Nur 13.435 Stimmen fehlen Kann sich das BSW noch über die Fünf-Prozent-Hürde hieven?


Das BSW verpasst den Einzug in den Bundestag um 0,028 Prozentpunkte. In der Partei scheint die Hoffnung noch zu lodern. Aber woher sollen die fehlenden Stimmen kommen? Parteigründerin Wagenknecht erhebt Vorwürfe gegen Wahlverfahren und Umfrageinstitute.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat den Einzug in den Bundestag um Kleinstadt-Breite verpasst. Knapp zweieinhalb Millionen Stimmen brachten der Partei 4,972 Prozent ein. Zu wenig für den Bundestag. 0,028 Prozentpunkte oder 13.435 Stimmen zu wenig. Eine Kleinstadt zu wenig.
Verständlich, dass sich das BSW nicht mit diesem Ergebnis zufriedengeben mag. Zum ersten Mal wäre einer Partei im ersten Anlauf der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geglückt. Noch in der Wahlnacht schrieb Fabio De Masi auf X: "Ich fürchte, diese Wahl wird Karlsruhe noch beschäftigen." De Masis Vorwurf: Viele der rund 230.000 registrierten Auslandsdeutschen seien an der Wahl gehindert worden. De Masis Rechnung: Die dem BSW fehlenden Stimmen entsprächen rund sechs Prozent dieser Gruppe.
Parteigründerin Sahra Wagenknecht schlug am Vormittag auf der Bundespressekonferenz in dieselbe Kerbe: Bei einer flächendeckenden Wahl der Auslandsdeutschen wäre es durchaus möglich gewesen, die fehlenden Stimmen zu erreichen. "Das ist nicht von der Hand zu weisen", so Wagenknecht. Es stelle sich die Frage nach dem rechtlichen Bestand des Ergebnisses.
BSW bräuchte mindestens elf Prozent im Ausland
Tatsächlich hatte das Auswärtige Amt vergangene Woche gemeldet, bis zum Donnerstagabend seien erst 9000 Wahlunterlagen aus dem Ausland eingetroffen. Wesentlich mehr dürften es auch bis zum Sonntag nicht geworden sein: Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, am Vorwahlabend seien per Kurier rund 11.200 Wahlunterlagen eingegangen und wie vorgesehen an die Deutsche Post übergeben worden.
Doch ob die Stimmen der Auslandsdeutschen das BSW über die Fünf-Prozent-Hürde hieven können, ist mindestens fraglich. Denn Wagenknecht und De Masi machen es sich zu einfach: Sechs Prozent der auslandsdeutschen Stimmen entsprechen wirklich den 13.435 Stimmen, die dem BSW fehlen. Diese Stimmen aber müsste das BSW zusätzlich gewinnen. Zusätzlich zu den knapp fünf Prozent, die das BSW bei der Bundestagswahl bereits erreicht hat.
Das bedeutet: Wenn keine einzige Stimme aus dem Ausland rechtzeitig angekommen wäre, bräuchte das BSW dort ein Ergebnis von mindestens elf Prozent. Je mehr auslandsdeutsche Stimmen bereits gezählt wurden, desto besser müsste das BSW unter den verbleibenden abschneiden, um noch über die fünf Prozent zu kommen.
"Gibt keinen Anspruch auf Briefwahl"
All diese Rechenspiele sind ohnehin hinfällig, vertraut man der Einschätzung von Sophie Schönberger. Sie ist Parteienrechtlerin an der Universität Düsseldorf und erklärt auf Anfrage von ntv.de, Auslandsdeutsche hätten keinen Anspruch darauf, per Brief zu wählen: Ihnen stünde die Möglichkeit offen, im Wahllokal zu wählen - wie allen anderen auch. Die rechtlichen Bedingungen seien für alle Wählenden gleich. "Die Gründe, aus denen die Wahlteilnahme für den einen bequemer und den anderen weniger bequem sind, sind Umstände, die die Wähler*innen jeweils selbst geschaffen haben", sagt Schönberger.
Deshalb seien die Komplikationen bei der Wahl der Auslandsdeutschen "verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden", so Schönberger. Sie sehe aber "rechtspolitischen Handlungsbedarf". Auch für den Verfassungsrechtler Joachim Wieland ist die Behandlung der Auslandsdeutschen ein "demokratietheoretisches Ärgernis, das nach einer Reform schreit". Für ein Einschreiten des Verfassungsgerichts sieht er aber keine Grundlage, sagt er ntv.de.
Auch das amtliche Endergebnis gibt dem BSW wenig Grund zur Hoffnung: Die Differenz zwischen vorläufigem und endgültigem Ergebnis betrug bei der Bundestagswahl 2021 bei keiner Partei mehr als 5000 Stimmen, 2017 waren es maximal 3000 Stimmen - und das auch nur bei größeren Parteien.
Wagenknecht kritisiert "gezielte Aktion" von Umfrageinstitut
Bundestag hin oder her: Ihr Bündnis habe das beste Ergebnis einer Partei bei deren erster Wahl geholt, so Wagenknecht. Das BSW habe mehr Stimmen als bei der Europawahl eingefahren und viele Nichtwähler an die Urne geholt. Gegen den Widerstand von Medien und Umfrageinstituten - so sieht es Wagenknecht: "Es gab eine mediale Negativkampagne gegen unsere Partei, die ich so noch nicht erlebt habe", sagte sie auf der Bundespressekonferenz. BSW-Inhalte seien blockiert worden, die Erfolgsaussichten der Partei "systematisch niedergeschrieben" worden.
Mindestens eine Mitschuld daran trägt in Wagenknechts Augen das Umfrageinstitut Forsa, das das RTL/ntv-Trendbarometer erhebt. Zwei Tage vor der Wahl sah Forsa das BSW noch bei drei Prozent. "Das geht weit über die Fehlertoleranz hinaus", beschwerte sich Wagenknecht. Die Forsa-Zahlen stellten keine Prognose dar, sondern "eine gezielte Aktion", so Wagenknecht. Es sei "wahrscheinlich", dass Forsa das BSW um den Einzug in den Bundestag gebracht habe.
Forsa-Geschäftsführer Peter Matuschek nennt den Vorwurf "völlig abstrus". Sein Institut habe immer darauf hingewiesen, "dass Wahlumfragen mit Unsicherheiten behaftet sind, dass Umfragen immer nur ein Meinungsbild zum Zeitpunkt der Befragung widerspiegeln und keine Prognosen auf den Wahlausgang sind". So hätten auch die Medien über die Erhebungen von Forsa berichtet.
Aufschrei des BSW könnte Auslandsdeutschen helfen
Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas sieht Wagenknechts Vorwurf ebenfalls als überzogen an: Studien zeigten keine eindeutigen Effekte von Umfragen - schlechte Prognosen könnten Parteien auch Aufwind verleihen, sagt er dem Sender Phoenix. Dass die Prognosen im Großen und Ganzen aber ohnehin nah am Endergebnis waren, zeigt ein ntv.de-Überblick.
Der Aufschrei des BSW dürfte dem BSW wenig helfen. Nützen könnte er aber den Auslandsdeutschen - zumindest langfristig. Denn das Thema bleibt auch dank des BSW auf der Agenda. Viele Menschen werden sich an den Wahlprüfungsausschuss des Bundestags wenden und Einspruch einlegen. Die Beschwerden werden wohl nicht dazu führen, dass die Wahl für ungültig erklärt wird.
Aber: Der Ausschuss schreibt auf seiner Webseite, er stoße bei seiner Arbeit immer wieder auf Probleme, "die zwar keine Wahlfehler darstellen, aber aus denen sich Verbesserungen ableiten lassen". Diese Probleme würden dann als sogenannte "Prüfbitte" an die Bundesregierung weitergegeben.
Quelle: ntv.de