Forsa-Chef zur BSW-Kritik "Diesen Vorwurf habe ich zuletzt aus den Reihen der AfD gehört"
24.02.2025, 18:57 Uhr Artikel anhören
Sahra Wagenknecht hätte für das BSW auch gern mehr gehabt - mehr Prozentpunkte.
(Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler)
Das BSW wirft Medien und Umfrageinstituten vor, im Wahlkampf unfair behandelt worden zu sein. Vor allem das RTL/ntv-Trendbarometer vom vergangenen Freitag nimmt die Partei ins Visier. Dies sei "keine Wahlprognose" gewesen, "sondern eine gezielte Aktion zur Manipulation von Wahlverhalten", sagt BSW-Chefin Sahra Wagenknecht.
Eine "Wahlprognose" war die von Forsa erhobene Umfrage tatsächlich nicht: Forsa weise immer darauf hin, "dass Wahlumfragen mit Unsicherheiten behaftet sind", sagt Forsa-Geschäftsführer Peter Matuschek im Interview mit ntv.de. "Zudem spiegeln Umfragen vor der Wahl immer das Meinungsbild zum Zeitpunkt der Befragung wider und sind keine Prognosen auf den Wahlausgang."

Peter Matuschek ist Geschäftsführer von Forsa. Das Meinungsforschungsinstitut erhebt das Trendbarometer für RTL und ntv.
(Foto: picture alliance / Britta Pedersen/dpa)
ntv.de: Haben Sie schon ausgewertet, wie nahe Forsa mit dem letzten Trendbarometer vor der Wahl an das Wahlergebnis vom Sonntag herangekommen ist?
Peter Matuschek: In unserer letzten Vorwahlumfrage in der Woche vor der Wahl hatte sich das Ergebnis bereits recht genau abgezeichnet - mit einer durchschnittlichen Abweichung von etwa einem Prozentpunkt über alle Parteien hinweg. Wobei Vorwahlumfragen unter Wahlberechtigten keine Prognosen über den tatsächlichen Wahlausgang sind - anders als die Nachwahlbefragungen unter Wählern am Wahltag, wie sie Infratest-Dimap und die Forschungsgruppe Wahlen für die ARD und das ZDF durchführen.
Der BSW-Politiker Fabio De Masi hat sich über die Zahlen aus dem RTL/ntv-Trendbarometer beschwert, die von Forsa erhoben werden. Er schrieb auf X: "Wenn Forsa gegen den Trend kurz vor der Wahl eine 3 Prozent Umfrage heraus bläst (…) dann haben wir rumänische Verhältnisse. Wir müssen über Desinformation in Deutschland sprechen!"
So einen Vorwurf habe ich zuletzt aus den Reihen der AfD gehört: vor der Bundestagswahl 2013, als der damalige AfD-Chef Bernd Lucke sich beschwert hat, dass Forsa die AfD vor der Wahl unter fünf Prozent gemessen hatte. Tatsächlich lag die AfD damals am Ende bei 4,7 Prozent.
Wie alle seriösen Institute weisen wir immer darauf hin, dass Wahlumfragen mit Unsicherheiten behaftet sind. Zudem spiegeln Umfragen vor der Wahl immer das Meinungsbild zum Zeitpunkt der Befragung wider und sind keine Prognosen auf den Wahlausgang. So haben auch die Deutsche Presse-Agentur und andere Medien über unsere Erhebungen berichtet. Und das gilt natürlich auch für den Wert von 3 Prozent, den wir in der Woche vor der Wahl für das BSW ermittelt haben. Beim BSW wie auch bei der FDP haben wir immer darauf hingewiesen, dass beide Parteien aufgrund der statistischen Fehlerschwankungen die Chance hatten, in den Bundestag einzuziehen. Insofern ist der Vorwurf, den Fabio De Masi da heraus bläst, völlig abstrus.
Eine international vergleichende Studie kam gerade zu dem Ergebnis, dass die letzte Umfrage vor der Wahl durchaus Einfluss auf das Wahlverhalten hat. Eine Partei, die kurz vor dem Wahltag knapp über der Sperrklausel liegt, schafft es in drei von vier Fällen ins Parlament. Wenn sie knapp darunter liegt, klappt es nur in einem von vier Fällen; der sogenannte Fallbeileffekt. Gibt es den aus Ihrer Sicht?
Die Diskussion über den vorhandenen oder nicht vorhandenen Einfluss von Umfragen vor Wahlen gibt es vermutlich so lange, wie es Wahlumfragen gibt. Nach allem, was wir dazu wissen, verneinen die meisten der dazu vorliegenden Studien solche Effekte, zumal sich die in der Theorie diskutierten Mitläufer- und Mitleidseffekte auch noch gegenseitig neutralisieren würden.
De Masi forderte, "Forsa sollte seine Rohdaten offenlegen".
Das machen wir jedes Jahr. So wie andere seriöse Institute wie zum Beispiel die Forschungsgruppe Wahlen geben wir die Rohdaten unserer wöchentlichen Bevölkerungsbefragung jedes Jahr an das sozialwissenschaftliche Datenarchiv GESIS. Dort können Wissenschaftler und andere Interessierte diese Daten einsehen. Von daher ist die Forderung überflüssig.
Bei der FDP ist der positive Effekt nicht eingetreten; Forsa hatte die Freidemokraten am Freitag bei 5 Prozent gesehen. Warum hat es nicht gereicht?
Wie gesagt, wenn eine Partei um die 5 Prozent liegt, kann man im Vorfeld unmöglich sagen, ob sie den Einzug in den Bundestag schafft oder nicht, einfach aufgrund der statistischen Fehlermargen. Da es sich um Vorwahlumfragen handelt, nicht um Prognosen, können Faktoren wie die Wahlbeteiligung, eine mögliche Last-Minute-Mobilisierung oder eine Nicht-Mobilisierung noch Einfluss auf das tatsächliche Wahlergebnis haben. Das Rennen ist dann für solche Parteien einfach "too close to call", wie die Amerikaner sagen. Anders als BSW und FDP hat sich die Linke in den letzten vier Wochen vor der Wahl deutlich nach oben entwickelt, sodass wir da mit einer hohen Wahrscheinlichkeit annehmen konnten, dass sie im neuen Bundestag vertreten sein würde. Die FDP dagegen schwankte seit vielen Wochen um die 5 Prozent und lag meistens darunter. Daher war sie schon lange gefährdet. Im Grunde haben wir bei der FDP seit dem Ampel-Aus keine große Tendenz nach oben gesehen.
Die AfD ist sehr nahe bei den 20,8 Prozent gelandet, die Forsa zuletzt ermittelt hatte. Früher galt die Regel, dass rechtsradikale Parteien in Umfragen mitunter schlechter abschneiden als bei Wahlen, weil die Leute am Telefon nicht sagen wollen, dass sie eine solche Partei wählen. Gilt das nicht mehr?
Bei der AfD war es am Anfang aufgrund dieses Effektes in der Tat für alle Institute schwierig, sie richtig zu erfassen. Aber schon bei den letzten Bundestags- und Landtagswahlen spielte dieser Faktor keine Rolle mehr.
Eine Frage zur CDU: Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat sich gestern begeistert über das Wahlergebnis gezeigt. Wie ordnen Sie das Abschneiden der Union ein?
Dazu muss man sich einmal die Verluste der Ampel-Parteien und die Zuwächse der Union anschauen: Im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 haben SPD, Grüne und FDP zusammen 19,7 Prozentpunkte eingebüßt. Die Union hat sich dagegen lediglich um 4,4 Punkte verbessert. Einmal abgesehen davon, dass das Wahlergebnis vom Sonntag das zweitschlechteste der Union seit 1949 ist: Der Union insgesamt ist es nur sehr begrenzt gelungen, vom breiten Unmut über die Ampel zu profitieren. Da ist sie weit unter ihren Möglichkeiten geblieben.
Nach Wahlen ist gern vom "Wählerwillen" die Rede. Aber was sagt ein so diffuses Wahlergebnis über den Wählerwillen aus?
Mich wundert es immer, wenn Parteien am Wahlabend vom "Wählerwillen" sprechen, der angeblich zeige, was nach einer Regierungsbildung zu geschehen oder nicht zu geschehen habe. Aus diesem Wahlergebnis lässt sich das aber nicht wirklich ableiten - außer vielleicht den Wunsch, den wir auch in Umfragen vor der Wahl ermittelt hatten: Es gibt eine große Erwartung einer Mehrheit in Deutschland, dass sich die Parteien der politischen Mitte zusammenraufen und die wichtigsten Probleme parteiübergreifend angehen. Allen voran die Lage der Wirtschaft, auch die Migrationspolitik, auch Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Ende des vergangenen Jahres haben wir nach den politischen Wünschen der Deutschen fürs neue Jahr gefragt. Einer der größten Wünsche war, dass es nach der Wahl eine stabile Regierung geben möge.
Mit Peter Matuschek sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de