Frage steht beispielhaft für viele andere Themen im Land. Einerseits ist man solidarisch, andererseits stapeln sich die Probleme. Diese Polarisierung spiegelt sich verschärft in der politischen Landschaft wider: Die Oppositionsparteien von Konservativ bis Links-Progressiv unterstützen die Ukraine weiterhin, während die nationalpopulistischen Regierungsparteien den Krieg als Thema nutzen, um prorussische Narrative zu verbreiten und unzufriedene Wähler zu mobilisieren. Nicht zuletzt waren es Ministerpräsident Robert Fico und seine Koalitionspartner, die mehrere Reisen nach Moskau absolvierten. Fico berichtete mit Stolz über seinen "Mut, für nationale Interessen der Slowakei einzustehen" und den direkten Draht zu Putin zu suchen.

Scharf, schärfer, kaum zumutbar - die politische Debatte eskaliert

Die liberal-konservative Vorgängerregierung war am Spagat gescheitert, der Ukraine zu helfen und zugleich Lösungen für die massiven Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Zusammenhalt zu finden. Robert Fico nutzte diese Chance geschickt: Von Beginn des russischen Angriffs an richtete er sein Narrativ auf die Folgen des Kriegs für die slowakische Bevölkerung aus, streute prorussisches Narrativ in die Debatte, kritisierte die Präsenz der Nato auf slowakischem Boden, entfachte eine Neiddebatte rund um die "Privilegien" ukrainischer Flüchtlinge. Nicht zuletzt gewann er durch solche Argumente die Parlamentswahlen. Und nicht zuletzt auch durch eine Diffamierung des liberalen Präsidentschaftskandidaten Ivan Korčok als "Kriegspräsident" konnte der Sozialdemokrat Peter Pellegrini, ein Fico-Verbündeter, aus der Koalitionsregierung heraus Präsident werden. Der Diskurs hat in diesem Zuge nicht nur an Schärfe gewonnen, sondern viele Grenzen überschritten.

Opfer der brutalen Zuspitzung wurde Robert Fico selbst, als ein Attentäter aus Protest gegen dessen Politik mehrere Schüsse auf ihn abgab. Nur knapp entging der Premierminister im Mai vergangenen Jahres dem Tode. Das Land kommt seitdem nicht mehr zur Ruhe. Fico, bald genesen zurück im Amt, begegnet in seiner nun vierten Regierungsverantwortung einem neuen Phänomen: Er regiert in Zeiten schwerster Krisen. Inflation, Energiepreise, Ressourcenmangel und Verschuldung machen es für ihn schwer, Wahlversprechen von der Entlastung für die Bürger einzulösen. Enttäuschung macht sich breit.

Zugleich laufen dem Premier die Abgeordneten weg. Inzwischen kann er keine stabile Mehrheit mehr im Parlament vorweisen, Neuwahlen stehen im Raum. Bilder von den Protesten auf den Straßen gegen seine Regierung gehen um die Welt. Fico wird nervöser. Konkrete Schritte gegen parlamentarische Institutionen, rechtsstaatliche Einrichtungen sowie einzelne Politiker, wie den Oppositionsführer und vormaligen Vize-Parlamentsvorsitzenden Michal Šimecka (liberale Progresivne Slovensko), zeugen vom Druck, dem die slowakische Demokratie ausgesetzt ist.

Die Slowakei braucht dringend Reformen

Je länger die wirtschaftliche und politische Krise dauert, desto schwieriger wird es, Hilfe und Solidarität für die Ukraine aufrechtzuerhalten, und desto schwieriger wird es, dringend notwendige Reformen voranzutreiben. Dabei war die Slowakei, die erst Ende der 1990er Jahre aus der Diktatur in Richtung Europa und westliche Demokratien aufgebrochen ist, zeitweise den Nachbarn Tschechien, Polen und Ungarn voraus. Durch geschickte Reformen der Regierung von Mikuláš Dzurinda wurden massive Investitionen in das Land gelockt.

Die Übernahme des Euro, die Aufnahme in den Schengenraum und die Stärkung der Infrastruktur machten das Land zeitweise zu einem Tiger der Region. Dies ist lange verblasst. Der Slowakei gelingt es heute nicht, grundlegende Reformen in Wirtschaft, Gesundheit und im Sozialsystem zu starten. Das Land bleibt bei Innovationen und Perspektiven für die junge Generation zurück. Massive Abwanderungen gut ausgebildeter Arbeitskräfte nach Österreich, Deutschland und vor allem Tschechien sind die Folge.

Robert Fico mobilisiert Hilfsinitiativen in der Gesellschaft

Die Solidarität mit der Ukraine bleibt derweil ungebrochen, hat sich aber von staatlicher Hilfe in die Gesellschaft verschoben. Nichtregierungsorganisationen und freiwillige Initiativen spielen weiterhin eine Schlüsselrolle, stehen jedoch ohne staatliche Unterstützung vor größeren finanziellen und organisatorischen Herausforderungen.

Dass die Hilfe nicht völlig versiegt, dazu trägt auch Robert Fico bei: Je schärfer sein Kurs gegen die Ukraine wird, desto trotziger reagiert die Zivilgesellschaft. Allein 2024 haben Vereine, Verbände, Unternehmen, aber auch einzelne Bürger Millionenbeträge gespendet, um die Ukraine humanitär wie auch militärisch zu unterstützen - und die Initiativen brechen nicht ab. Hinzu kommen die lautstarken Proteste und Demonstrationen gegen die Regierung, und auch für die Ukraine. Fico polarisiert fleißig weiter, und mobilisiert dadurch einen großen Teil der Gesellschaft, der Ukraine erst recht zu helfen. Und sollte Ficos Regierung durch vorgezogene Neuwahlen scheitern, könnte eine zukünftige Regierung einen völlig anderen Kurs wählen, Richtung Europa, Demokratie und Ukraine. Es ist also nicht alle Hoffnung verloren für die Slowakei.

Der Autor: Tomislav Delinić leitet seit September 2020 die Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tschechien und der Slowakei.

Quelle: ntv.de

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