Südosten dunkelrot Wo sind Deutschlands Corona-Hotspots?
29.10.2021, 19:30 Uhr
Die Zahl der positiv auf Covid-19 getesteten Menschen steigt in Deutschland rasant an.
(Foto: picture alliance / SVEN SIMON)
Die Corona-Fallzahlen steigen bundesweit, die 7-Tage-Inzidenz verdoppelt sich binnen zwei Wochen. Drei Bundesländer stechen mit Werten über 200 heraus. Regional verzeichnen Gesundheitsämter sogar Inzidenzen über 500 - und extrem fahrlässige Verhaltensweisen.
Die Inzidenzen spielen offiziell in der Pandemiebekämpfung nicht mehr die Hauptrolle, Hospitalisierungen und Intensiv-Belegungen sollen im Vordergrund stehen. Aber trotz der Impfungen bleiben die Fallzahlen der wichtigste Indikator, um Entwicklungen zu erkennen und notfalls früh genug gegensteuern zu können. Die Aussagekraft der bundesweiten Inzidenz hat dabei nur eine geringe Aussagekraft, zu unterschiedlich sind die Situationen zwischen und innerhalb der Bundesländer. ntv.de zeigt, wo die Fallzahlen besonders hoch sind.
Für ganz Deutschland ergibt sich aktuell eine Inzidenz von rund 140, wobei die Kurve seit Mitte Oktober steil nach oben geht und sich der Wert innerhalb von zwei Wochen mehr als verdoppelt hat. Das geht vor allem auf das Konto von drei Bundesländern, deren Inzidenzen bereits deutlich über 200 liegen. In fast allen anderen Ländern außer dem Saarland und Bremen steigen die Fallzahlen aber ebenfalls deutlich.
Thüringen bald über 300
Aktuell meldet Thüringen mit rund 290 Neuinfektionen pro Woche und 100.000 Einwohner die höchste Inzidenz. Die Infektionsrate, die den Anteil der gemeldeten Fälle an der Gesamtbevölkerung anzeigt, ist mit 7,1 Prozent sehr hoch. Bundesweit beträgt sie aktuell 5,45 Prozent. Daher muss damit gerechnet werden, dass der Freistaat schon bald den bisherigen Höchstwert von 353 überschreitet, der am 24. Dezember 2020 gemeldet wurde.
Thüringen hat nach Sachsen die schlechteste Impfquote, nur 62 Prozent der Gesamtbevölkerung haben wenigstens eine Dosis erhalten. Problematisch ist dabei vor allem, dass auch nur knapp 82 Prozent der über 60-Jährigen vollständig geimpft sind. Dem jüngsten RKI-Wochenbericht müssen in dieser Altersgruppe bei ungeimpften Infizierten etwa 12,5 Menschen pro 100.000 Einwohner ins Krankenhaus, bei den Geimpften sind es rund 2,5.
Entsprechend steil ist in Thüringen auch der Anstieg der Corona-Intensivfälle. Am 1. Oktober waren es laut DIVI-Intensivregister 16 Patienten, heute sind es bereits 69. Landesweit sind noch 10,65 Prozent der betreibbaren Intensivbetten frei, was gerade mal 67 sind. Das heißt, in Kürze herrscht dort Alarmstufe Rot, die ab 10 Prozent freien Kapazitäten gilt.
Sachsen hat die höchste Infektionsrate
Der Nachbar-Freistaat Sachsen könnte Thüringen bald überholen, da er mit 8 Prozent die höchste Infektionsrate aller Bundesländer aufweist. Derzeit beträgt die gemeldete Inzidenz dort knapp 254 Neuinfektionen, womit sich die Fallzahlen seit dem 1. Oktober fast vervierfacht haben. Geht es in dem Tempo weiter, droht auch Sachsen noch im November die bisherigen Extremwerte von über 500 Neuinfektionen zu Weihnachten 2020 zu übertreffen. Mit 58,9 Prozent ist die Impfquote nochmal wesentlich niedriger als die Thüringens. Besonders schlecht ist sie auch bei den über 60-Jährigen mit lediglich 78,6 Prozent.
Aktuell sind in Sachsen noch 12,8 Prozent beziehungsweise 170 der betreibbaren Intensivbetten frei. Steigt die Zahl der Covid-19-Patienten auf den Stationen weiter wie zuletzt an, ist der Freistaat aber ebenfalls schon bald im roten Bereich. Die Corona-Intensivfälle haben in Sachsen seit dem 1. Oktober von 41 auf 179 zugelegt.
Um wenigstens die Infektionen bei den Geimpften einzuschränken, empfiehlt die sächsische Impfkommission seit heute Boosterimpfungen für alle über 18-Jährigen. Voraussetzung ist lediglich, dass die Grundimmunisierung mindestens sechs Monate zurückliegt.
Bayern fast auf Pandemie-Höchststand
Nachdem sich in Bayern die Inzidenz nach einem steilen Anstieg bis Mitte September fast vier Wochen knapp unter 100 seitwärts bewegt hatte, explodierten die Fallzahlen am 12. Oktober geradezu. Heute zählte der Freistaat 209 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche.
Obwohl die Infektionsrate mit 6,17 Prozent niedriger als in Sachsen und Thüringen ist, wird der Freistaat vermutlich noch vor Ende der Woche den bisherigen Höchststand von 228 Fällen pro Woche und 100.000 Einwohner am 20. Dezember 2020 knacken. Dabei muss man bedenken, dass vergangenes Weihnachten noch niemand in Deutschland geimpft war. Entsprechend meldet der Freistaat für die ungeimpfte Bevölkerung eine Inzidenz von 451,5. Bei den Geimpften beträgt sie 51.
Die Zahlen sind allerdings nicht ganz vergleichbar, weil dafür die Testhäufigkeit in den beiden Gruppen zusätzlich berücksichtigt werden müsste. Ähnliches gilt für Thüringen und Sachsen, wo die nach Impfstatus differenzierten Inzidenzen 228 und 60 beziehungsweise ungefähr 440 und 40 betragen.
Ungeimpfte deutlich häufiger im Krankenhaus
Aussagekräftiger ist die Auswertung der Krankenhausaufnahmen von Covid-19-Patienten nach Impfstatus - eine Statistik, die Bayern in seinen sehr ausführlichen Covid-19-Kennzahlen ebenfalls aufführt. Demnach beträgt im Freistaat die 7-Tage-Hospitalisierungs-Inzidenz pro 100.000 Einwohner insgesamt 3,5. Bei den Ungeimpften sind es 5,1, bei den Geimpften nur 1,4 Fälle. Thüringen hat ebenfalls eine getrennte Statistik, dort betragen die Hospitalisierungs-Inzidenzen nach Impfstatus 8,3 und 4,3.
In Bayern zogen die Covid-19-Fälle auf den Intensivstationen bereits im August kräftig an. Vorübergehend entspannte sich die Lage im September etwas, seit Anfang des Monats steigt die Zahl der Corona-Intensivpatienten aber wieder steil an. Am 6. Oktober waren es noch 246 Fälle, heute bereits 385.
Deshalb ist der Freistaat mit 9,98 Prozent beziehungsweise 309 freien betreibbaren Intensivbetten auch aktuell das größte von insgesamt fünf Bundesländern, das im roten Bereich liegt. Geht der Anstieg unverändert weiter, wären in rund einem Monat die allgemeinen Kapazitäten komplett erschöpft.
Fast alle regionalen Hotspots in Bayern
Obwohl Bayern als Bundesland nicht die höchsten Fallzahlen hat, finden sich dort die fünf Landkreise mit den höchsten Inzidenzen. Insgesamt befinden sich in Bayern acht der Top-10-Hotspots. Sie alle liegen im Südosten des Freistaats. Auch im Westen an der Grenze zu Baden-Württemberg reihen sich etliche Kreise mit Werten über 250 auf, der Norden Bayerns hat trotz der Nachbarschaft zu Thüringen und Sachsen bisher vergleichsweise durchschnittliche Fallzahlen.
Die mit großem Abstand höchste Inzidenz aller deutschen Kreise hat aktuell Mühldorf am Inn mit 645 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Der Bürgermeister der Stadt Mühldorf, Michael Hetzl, sagte dem "Tagesspiegel", er könne sich den hohen Wert nicht erklären. Die Rückverfolgung funktioniere, man habe aber bis auf einen Fall mit 100 Infektionen keine größeren Ausbrüche feststellen können.
Das Virus zirkuliere in der breiten Masse, sagt Hetzl. Impfen sei das Einzige, was den hohen Fallzahlen entgegenwirken könne. Man tue alles, um die Bevölkerung davon zu überzeugen. "Es ist traurig, dass sich viele momentan nicht überzeugen lassen von einer Impfung."
Inzidenzen der Kinder extrem hoch
Wie überall in der Region sind in Mühldorf vor allem die Inzidenzen der Jüngeren teils extrem hoch. Bei den 0- bis 14-Jährigen liegt sie dort nahe 900, im Berchtesgadener Land sogar über 1000. Ähnlich hoch ist der Wert der 15- bis 34-Jährigen mit rund 850 Neuinfektionen, bei den 35- bis 59-Jährigen entspricht sie in etwa der Kreis-Inzidenz.
Der Landkreis Miesbach meldet aktuell 567 Neuinfektionen, am 7. Oktober waren es noch unter 150. Der örtliche Pandemie-Koordinator hat für den explosiven Anstieg eine Erklärung, die möglicherweise für die ganze Region, aber auch andere deutsche Kreise zutreffend sein könnte.
Corona-Partys statt Test oder Impfung?
Einige veranstalteten "Partys bei Corona-Positiven, um sich zu infizieren und danach sechs Monate als genesen zu gelten, um keine Tests machen zu müssen", sagte Florian Meier dem "Merkur". Dies sei bei jungen Leuten derzeit eine große Masche, um sich 80 Euro für einen PCR-Test zu sparen, der zum Ausgehen nötig sei. Er habe das aus mehreren verlässlichen Quellen erfahren.
Warum sie sich stattdessen nicht einfach impfen lassen, weiß der Miesbacher Pandemie-Koordinator nicht. Die Corona-Partys passten jedenfalls ins Gesamtbild. Es gäbe keine Ausbrüche in Heimen oder große Cluster nach Disco-Nächten, so Meier. "Wenn man sich dann das Alter anschaut, in dem wir viele Infektionen haben, dann sind das junge Menschen, die abends weggehen wollen. Beides zusammen zeichnet ein klares Bild."
Zu den Corona-Partys hat der Landkreis "keine Kenntnis von konkreten Fällen", nennt aber in einer Pressemitteilung mögliche Gründe für die enormen Fallzahlen. Dazu gehören unter anderem das Ende der Sommerferien mit infizierten Reiserückkehrern und zu kurze Quarantäne von asymptomatischen Kontaktpersonen. Außerdem sei die Impfquote in den benachbarten Kreisen 10 Prozent niedriger als in Miesbach und viele Bürger verhielten sich zu sorglos.
Fast alle Haushaltsmitglieder infizieren sich
Schulen trügen nur aufgrund des hohen Testaufkommens zu der hohen Inzidenz bei, seien aber keine Infektionstreiber, schreibt das Gesundheitsamt. Dort gäbe es so gut wie keine Übertragungen, "sondern fast ausschließlich bei privaten Treffen von Schülern".
Problematisch dabei ist, dass "sich inzwischen bis auf handverlesene Ausnahmen alle Familien-/Haushaltsmitglieder infizieren, wenn ein Mitglied positiv getestet wurde. Bisher haben sich im Schnitt etwa zwei Drittel der Familien-/Haushaltsmitglieder angesteckt. Bei ungeimpften Familien liegt die Ansteckungsrate bei 100 Prozent", so das Miesbacher Gesundheitsamt.
Der Landkreis Traunstein hat mit 548 Neuinfektionen pro sieben Tage und 100.000 Einwohner die dritthöchste Inzidenz. Erklärungen dafür wie in Mühldorf oder Miesbach gibt es bisher nicht, die Gründe dürften innerhalb der Region aber weitgehend identisch sein. Traunstein hat daher heute zusammen mit den benachbarten Kreisen beschlossen, wieder FFP2-Masken vorzuschreiben, wo bisher medizinische Masken ausreichten. Außerdem gilt in Clubs, Diskotheken und "vergleichbaren Lokalitäten" ab sofort die 2G-Regel, es haben also nur noch Geimpfte oder Genesene Zutritt. Dazu soll es verstärkte Kontrollen geben.
Intensiv-Kapazitäten erschöpft
Ob das ausreicht, bleibt abzuwarten, reagieren muss die Region südöstlich von München. "Die aktuell stark steigenden Krankenhauszahlen lassen uns leider keine andere Wahl, die Belastung der Mitarbeiter in den Kliniken ist enorm", schreibt Traunsteins Landrat Siegfried Walch. In Miesbach sind aktuell noch zwei betreibbare Intensivbetten frei, in Traunstein eins, in Mühldorf keines mehr. Auch im Berchtesgadener Land, Erding, Freising und der Stadt Rosenheim sind die Kapazitäten erschöpft, in anderen Kreisen rund um München sieht es nicht besser aus.
Quelle: ntv.de