Politik

Jan Korte im Interview "Das ist eine historische Niederlage der Linken"

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Jan Korte war von 2017 bis zum 7. November 2023 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion und ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dem Deutschen Bundestag gehört er seit 2005 an.

Jan Korte war von 2017 bis zum 7. November 2023 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion und ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dem Deutschen Bundestag gehört er seit 2005 an.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Die Entscheidung der Linksfraktion, sich zum 6. Dezember aufzulösen, ist für den langjährigen Fraktionsmanager Jan Korte ein Grund zur Trauer. Aber: "Zumindest haben wir jetzt einen latenten Dauerkonflikt geklärt." Für die Linke müsse nun alles anders werden. "Animositäten und Feindschaften gibt es in jeder Partei und in allen Fraktionen. Der Unterschied bei uns ist die persönliche Unerbittlichkeit und diese seltsame Untergangssehnsucht", sagt er im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Sie waren bis vor Kurzem Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion. Sind Sie froh, dass Sie die Auflösung der Fraktion nicht managen müssen?

Zusammen mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten hat Sahra Wagenknecht die Linke verlassen. Die restlichen 28 Linken-Abgeordneten sind zu wenig für eine Fraktion. Deshalb wird es bald eine Fraktion weniger im Bundestag, dafür zwei neue Gruppen geben.

Zusammen mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten hat Sahra Wagenknecht die Linke verlassen. Die restlichen 28 Linken-Abgeordneten sind zu wenig für eine Fraktion. Deshalb wird es bald eine Fraktion weniger im Bundestag, dafür zwei neue Gruppen geben.

(Foto: picture alliance / photothek)

Jan Korte: Froh ist da nun wirklich die ganz falsche Kategorie, denn zunächst einmal ist das heute ein sehr trauriger Tag. Erstens politisch: Wir haben eine irre Rechtsentwicklung in diesem Land, und ausgerechnet die einzige linke Oppositionsfraktion muss ihre Liquidation beschließen. Und zweitens ist es auch persönlich für mich ein trauriger Tag, weil diese Fraktion, der ich seit fast 18 Jahren angehöre, ein großes Stück meines Lebens gewesen ist.

Mal abgesehen davon, dass die Linke ihren Fraktionsstatus verliert: Was wird anders sein für die Linke im Bundestag, wenn Sahra Wagenknecht und ihre Anhänger nicht mehr dabei sind?

Dass wir keine Fraktion mehr sind, bedeutet weniger Mittel und weniger Personal, weniger Rechte im Bundestag, um Opposition zu gestalten. Das ist ein herber Einschnitt. Für zentral halte ich, dass bei uns alles anders werden muss. Die neue Gruppe muss versuchen, aus dieser historischen Niederlage der Linken einen Aufbruch zu machen. Wir brauchen eine neue Sprache, eine neue Art der Kommunikation, ein konsensuale Personalfindung. Wir müssen diese abartige Kultur beenden, auf Twitter übereinander zu reden. Wenn ein normaler Mensch sieht, wie wir da übereinander herziehen, da sagt der: Ich möchte mit solchen Leuten nichts zu tun haben, und wählen tue ich die schon gar nicht. Wenn wir das nicht radikal ändern, dann wird es für die Linke keine Zukunft geben. Ich glaube aber, dass die restlichen 28 im Bundestag und auch alle anderen in der Partei das verstanden haben.

Kann es sein, dass es auch einfacher wird, ohne die anderen zehn?

Zumindest haben wir jetzt einen latenten Dauerkonflikt geklärt. Aber es ist ja nicht nur eine Solospielerin gegangen, sondern auch neun andere. Das ist etwas, worüber man nachdenken sollte. Aber um das deutlich zu sagen, es sind diese zehn, die die Fraktion zerstört haben. Für uns als Partei bedeutet das, dass wir ein paar strategische Grundsatzfragen klären müssen: Für wen sind wir gegründet worden? Welche Sprache wollen wir sprechen? Wie gehen wir mit der Ampel um? Wie sieht eine moderne, kampfstarke linke Oppositionspolitik aus? Wie gehen wir damit um, dass unsere Mitgliederstruktur sich verändert? In den großen Städten kommen viele tolle junge Leute in die Partei, andernorts dünnt sich die Mitgliedschaft aus. Wie bei mir im Wahlkreis, in Bitterfeld, Köthen und Bernburg. Die Menschen dort haben ganz andere Probleme.

Und in welche Richtung könnte das gehen?

Das liegt auf der Hand, was unsere Aufgabe ist: Wir müssen mit jungen Leuten für die soziale Frage beim Klimaschutz streiten. Wir müssen denjenigen ein Angebot machen, die diese Barbarisierung in der Flüchtlingspolitik nicht mitmachen wollen, und denjenigen, denen ein Schauer über den Rücken läuft, wenn ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister Kriegstüchtigkeit fordert. Wir müssen Politik machen für die, die ausgebeutet werden, die am Wochenende bei Aldi vorm Kühlregal stehen und überlegen, ob sie Butter nehmen können oder doch lieber die billigere Margarine, weil sie sonst nicht durch den Monat kommen. Wir brauchen gewerkschaftliche Verankerung, Verankerung in den Betrieben genauso wie in der Klimabewegung oder in der Flüchtlingsarbeit. Kurz und präzise: Wir machen Politik für alle, die mies und demütigend behandelt werden. Das ist unsere Aufgabe.

Aber was, wenn Wagenknecht auf der taktischen Ebene recht hat und die Zielgruppen, für die Sie Politik machen wollen, nicht zusammenpassen? Denn da gibt es ja auch noch die linke Veganerin, die auf keinen Fall Butter nehmen würde.

Wissen Sie, das ist mir schnurzpiepegal. Ob sich jemand vegan ernährt oder wie ich Bock hat, in der Kantine eine schöne Thüringer Bratwurst zu essen, das interessiert mich nicht. Was mich interessiert, ist, dass wir wieder einen klaren Klassenkompass haben. Sahra Wagenknecht hat einige Probleme in der Geschichte der Linken richtig beschrieben. Und dann zieht sie daraus die Schlussfolgerung, im Osten mit der CDU zu koalieren? Darauf muss man erst mal kommen. Und wie sie über Migranten spricht - da bin ich raus. Das hat nichts mit links zu tun. Wer die Schwachen gegen die Allerschwächsten ausspielt, betreibt das Geschäft der Herrschenden, um es mal klassisch auszudrücken.

Sahra Wagenknecht spekuliert zwar schon über Koalitionen mit der CDU, aber früher stand sie einer Zusammenarbeit mit SPD und Grünen eher skeptisch gegenüber. Kann es sein, dass eine Linke ohne die Wagenknecht-Gruppe bündnisfähiger ist als die Linke mit Wagenknecht?

Weiß ich nicht. Ich definiere mich nicht über die neue Wagenknecht-Partei. Das hat ja einen Grad an Personenkult erreicht... Keine Ahnung, ob die, die da mitmachen, im Wohnzimmer mittlerweile einen Schrein stehen haben, mit Räucherstäbchen vor dem Sahra-Bild. Das ist nicht mein Politikansatz. Ich definiere mich als Linker über eine Programmatik, die im Zweifel immer auf der Seite der Schwachen, der Ausgegrenzten, der Ausgebeuteten steht und diese niemals gegeneinander ausspielt. Das bedeutet vor allem, dass ich Internationalist bin.

Heißt konkret?

Ich fighte genauso für die Ausgebeuteten in den Textilfabriken in Bangladesch und fühle mit diesen Menschen genauso, wie ich für die Verkäuferin bei KiK oder im Supermarkt kämpfe und mitfühle. Ein Teil davon fehlt bei Wagenknecht.

Sie haben schon darüber gesprochen, dass es in der Fraktion erhebliche atmosphärische Schwierigkeiten gab. War die Spaltung eher atmosphärisch oder eher inhaltlich getrieben?

Ich glaube, das ist eine Mischung. Aber Animositäten und Feindschaften gibt es in jeder Partei und in allen Fraktionen. Der Unterschied bei uns ist die persönliche Unerbittlichkeit und diese seltsame Untergangssehnsucht. Keine Ahnung, ob da ein paar Leute zu viel Wagner gehört haben. Dass man seine Streitigkeiten in dieser Art öffentlich austrägt, das gibt es in keiner anderen Partei. Wenn wir wieder auf die Beine kommen wollen, dann muss diese Unkultur gestoppt werden.

Sind bei den zehn Leuten auch welche dabei, von denen Sie sagen: gut, dass sie weg sind?

Da sind vor allem einige dabei, von denen ich sehr bedaure, dass sie gehen, mit denen ich auch viele Jahre eng zusammengearbeitet habe. Da bedaure ich sehr, dass sie diesen Weg gegangen sind. Na ja, und es gibt natürlich auch welche, die ich politisch schon immer für schwierig gehalten habe und die nicht unbedingt zum Wahlerfolg von Linken beigetragen haben und auch nicht in anderen Parteien beitragen werden.

Sahra Wagenknecht hat die Linke früher in den Talkshows vertreten und die Hallen gefüllt. Wer kann oder soll das künftig machen?

Um es klassisch links zu formulieren: Die Kraft muss jetzt aus dem Kollektiv kommen. Wir müssen gucken, wer welche Fähigkeiten hat, wer wen ansprechen kann, wer rhetorische Qualitäten hat, wer gute Strategien entwickeln, wer gut schreiben kann. Und wir haben sehr gute Leute. Nehmen Sie Sebastian Walter, den Fraktionschef und Spitzenkandidaten in Brandenburg. Das ist ein hervorragender Typ, geachtet und rhetorisch brillant. In Berlin, wo wir lange Jahre regiert haben, gibt es Leute wie Klaus Lederer. In Sachsen-Anhalt Eva von Angern, in Bremen unsere Senatorin Kristina Vogt, in Thüringen unser Ministerpräsident Bodo Ramelow - beliebter kann man in der Landespolitik nicht sein. In Sachsen haben wir mit Susanne Schaper und Stefan Hartmann super Spitzenkandidaten. Und auch hier im Bundestag haben wir gute Leute. Das müssen wir jetzt nutzen und systematisieren. Im Übrigen haben wir immer noch unsere Geheimwaffe: Gregor Gysi.

Sie haben mit einem Journalisten der taz um einen Kasten Bier gewettet, dass Sahra Wagenknecht keine neue Partei gründen wird. Haben Sie die Wettschulden schon eingelöst oder warten Sie bis zum Gründungsparteitag?

Eingelöst noch nicht, aber dass ich verloren habe, ist offensichtlich. Der Kasten Bier wird leer getrunken.

Mit Jan Korte sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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