Politik

Das Problem Irland "Ich erwarte, dass der Brexit-Deal scheitert"

Noch immer ist die politische Lage in Irland sehr fragil.

Noch immer ist die politische Lage in Irland sehr fragil.

(Foto: REUTERS)

Der Brexit-Deal könnte am Dienstag vor allem an einem Problem scheitern: der Irlandfrage. Daniela Schwarzer, Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, hält hier eine Lsöung für "schwierig". Im Interview mit n-tv.de warnt sie eindringlich vor einer neuen Grenze in Irland.

n-tv.de: Am Dienstag entscheidet das britische Unterhaus über den Brexit-Deal. Wird Premierministerin Theresa May mit ihrer Vereinbarung durchkommen?

Daniela Schwarzer: Ich erwarte, dass der Deal scheitern wird. Dabei werden die Abgeordneten ihn aus unterschiedlichen Motiven ablehnen. Einige sind insgesamt gegen den EU-Austritt. Manche von ihnen hoffen auf ein zweites Referendum, wenn der harte Brexit die einzige Alternative ist. Für andere wiederum spielt die Irland-Problematik eine große Rolle.

Was ist das Problem mit Irland?

Die Lage dort ist politisch sehr fragil. Nach vier konfliktreichen Jahrhunderten kehrte 1998 mit dem Karfreitagsabkommen im Konflikt zwischen Nordirland und der Republik Irland erstmals Ruhe ein. Seit 20 Jahren entwickelte sich die Situation in geordneten Bahnen. Wenn man mit Iren spricht, wird deutlich, dass sie jedes Anzeichen einer Grenze mit Grenzposten, Schranken und Zäunen als möglichen Auslöser für neue Gewalt sehen.

Zu anderen Ländern gibt es doch auch Grenzkontrollen, ohne dass es zu Unruhen kommt.

In Irland besteht eine völlig andere Situation als beispielsweise zwischen benachbarten EU-Staaten, die seit Jahrhunderten souveräne Nationalstaaten sind. Die Geschichte des anhaltenden Konflikts um Nordirland macht die Lage besonders gefährlich: Jahrzehntelang war die Region von Gewalt geprägt, unter anderem durch Terrororganisationen. Schon jetzt zeigt sich, wie sich der Ton, in dem über die jeweils andere Seite gesprochen wird, verschärft und damit auch die Sorge wächst, dass der Konflikt wieder aufbrechen könnte.

Nordirlands Hauptstadt Belfast ist noch immer von Mauern durchzogen. Ist denn die Lage seit dem Karfreitagsabkommen völlig befriedet?

Daniela Schwarzer ist Direktorin der DGAP und sitzt unter anderem im Beirat des European Council on Foreign Relations.

Daniela Schwarzer ist Direktorin der DGAP und sitzt unter anderem im Beirat des European Council on Foreign Relations.

(Foto: DGAP)

Es ist mit wenigen Ausnahmen gelungen, die Lage zu stabilisieren und den politischen Dialog voranzubringen. Natürlich gibt es immer noch Gruppen, die sagen, dass die Verteilung des Territoriums und die Grenzziehung so nicht akzeptabel sind. Aber sie verleihen dieser Position nicht mehr mit Gewalt Ausdruck. Das ist zum einen durch das politische Abkommen und den Friedensprozess gelungen, zum anderen natürlich auch durch das Zusammenwachsen des grenzüberschreitenden Lebens im Alltag. Die Iren nehmen die Grenze heute gar nicht mehr wahr, weil sie sich frei bewegen können. Sie brauchen nicht unterschiedliche Simkarten, unterschiedliches Bargeld, sie können Kinder auf der einen oder anderen Seite auf die Schule schicken, Unternehmen können grenzüberschreitend Geschäfte machen. Die Grenze wirkt sich inzwischen im Alltag der Menschen immer weniger aus.

Könnte die EU Großbritannien nicht entgegenkommen und auf Grenzkontrollen weitgehend verzichten?

Es wird versucht, über technische Innovationen Grenzkontrollen zu ermöglichen, die man nicht sieht und spürt. Grundsätzlich kann man auf Kontrollen aber nicht verzichten, denn die Grenze der Republik Irland zu Nordirland wird nach dem Brexit eine EU-Außengrenze sein. Wenn die Briten etwa Handelsabkommen schließen und Zölle einführen, dann müssen sie die Grenzen auch kontrollieren. Sonst gäbe es ja eine Hintertür und durch die Republik Irland könnten Sachen nach Nordirland eingeführt werden, die dann auf britischem Territorium landen, ohne kontrolliert oder verzollt worden zu sein. Großbritannien will die EU verlassen - und wird damit eben wieder Außengrenzen haben.

Doch die EU will die Außengrenze woanders ziehen als Großbritannien?

Kommt es zum Brexit-Deal und dem sogenannten Backstop, auf den die EU drängt, wird in der Übergangsphase die EU-Außengrenze zunächst um Nordirland herumführen. Das gilt zumindest bis zum Abschluss eines Freihandelsabkommens mit Brüssel. Das heißt: Auf der irischen Insel würde die Grenze weiterhin offen und Nordirland damit quasi zunächst in der EU bleiben.

Das sehen aber viele Briten als Einschränkung ihrer Souveränität.

Das sind letztlich diejenigen, die sehr harte Positionen vertreten. Sie lehnen über den Friedensprozess hinaus jede weitere Annäherung zwischen Nordirland und der Republik Irland ab und wollen, dass Nordirland weiterhin zum Vereinigten Königreich gehört. Sie fürchten den Zerfall des Vereinigten Königreichs, etwa indem die Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland und in Wales Auftrieb erhalten könnten. Deshalb sind die Sensibilitäten groß. Am Fall von Nordirland kristallisieren sich Sorgen, die über die Region hinausgehen.

Ist diese Sorge vor einer Abspaltung Nordirlands berechtigt?

Im Moment erwarte ich nicht, dass Nordirland schnell eine Abspaltung anstreben könnte. Aber das könnte sich ändern, wenn die Grenzziehung zwischen dem Norden und der Republik Irland von allen Seiten als unvorteilhaft angesehen wird. Wenn der Alltag für die Menschen und die Wirtschaft plötzlich komplizierter und teurer wird, etwa weil Nordirland Waren übers Meer liefern muss, da sich die Bedingungen der Handelsbeziehungen mit der Republik Irland geändert haben. Oder wenn plötzlich vor der Haustür eine spürbare Grenze verläuft, wenn Kinder sich nicht mehr frei bewegen können, wenn Menschen das Gesundheitssystem wechseln müssen.

Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, die Irlandfrage zu lösen?

Das ist schwierig und in der Tat einer der Knackpunkte des Brexits geworden. Die Geographie lässt sich nicht ändern. Hinzu kommen die politische Fragilität und die Geschichte des Konflikts sowie die großen Verluste, die beide Seiten über die Zeit in dieser Auseinandersetzung hinnehmen mussten. Das Karfreitagsabkommen war eine politische Lösung für einen gewaltsam ausgetragenen Konflikt. Es ist aber nicht unbedingt haltbar, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Für Irland bedeutet der Brexit ein Risiko in vielen Hinsichten.

Mit Daniela Schwarzer sprach Gudula Hörr

Quelle: ntv.de

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