Die Lage an der Corona-Front verschärft sich, Infektionszahlen und Hospitalisierungen steigen wieder. Da stellt sich die Frage, was die Regierung dagegen zu tun gedenkt. Doch Gesundheitsminister Spahn sendet widersprüchliche Signale.
Seit knapp zwei Wochen plädiert Gesundheitsminister Jens Spahn für die Aufhebung der epidemischen Lage nationaler Tragweite. Damit wäre die Pandemie zwar nicht beendet, aber "der Ausnahmezustand, vom Bundestag festgestellt, der kann aus meiner Sicht beendet werden, weil vier von fünf Erwachsenen geimpft sind", sagte der CDU-Politiker Sonntagabend im ZDF. Womit er die Zahlen etwas schönte, weil er Kinder und Jugendliche außen vor ließ. Über die tatsächliche Zahl der Geimpften kann man streiten, nicht aber über Infektionszahlen. Sie steigen sprunghaft an. Auch die Intensivbetten füllen sich wieder - und es droht erneut ein Engpass.
Keine fünf Tage nachdem er für ein Ende des Ausnahmezustands plädiert hat, fordert Spahn, die "Schutzkonzepte" wieder zu verstärken. Bei genauer Betrachtung schließt das eine das andere zwar nicht aus. Aber zur Klarheit tragen solche Botschaften nicht bei. Wer kommt da noch mit? Dem Unmut darüber verlieh Uwe Janssens vom Intensivregister DIVI bei ntv Ausdruck, als er sagte, man sei "ein bisschen unglücklich darüber, dass falsche Signale gesendet werden, wie etwa 'Ende der pandemischen Lage' oder 'Wir sind gut durchgeimpft'". Am Beginn der vierten Welle stellen sich viele Fragen und der Gesundheitsminister trägt nicht gerade zur Klarheit bei.
Wer soll sich denn nun boostern?
So auch beim Thema Booster-Impfungen. Der Ständige Impfkommission (STIKO) hat am 7. Oktober Auffrischungsimpfungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen empfohlen. Personen über 70 Jahre, Menschen, die mit Johnson & Johnson oder Astrazeneca geimpft wurden, und Leute, die im Gesundheitswesen tätig sind, sollen jetzt eine Boosterimpfung erhalten. Nächste Woche will sich Spahn mit den Gesundheitsministern der Länder treffen und sie auffordern, Impfeinladungen an alle über 70-Jährigen zu verschicken.
Doch bei den über 70-Jährigen soll es auf einmal doch nicht bleiben. Spahn selbst wirbt für die dritte Impfung und lässt sich booster-impfen - wegen seiner Astra-Impfung fällt er unter die STIKO-Empfehlung. "Ich werbe dafür, dass viele andere das auch tun", erklärte der CDU-Politiker auf Twitter. "Boostern (verstärken) Sie Ihren Impfschutz für den Winter." Im RBB erklärt Spahn dann anhand von Daten aus Israel, wie die Auffrischungsimpfung eine Welle brechen kann. Und ermutigt plötzlich: "Jeder, der sich boostern lässt, tut auch was dafür, dass wir sicher durch den Winter kommen." Damit seien auch diejenigen gemeint, die in der Empfehlung nicht erwähnt werden, sagt Spahn.
Testen oder nicht zu testen, das ist hier die Frage
Auch die Teststrategie ist erratisch. Erst stellt die Bundesregierung die kostenlosen Tests Anfang Oktober ein. Geimpfte müssten sich nicht mehr testen lassen - und die Gesamtbevölkerung solle nicht mehr die Kosten für Ungeimpfte tragen. Doch an diesem Freitag sagte Spahn dem RBB: "Ich werbe bei den Ländern sehr dafür, dass endlich wieder alle Länder Testkonzepte verpflichtend machen für Pflegeeinrichtungen". Müssen Geimpfte dann für Tests zahlen, um ihre Angehörigen in Pflegeeinrichtungen besuchen zu dürfen? Oder sollte die Regelung, die seit weniger als einem Monat in Kraft ist, bereits wieder aufgehoben werden? Hätte man das nicht kommen sehen können?
Wieder einmal sieht es so aus, als ob die Bundesregierung vom Verlauf der Pandemie überrascht wird. Obwohl man damit rechnen konnte, dass es wieder mehr Infektionen geben würde. Obwohl man sich darauf vorbereiten musste, dass die Impfbereitschaft nicht mehr steigt und Booster-Impfungen nötig werden würden. Und obwohl man erwarten durfte, dass es eine beachtliche Zahl an Impfdurchbrüchen geben würde. Die Regierung scheint auf die Schnelle einen Plan B ausarbeiten zu wollen - man weiß nur noch nicht so recht welchen eigentlich.
Quelle: ntv.de