
Die Drittimpfung ist nicht in aller Munde, und auch nicht in aller Oberarme. Ob sich das ändern wird?
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Die Infektionszahlen steigen wieder, meist ungeimpfte Patienten füllen die Intensivstationen. Doch auch Geimpfte landen dort - trotz Immunisierung. Die Booster könnten die Welle brechen. Aber tut die Politik genug dafür?
Eine Überraschung ist es nicht, dass sich nun eine vierte Welle der Corona-Infektionen auftürmt. Wissenschaftler haben schon lange davor gewarnt und im vergangenen Jahr konnte jeder beobachten, dass zum Winter hin die Zahlen steigen. Doch nun haben wir ja den Impfstoff, dachten viele, da wird es so schlimm schon nicht werden. Dass das zu einfach gedacht war, zeigen die zahlreichen Impfdurchbrüche. Wie der Hallenser Virologe Alexander Kekulé ntv.de sagte, liegt die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe gegenüber der Delta-Variante des Coronavirus nur bei 50 bis 70 Prozent. Demnach ist es zu erwarten, dass sich von 100 Geimpften 30 bis 50 Menschen dennoch anstecken.
Daher wird nun so viel über die Drittimpfungen geredet. Sie würden den Impfschutz der Bevölkerung insgesamt erhöhen und könnten helfen, die Welle zu brechen - darauf deuten Erfahrungen aus Israel hin. Gerade bei älteren Patienten lässt der Impfschutz mit der Zeit nach. Ob eine Auffrischung für alle notwendig ist, sei dahingestellt. Virologe Hendrick Streeck meint beispielsweise, die Jüngeren seien auch mit zwei Impfdosen ausreichend geschützt. Sachsen hat dagegen an diesem Freitag die Drittimpfung für alle über 18 empfohlen, Thüringen setzte noch eins drauf und gab sie ohne Altersbeschränkung frei. Einigkeit besteht darin, dass Ältere und Risikopatienten die Drittimpfung bekommen sollten. Die Frage dabei: Tut die Politik genug, um dafür zu sorgen? Oder überlässt sie es zu sehr dem Einzelnen, sich zu kümmern?
Was ist beispielsweise mit den Senioren, die den Schutz am dringendsten benötigen, aber vermutlich am wenigsten in der Lage sind, sich selbst zu helfen? Seit Ende September wurden die meisten Impfzentren geschlossen und die Haus- und Betriebsärzte tragen die Hauptlast der Impfungen. Hinzu kommen in den Bundesländern mobile Impfteams, die wie im vergangenen Winter auch in Alten- und Pflegeheime gehen, um den Bewohnern eine erneute Spritze zu geben. Insgesamt sind so seit Ende September gut 1,9 Millionen Drittimpfungen verabreicht worden. Die "Bild"-Zeitung rechnete am Donnerstag vor, dass Belgien, Frankreich, Österreich und andere da schon viel weiter seien. Der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Roland Stahl, sagte ntv.de, es gebe ausreichend Impfstoff und Termine.
Es tut sich etwas, aber reicht das?
Die Initiative liegt dabei aber oftmals bei den Menschen selbst. Man stelle sich etwa einen fiktiven Opa Hermann vor. Er lebt, sagen wir mit 85 Jahren, in seiner eigenen Wohnung. Die Frage ist hier, ob man einfach davon ausgehen kann, dass Menschen wie er es noch hinbekommen, sich um einen dritten Termin zu kümmern? Hat er Enkel und Kinder, können diese helfen. Und wenn nicht? Ist er meist auf sich selbst angewiesen.
Es ist nicht so, dass gar nichts passierte. Der Gesundheitsminister Nordrhein-Westfalens, Karl-Josef Laumann, hat angekündigt, bei den 2,8 Millionen Über-70-Jährigen in NRW per Brief für die Booster-Impfung zu werben. Sein baden-württembergischer Amtskollege Manne Lucha rief die Ärzte dazu auf, selbst auf die Patienten zuzugehen und stellte die Aktivierung von 50 mobilen Impfteams in Aussicht.
Alten- und Pflegeheime werden hingegen vielerorts durch mobile Impfteams betreut. So teilte das bayerische Gesundheitsministerium auf ntv.de-Anfrage mit, es seien dort bereits rund 46.700 Auffrischungsimpfungen verabreicht worden. Ähnlich verfahren die anderen Bundesländer. In NRW haben Laumann zufolge schon 90 Prozent der Heimbewohner eine Auffrischungsimpfung erhalten. Ziel dabei ist es, das Fiasko des vergangenen Winters nicht zu wiederholen, als es nicht gelang, die vulnerablen Gruppen, eben insbesondere die Senioren in Heimen, zu schützen. Der große Unterschied ist natürlich, dass es im November und Dezember 2020 noch keine Impfstoffe gab.
Der Deutschen Stiftung Patientenschutz ist das aber nicht genug. Vorstand Eugen Brysch zufolge fehlt ein Schutzkonzept für die 900.000 Pflegeheimbewohner in Deutschland. Ebenso hält er einen Corona-Rettungsschirm für die eine Million Pflegebedürftigen daheim für notwendig. Auch verbindliche Tests seien nun wieder notwendig, teilte er ntv.de mit. Ansonsten drohe ein Desaster.
Was macht eigentlich die Bundesregierung?
Die Pandemiebekämpfung findet aktuell wieder im Wesentlichen auf Landesebene statt. Formal hatten die Länder sowieso immer das letzte Wort für ihr Staatsgebiet, doch gibt es nun kaum noch eine Abstimmung auf Bundesebene. Gesundheitsminister Spahn wirbt mal hier, mal da für Booster-Impfungen, aber sonst kommt aus seinem Haus nicht viel. Das sah Anfang des Jahres noch ganz anders aus, als die Impfkampagne mit großer Euphorie startete. Vom Gesundheitsministerium hieß es auf Anfrage von ntv.de: "Die Auffrischimpfungen haben wir wiederholt in der Impfkampagne beworben und werden das auch weiter tun. Geplant sind dazu unter anderem Anzeigen und Spots in Print, TV und Radio sowie Botschaften in den sozialen Medien."
Dass die Länder das Sagen haben, gibt ihnen die Möglichkeit, maßgeschneidert auf die Lage vor Ort zu reagieren. Doch zugleich droht immer auch ein Flickenteppich, ein Durcheinander der Landesregelungen. Den gibt es durch die neuen Freigaben in Sachsen und Thüringen bei der Booster-Impfungen schon jetzt. Eine neue Ministerpräsidentenkonferenz ist aber nicht in Sicht. Kanzleramtsminister Helge Braun sagte im Frühstart bei ntv, die Initiative dazu müsste von den Ländern ausgehen. Von der Bundesregierung ist offenbar keine mehr zu erwarten. Die ist ja auch nur noch kommissarisch im Amt, könnte man sagen. Das Virus allerdings leider nicht.
Quelle: ntv.de